Roger Federer - Die Erinnerung des Titelverteidigers

Von Jörg Allmeroth
Roger Federer, bestens gelaunt in Melbourne
© getty

Vor knapp einem Jahr hat Roger Federer in Melbourne alle Zweifler, aber auch sich selbst überrascht. 2018 geht der Schweizer als einer der großen Favoriten in das erste Grand-Slam-Turnier der Saison.

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Die Zeitreise zurück, zu den letzten Australian Open, bereitet dem Maestro nichts als Vergnügen. "2017, hier in Melbourne, das war das Verrückteste, was mir jemals im Tennis passiert ist", sagt Roger Federer, "es wird schwer, das jemals zu übertreffen." Wie auch? Federer kam aus einer knapp sechsmonatigen Verletzungspause, erwartete "gar nichts" von sich und von seiner Grand Slam-Aufgabe - und als die beiden Wochen in Melbourne vorüber waren, da war er immer noch da. Als Champion, als Sensationsgewinner, als ultimativer Comeback-Mann. "Die Emotionen waren einfach überwältigend. Und selbst nach ein paar Wochen bin ich morgens immer noch aufgewacht und habe gedacht: Sorry, ist das wirklich wahr? Oder nur ein Traum", sagt Federer. Aber doch, es stimmte alles. Überaus vortrefflich sogar.

Jahrelang war er einem der vier Grand-Slam-Titel vergeblich hinterhergelaufen, ab und zu waren sogar Stimmen zu hören gewesen, seine größte Zeit sei vorbei, er habe womöglich sogar den Moment des einigermaßen idealen Absprungs verpaßt. Und dann war Federer im denkbar unwahrscheinlichsten Moment wieder der König bei einem Major, ein Sieg, noch veredelt durch den Umstand, dass er sich über fünf harte, intensive, spannungsgeladene Sätze mit seinem ewigen Rivalen Rafael Nadal um die Krone streiten musste.

"Melbourne 2017, es wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben", sagt Federer. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ihm dieser Sieg in vierlei Hinsicht neue Perspektiven für seine späten Karrierejahren bot. Dazu zählte auch die Gewissheit, selbst nach langen, sehr langen Pausen wieder mit zupackender Schlagkraft ans Werk gehen zu können, mit Solidität, Sicherheit, Selbstbewußtsein und dem üblichen Esprit.

"Ziemlich ruhig"

"Das Turnier, das ganze Grand-Slam-Erlebnis damals, das waren Schlüsselmomente für mich", sagt Federer vor seinem jetzigen Turnierstart gegen den 28-jährigen Slowenen Aljaz Bedene in der Abendveranstaltung des Dienstags, "es war eine der großen Wegmarken als Profi." Federer kann seit jenem Grand Slam-Auftakttriumph des vergangenen Jahres noch einmal entspannter und gelassener auf den Centre Court schreiten. Was er unbedingt wollte, was er mit aller Macht und Energie anstrebte, einen weiteren Grand Slam-Sieg weit in seinen Dreissigern, hat er mit einem geradezu magischen Coup erreicht. Später kam dann auch noch Major-Titel Nummer 19 hinzu, als Roger Nimmersatt siegte er in seinem grünen Tennisparadies in Wimbledon - was soll ihm da noch der Druck anhaben können, über den sich traditionell jeder Spitzenspieler vor jedem Turnier äußert und ihn beklagt.

"Ich bin ziemlich ruhig vor diesem Turnier jetzt", sagt Federer, "ich hatte sowieso noch nie ein Problem mit der Favoritenrolle. Vor allem, weil ich wusste, dass ich dann vorher gut gespielt hatte." Gleichwohl wunderte sich Federer leicht ironisch darüber, dass "ein 36-jähriger der absolute Titelkandidat sein soll": "Ich fühle, dass das irgendwie nicht ganz richtig ist." Federer ist froh und zufrieden, dass er von weiteren Verletzungen verschont geblieben ist nach der fulminanten Rückkehr zum Saisonstart 2017. Gelegentlich plagte ihn das ein oder Zipperlein, aber es war nichts Ernsthaftes oder gar Bedrohliches. Für den vierfachen Familienvater zahlte sich aus, dass er seine Tennisengagements radikal ausdünnte und sich quasi auf Diät setzte, um im richtigen Moment, bei den Topturnieren, mit unverbrüchlicher Klasse und Energie auftrumpfen zu können. "Der beste Beweis war die lange Pause in der Sandplatzsaison und der anschließende Sieg in London. Das hätte ich früher selbst für unmöglich gehalten", sagt Federer. Auch in diesem Jahr wird er auf einen schlanken Terminkalender setzen und nur das nötigste und dann auch effizienteste Programm bestreiten.

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