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Als Alex Radulescu die Fairplay-Aktion des Jahrhunderts ablieferte

Am 4. Juli steht Alex Radulescu sensationell vorm Einzug ins Wimbledon-Halbfinale. Dann kommt es zu einer großen Geste.

von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet: 02.07.2016, 08:42 Uhr

4 Jul 1996: Alex Radulescu of Germany in action during the Wimbledon tennis championships at the all England Club in London, England. Mandatory Credit: Allspo...

Alex Radulescu galt Mitte der 90er-Jahre als eines der vielversprechendsten Talente in Deutschland. Radulescu spielte unter anderen gegen Boris Becker, Pete Sampras, Thomas Muster, Michael Chang, Goran Ivanisevic und war Mitglied im Mercedes-Nachwuchsteam von Boris Becker .

Seine größte Stunde schlug jedoch beim Wimbledon-Turnier 1996. Nur aufgrund der Absage von Sergi Bruguera war Radulescu überhaupt ins Hauptfeld gekommen, in Runde eins lag er im fünften Satz gegen Arnaud Boetsch bereits mit 1:4 und 0:40 zurück. Aber Radulescu drehte das Spiel und gewann im Anschluss auch gegen Stefano Pescosolido (nach Abwehr von vier Matchbällen) und David Wheaton in fünf Sätzen.

Flashback zum 4. Juli 1996

Am 4. Juli 1996 steht Radulescu im Viertelfinale des wichtigsten Turniers der Welt - und hat durchaus Chancen auf mehr. Sein Gegner ist der US-Amerikaner MaliVai Washington , für den die Runde der letzten Acht eine fast ebenso große Überraschung ist. Radulescu hat bereits im vierten Satz beim Stand von 6:5 zwei Matchbälle, die er nicht nutzen kann. Und natürlich geht es auch in diesem Match über die volle Distanz.

Beim Spielstand von 7:6 (5), 6:7 (1), 7:5, 6:7 (2) und 4:4 kommt es zu einer der größten Gesten, die es im Tennis je geben sollte. Zu Beginn des Spiels setzt Washington einen Schmetterball auf die Seitenlinie - aber der Schiedsrichter entscheidet: "Aus." Zur Erinnerung: Das Hawk-Eye war zu jener Zeit noch nicht erfunden und wohl keiner hätte es Radulescu übel genommen, hätte er den Punkt für sich behalten. Doch "Radu" überstimmt die Entscheidung von oben und gibt Washington den kritischen Punkt. Der gewinnt schließlich das Game und letztlich das Match mit 6:4.

In der anschließenden Pressekonferenz ist Washington immer noch fassungslos: "Das war wohl das größte Zeichen von Sportlichkeit, das ich je von irgendeinem Sportler erlebt habe. Nach dem Match habe ich ihm gesagt, dass er das nicht hätte tun müssen, nicht viele andere hätten das getan." Radulescu aber konnte nicht anders. Das schlechte Gewissen hätte ihn geplagt und er so bestimmt einen anderen Ball verschlagen, erzählt er.

Für Washington geht's weiter ins Finale

Für Washington sollte der Sieg gegen Radulescu noch nicht genug sein. Im Halbfinale besiegte er seinen nervelnden Landsmann Todd Martin in einem ebenso dramatischen Match, in dem er bereits 5:7, 6:4, 6:7 (6), 6:3 und 1:5 in Rückstand gelegen war und letztlich mit 10:8 triumphierte. Das Überraschungsfinale gewann schließlich Richard Krajicek, der im Laufe des Turniers den bis dato dreimaligen Titelträger Pete Sampras eliminiert hatte.

Radulescu bekam im Anschluss in Anerkennung an seine große Geste die Fairplay-Plakette von der Olympischen Gesellschaft überreicht. Auf dem Platz konnte er seinen Wimbledon-Erfolg jedoch nicht mehr toppen. Er erreichte im Jahr 1997 mit Rang 51 seine höchste Platzierung in der Weltrangliste und sein einziges ATP-Finale in Chennai. Radulescu lebt heute in München, wo er als Tennistrainer arbeitet. Und seinen Schülern bestimmt eines vermittelt: Fairplay.

von Florian Goosmann

Samstag
02.07.2016, 08:42 Uhr