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NFL Mailbag: Welche Teams machen 2022 einen Sprung nach vorne? Welche einen Schritt zurück?

Von Jan Dafeld
Tua Tagovailoa ist als Quarterback der Miami Dolphins umstritten
© getty
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Mailbag: Wie haben sich die Rookie-Head-Coaches geschlagen? Was wird aus Tua?

OnePriDe: Wie schätzt du die neuen Head Coaches nach ihrem ersten Jahr mit neuem Team ein?

Interessante Frage. Um Euch nach dem Aufsatz über die verbesserten und schwächeren Teams in der kommenden Saison nicht nochmal ganz so viel Text zumuten zu müssen, gehen wir das Ganze im Schnelldurchlauf an.

Dan Campbell (Detroit Lions)

Die positiven Aspekte sind bei Campbell offensichtlich: Das Team steht eindeutig hinter seinem Head Coach - in einer Saison mit vielen Niederlagen alles andere als eine Selbstverständlichkeit! Campbell gelang es, mit einem Team, das nicht mit allzu viel Talent gesegnet ist, viele Spiele eng zu halten und coachte dabei mutig und aggressiv, sowohl im Hinblick auf Fourth-Down-Entscheidungen (kein Team spielte jemals mehr Fourth Downs aus) als auch auf sein Play-Calling, das mit zahlreichen Trick-Plays gegen die Packers am vergangenen Wochenende seinen Höhepunkt fand. Die entscheidende Frage ist nun: Kann Campbell mehr als "nur" mit einem schwachen Kader viele Spiele eng zu halten? 2022 muss den Lions bereits der nächste Schritt gelingen, ähnlich wie den Dolphins 2020 unter Brian Flores. Wie bei Flores wird auch Campbells Zukunft eng mit dem Erfolg seines (baldigen) Quarterbacks verknüpft sein.

David Culley (Houston Texans)

Auch Culley hat es geschafft, mit einem äußerst schwachen Kader Spiele zu gewinnen und deutlich mehr Spiele eng zu halten als viele Beobachter dem Team vor der Saison zugetraut hätten. Der 66-Jährige holte aus einem "verlorenen Jahr" in Houston somit noch das Maximum raus, zumal Davis Mills unter Culley eine überraschend gute Rookie-Saison spielte und sich tatsächlich zu Houstons Quarterback der Zukunft entwickeln könnte. Medienberichten zufolge bekommt Culley womöglich dennoch kein weiteres Jahr bei den Texans. Es scheint, als wäre er in Houston eigentlich nur als Übergangslösung gedacht gewesen, jetzt wo Culley sich in seinem ersten Jahr so respektabel geschlagen hat, ist seine Zukunft offen. Darf Culley bleiben, muss er ebenso wie Campbell beweisen, dass er auch mit einem stärkeren Kader Fortschritte machen und dieses Talent maximieren kann.

Urban Meyer (Jacksonville Jaguars)

Zu Meyer, der noch vor dem Saisonende von den Jaguars gefeuert wurde, ist eigentlich bereits alles gesagt. Der 57-Jährige war sowohl in sportlicher Hinsicht als auch abseits des Platzes ein einziges Desaster. Meyer wird in der NFL keinen Platz mehr finden - und das völlig zu Recht

Robert Saleh (New York Jets)

Saleh galt im vergangenen Frühjahr als der vielleicht gefragteste aller Head-Coaching-Kandidaten, nahezu alle Teams luden ihn zum Interview ein. In seiner Rookie-Saison blieb der 42-Jährige allerdings noch einiges schuldig. Teilweise machte er etwas unnötige Nebenkriegsschauplätze auf, New Yorks Defense - eigentlich Salehs Steckenpferd - enttäuschte zudem auf ganzer Linie. Die Jets hatten mit kostspieligen Ausfällen in der Defensive Line und wenig Talent in der Secondary zu kämpfen, doch selbst in Anbetracht dieser Umstände blieb die Defense hinter den Erwartungen zurück. Immerhin: Bei Rookie Zach Wilson ging es am Ende der Saison zumindest ein wenig bergauf, das Team präsentierte sich über die letzten Wochen besser als noch in der ersten Saisonhälfte. 2022 wird Saleh mit den Jets einen klaren Schritt nach vorne machen müssen. Dass Coaches in New York keine allzu lange Leine genießen dürfen, ist bekannt.

