Die Familie Zverev - Das Phänomen der Open

Mischa und Alexander Zverev erobern gerade Melbourne
© getty

In schwierigen Zeiten hat der eine dem anderen Bruder geholfen - im Moment läuft es für Mischa und Alexander aber so gut wie noch nie in der Geschichte der tennisverrückten Familie Zverev.

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Wenn das größte deutsche Tennistalent in Melbourne zu Spiel, Satz und Sieg aufschlägt, dann kann seine Mutter meistens gar nicht zusehen. Besser gesagt: Sie will es nicht. Die lieben Nerven, der Stress. "Das ist alles ein bisschen zu viel für mich. Oft jedenfalls", sagt Irina Zverev. Auch beim Erstrunden-Drama von Alexander, ihrem jüngeren Sohn, spazierte die Mama lieber am Yarra River entlang, bangte und bibberte allein, bis der ältere Sohn, Mischa, ihr irgendwann per SMS Vollzug melden konnte - Fünf-Satz-Sieg von Alexander gegen Robin Haase, Turnierauftakt gelungen, Zitterpartie mit Happy End vorüber. "Wir leben fürs Tennis. Wir atmen Tennis, den ganzen Tag lang", sagt die Mutter der beiden Brüder, die das Thema der ersten Melbourne-Woche waren, so etwas wie das Phänomen der AUstralian Open. "Alle Amerikaner draußen, aber beide Zverevs noch im Turnier", so kurz, pointiert und prägnant formulierte "Sports Illustrated" die Grand-Slam-Story, made in Germany.

Wann hatte es Vergleichbares überhaupt schon einmal im Wanderzirkus gegeben, zwei verschworene Brüder auf dem Weg in höhere, vielleicht höchste Grand-Slam-Sphären? 1998, soviel sagte der trockene Blick in die Statistik, schafften Wayne und Byron Black aus Zimbabwe einmal den gemeinsamen Vorstoß in die dritte Grand-Slam-Runde, 14 Jahre davor auch die amerikanischen Gullikson-Zwillinge Tim und Tom. Doch in der Härte des modernen Tennisgeschäfts, in einer Ära viel größerer Leistungsdichte von Platz 1 bis 200, war der aktuelle Siegeszug der beiden Hamburger Brüder unvergleichlich. Mischa, der Ältere, rückte am Freitag sogar zum ersten Mal in seiner wild bewegten, auch bewegenden Karriere zum ersten Mal in das Achtelfinale eines Major-Wettbewerbs vor, durch einen Vier-Satz-Sieg über den Tunesier Malek Jaziri. Lohn der guten Tat war nun ein Rendezvous mit dem Branchenführer Andy Murray. Also ein ebenso prominenter Gegner wie ein gewisser Rafael Nadal, gegen den Alexander, der Jüngere, am heutigen späten Samstagnachmittag australischer Zeit sein Glück versuchen wollte.

Der richtige Stammbaum

Mutter Irina, die auf den Reisen der Familie den ganzen Laden zusammenhält, organisatorisch wie emotional, wird dann wohl wieder auf einem Ausflug die Schönheiten Melbournes erkunden - und den sportlichen Brennpunkt Rod Laver Arena meiden. Das Gefühl, sich auf einem Centre Court bewähren und beweisen zu müssen, ist ihr allerdings genau so wenig fremd wie ihrem Mann Alexander senior. Irina war einstmals die Nummer 22 der Weltrangliste, in einer Zeit, als es für russische Spielerinnen noch nicht so leicht war, regelmäßig freizügig zu reisen und Punkte zu sammeln. Vater Alexander spielte 26 Mal für die sowjetische Davis-Cup-Auswahl, er hat ein gutes, scharfes Auge, ist ein ernster, ehrgeiziger Tennisvater.

Vielleicht war das auch das Problem in den frühen Jahren der Karriere von Mischa, dem inzwischen 28-jährigen Sohn. Zwar profitierte Mischa, der gerade vier Jahre alt war, als die Familie 1991 von Moskau nach Hamburg übersiedelte, auch von der Disziplin, die ihm der Vater vermittelte. Aber später litt er auch unter dem strengen Regiment, scheiterte am familiären wie öffentlichen Erwartungsdruck in den Anfangsjahren im Tourbetrieb. Der ältere Zverev galt als bemerkenswertes Talent, aber seinem intelligenten Spiel mit feinem Händchen fehlte stets die nervliche Kühle. Mit Mitte Zwanzig war Mischa dann sogar, nach einer Serie bitterer Verletzungen, fast soweit, früh den Tennisschläger beiseite zu legen und "ein ganz anderes Leben, abseits des Tennis", zu beginnen.

Füreinander da

Es war die Pointe in der Geschichte dieser tennisverrückten Familie, dass ausgerechnet der jüngere Bruder dem älteren Bruder wieder auf die Beine half. Und dafür sorgte, dass er mit neuer Power und gewohnt viel Köpfchen nun so stark aufspielt wie nie zuvor. "Erst half Mischa seinem Bruder, sich im großen Tennis zurecht zu finden. Und dann rettete er ihm seine Karriere", sagt Boris Becker, "das ist schon eine Wahnsinnsstory." Dieser Alexander Zverev (19) - 1997 in Hamburg zur Welt gekommen, als die Familie sich in Deutschland etabliert hatte -, ist ein Kind des Tennis wie aus dem Bilderbuch. Schon als Vorschulkind stand er stundenlang am Spielfeldrand, wenn sein Bruder trainierte. Er sah ihm auch zu, wenn er Matches bestritt, ging mit der Familie auf Reisen. "Es gab gar keine anderen Wunsch für mich: Ich wollte schon immer Tennisprofi werden", sagt Alexander, den fast alle in der Szene Sascha nennen.

Bei ihrem zweiten Sohn machten die Zverevs nicht vergangene Fehler noch einmal - obwohl in den Youngster noch viel größere Hoffnungen projiziert wurden, in Deutschland und der ganzen Welt. Vater Alexander, der wieder das Traineramt einnahm, ließ Sascha an längerer Leine laufen, auch wenn der in Juniorentagen als ziemlich wilder Bursche die Courts unsicher machte. Der Papa sah stoisch zu, wenn der Sohn einen seiner Wutausbrüche hinlegte - er setzte darauf, dass sich Sascha Temperament schon noch beruhigen würde. Und damit lag er keineswegs falsch, auch wenn der inzwischen auf Platz 24 der Weltrangliste vorgerückte Teenager noch immer seine Ausraster in der Hitze des Augenblicks hat. Sie sind aber zur Ausnahme geworden, nicht mehr die Regel.

In Frankfurt gemeinsam für Deutschland?

In Melbourne logieren sie alle zusammen in einem Hotel, die außergewöhnlichen Zverevs. Diese Hamburger Reisegruppe, von der gerade die ganze Tenniswelt spricht. Vater, Mutter und der jüngere Bruder Sascha wohnen alle auf einer Etage, Mischa, der Ältere, der auch schon mal eigene Wege geht, hat sein Zimmer auf einem anderen Stockwerk. Auch ein Fitnesscoach gehört zu ihrem Team, der hochgeschätzte Jez Green, der ehemalige Beinemacher von Andy Murray. Beide Brüder werden sich in der Weltrangliste nach Melbourne weiter verbessern, Mischa sogar auf ein Allzeithoch um Platz 40. Und beide werden sie Anfang Februar auch als starkes Stück Deutschland zusammen im Davis Cup aufschlagen, in Frankfurt gegen Belgien.

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