Knallharter Wettkämpfer: Zeitloser Maestro Roger Federer vor dem 20. Grand Slam-Titel

Von Jörg Allmeroth
Roger Federer spielt am Sonntag um seinen 20. Triumph bei einem Grand Slam.
© getty

Roger Federer trifft bei den Australian Open in seinem 30. (!) Grand-Slam-Finale auf den Kroaten Marin Cilic (So., 9.30 Uhr im LIVETICKER). Dem Schweizer Maestro winkt sein 6. Titel in Melbourne und sein 20. (!) bei einem der vier Major. Aber ganz unabhängig vom Ausgang in Melbourne hat der 36-Jährige mal wieder seine Ausnahmestellung unter Beweis gestellt - als Champion und als Mensch.

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Es war mal wieder das große Thema vor diesen Australian Open, überhaupt vor dieser Tennis-Saison 2018. Die Frage, ob die nächste und übernächste Generation im Wanderzirkus endlich an der Vormachtstellung der munteren Alten kratzen würde.

Doch wie sah die Zwischenabrechnung nun aus, am Grand Slam-Schauplatz Melbourne, nach knapp zwei Wochen der Ausscheidungsspiele am anderen Ende der Welt? Es grüßte von dort, aus der Rod Laver-Arena, der älteste Grand-Slam-Finalist seit 1972, ein gewisser Roger Federer - der ewige Maestro, der beharrliche Meisterspieler, der seine Karriere jenseits der Dreißig immer weiter und aufs immer Neue veredelt.

Fast ohne jegliche Anstrengung übersprang er die vorletzte Hürde auf dem Weg zu seinem sage und schreibe 20. Major-Titel. Im Halbfinale warf sein 15 Jahre jüngerer Rivale Hyeon Chung nach 62 Minuten das Handtuch, beim Stand von 1:6 und 2:5 gab der Südkoreaner wegen schmerzhafter Blutblasen unter den Füßen ein Match auf, das nie ernsthaft eines war.

"So will man nicht gewinnen", sagte Federer später, "aber natürlich freue ich mich jetzt riesig auf das Endspiel. Und auf die Chance, den Titel verteidigen zu können." Kurios genug: Am Sonntag (9.30 Uhr im LIVETICKER) steht Federer mit dem Kroaten Marin Cilic ein Mann im letzten, entscheidenden Grand Slam-Rendezvous gegenüber, der vor rund einem halben Jahr ähnliche Probleme gegen ihn hatte wie aktuell der arme Chung.

Wimbledon 2017: Marin Cilic gegen Roger Federer geschwächt

Tränenüberströmt saß Cilic damals auf seinem Centre Court-Stuhl, lange vor dem eigentlichen Ende des Wimbledon-Finals wusste der 29-Jährige schon, dass sein Titeltraum geplatzt war. Wie Chung ließ sich Cilic wegen Blasen an den Füßen behandeln, die Physiotherapeuten taten ihr Menschenmögliches, aber die Schmerzen waren größer als der Wille des Kroaten.

Er spielte allerdings noch - sichtlich unter großer Pein - zu Ende, aber es war kein normales Pokalduell mehr. "Ich bin sicher, dass es am Sonntag anders wird. Marin ist in großartiger Form, er wirkt gesund und fit. Ich stelle mich auf massive Gegenwehr ein", sagt Federer.

Er selbst aber bleibt das Phänomen der Open, des Herrentennis. Federer, der im modernen Profitennis zeitlose Klasse repräsentiert wie kein Zweiter. Als er am Freitag von Centre Court-Interviewer Jim Courier, dem ehemaligen Weltranglisten-Ersten, gefragt wurde, wie sich die Chance anfühle, nun schon um den 20. Grand Slam-Titel zu spielen, sagte Federer: "Es ist schlicht unglaublich. Das hätte ich vor einem Jahr noch für einen Witz gehalten."

Roger Federer in Melbourne: Der Mensch im Champion

Damals, zur Erinnerung, hatte Federer vor dem Titelcoup gegen Nadal eine sechsmonatige Verletzungspause und auch eine sehr lange Durststrecke hinter sich gebracht - zwischen Major-Titel Nummer 17 (2012, Wimbledon) und dem Sieg in Melbourne lagen immerhin viereinhalb Jahre. Federers Qualität sei eben auch, "über seine ganze Karriere eine grundsätzlich positive Attitüde auszustrahlen", sagt Pat Cash, der australische Ex-Superstar: "Er glaubt unverwüstlich an seine Chance. Und er tut auch alles dafür, immer wieder neue Chancen zu bekommen."

Federer hat in seiner Ausnahmekarriere alle nur möglichen Rekorde gebrochen, man könnte ganze Zeitungsseiten damit füllen - ohne dass es einem langweilig würde bei dem phänomenalen Zahlenwerk. Aber faszinierender ist der Mensch im Champion, der Mann, dem trotz seiner erdrückenden Dominanz in vielen Karrierejahren selbst die Kollegen nie böse sein konnten. Federer ist mit seinen 36 Jahren mehr denn je der universale Tennis-Botschafter, neben dem knallharten Wettkämpfer, der er natürlich auch ist.

Finale Nr. 30 für Federer! Titel Nr. 20?

In Melbourne, bei diesen Offenen Australischen Meisterschaften des Jahres 2018, war das wieder einmal zu beobachten. Was passierte, als der ärgste Rivale Nadal wegen einer Hüftverletzung den Titelkampf einstellen musste? Federer schickte ihm noch vor der Abreise eine persönliche Botschaft, wünschte ihm das Beste für die Genesung.

Was passierte, als Alexander Zverev geknickt nach seinem Knockout gegen Chung in die Kabine schlich? Federer munterte ihn auf, sagte ihm, er solle über diese Niederlage nicht die Perspektive für eine glänzende Karriere verlieren. Es gab noch mehr Beispiele für seine lebenslange Lebenseinstellung: Es ist nett, wichtig (und erfolgreich) zu sein. Aber noch wichtiger, nett zu sein. Was die Nettigkeiten auf dem Centre Court angeht, gilt für Federer immer dies: Der größte Respekt, den man einem Gegner erweisen kann, ist der eigene, bestmögliche Einsatz.

Für die, die ihm bisher in Melbourne gegenüberstanden, gab es nicht viel zu holen, er ließ den Kollegen so weit noch keinen Satzgewinn, ganz gleich, welcher Altersklasse sie angehörten. Zwei Stunden und 14 Minuten gegen den Tschechen Berdych - das war bisher noch der aufwändigste Einsatz des Eidgenossen. Nun das siebte Australian-Open-Finale, das 30. Grand-Slam-Endspiel seiner Karriere. Mit dem zwanzigsten Sieg? "Ich bin gerüstet für einen großen, intensiven Fight", sagt Federer. Vielleicht hofft er selbst darauf, endlich mal gefordert zu werden.

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