Nick Sirianni (Philadelphia Eagles)

Dass Sirianni gleich in seinem ersten Jahr als Head Coach die Playoffs erreicht - mit einem ebenfalls nicht übermäßig stark besetzten Team und einem unerfahrenen Quarterback wohlgemerkt - ist ein echtes Ausrufezeichen! Der 40-Jährige fiel vor allem dadurch positiv auf, dass er sich offen für Veränderungen an seinem System zeigte. Seine Pass-First-Philosophie ging nicht auf, also schnitt Sirianni die Offense schließlich voll auf das Run-Game und die Stärken von Jalen Hurts zu - mit Erfolg. Sirianni ist bei seinen Spielern offenbar beliebt, das Fundament für eine erfolgreiche Zukunft in Philadelphia wurde mit drei Erstrundenpicks im kommenden Draft zudem gelegt. Eine Gefahr, die allerdings besteht: Sirianni könnte zu schnell zu gut gewesen sein. Gewinnen die Eagles in der kommenden Saison weniger Spiele, könnte ihr Coach schon wieder angezählt werden. Siriannis Zukunft dürfte eng mit der von Hurts verwoben sein.

Arthur Smith (Atlanta Falcons)

Mit sieben Siegen schloss Smith seine erste Saison als Head Coach der Falcons mit einer zumindest akzeptablen Bilanz ab. Dass sein Team dabei aber eigentlich nicht so gut spielte wie die Bilanz vermuten lassen würde, war doch relativ offensichtlich (siehe auch Seite 1). Atlantas Defense bleibt ein Problem, Matt Ryan wird nicht jünger, Cap Space ist nicht vorhanden, den Falcons - und somit auch Smith - droht in den kommenden Jahren eine düstere Zukunft. Mit der Art und Weise, wie der 39-Jährige Cordarrelle Pattterson und Kyle Pitts einsetzte, sorgte er in der vergangenen Saison für ein paar Lichtblicke, ein Rebuild scheint in Atlanta trotz allem unausweichlich. Dann wird sich die Frage stellen: Wird Smith diesen mitgestalten dürfen?

Brandon Staley (Los Angeles Chargers)

Staley hat in der vergangenen Saison fraglos jede Menge spannende Ansätze gezeigt: In der Defense legte er den Fokus eindeutig auf die Pass-Verteidigung, bei Fourth Downs zeigte er sich teilweise ultraaggressiv. Staley ist offen für Neues und scheut es nicht, Risiken einzugehen. Gleichzeitig offenbarten die Chargers unter ihm auch eindeutige Schwachstellen: Die Run-Defense blieb praktisch über die gesamte Saison hinweg ein Desaster, das war auch dem Personal geschuldet, Staleys Coaching-Stab ließ allerdings auch klare Anpassungen vermissen. Offensiv verlor sich das Team zu oft in einer Kurzpass-Offense - trotz der Qualitäten von Justin Herbert. Die Chargers unter Staley sind somit definitiv ein spannendes Projekt, dank Herbert ist das Potenzial für einen Contender vorhanden. Mit seinem durchaus außergewöhnlichen Stil macht sich Staley allerdings auch angreifbar. Die Run-Defense und die Pass-Offense der Chargers werden im kommenden Jahr einen Schritt nach vorne machen müssen. Daran müssen sich Staley und seine Coordinators messen lassen.

MartaMunkel: Was machen wir mit Tua? Er wird in seinem dritten Jahr wohl Starter sein. Aber wo?

Nach der Entlassung von Brian Flores deutet alles daraufhin, dass Tua Tagovailoa auch in der kommenden Saison für die Dolphins starten wird. Dass Flores nicht von Tua überzeugt war, soll zu den gravierendsten Differenzen zwischen dem Head Coach und General Manager Chris Grier sowie Owner Stephen Ross gezählt haben.

Mit Grier und Ross hat Tua demnach zwei Fürsprecher an der Spitze der Organisation, der neue Head Coach in Miami sollte dementsprechend auch einer sein. Ross hat Medienberichten zufolge zudem kein Interesse daran, für Deshaun Watson zu traden. Und in diesem Fall dürfte es für Miami ohnehin schwer sein, ein klares Upgrade gegenüber Tua zu bekommen.

Ich persönlich würde den 23-Jährigen nach nur zwei Jahren in der NFL noch nicht abschreiben und kann die Entscheidung der Dolphins daher durchaus nachvollziehen - auch wenn diese meiner Meinung nach nicht zu einer Trennung von Flores hätte führen dürfen. In meinen Augen wird Tagovailoa mittlerweile zu negativ gesehen. Dafür, dass Joe Burrow und Justin Herbert, die beiden anderen Top-Quarterbacks in seinem Draft, die wohl besten jungen QBs der NFL geworden sind, kann er nichts. Und in Miami konnte Tua bislang auch nicht gerade unter angenehmen Umständen arbeiten.

Angesichts der äußerst limitierten Möglichkeiten in der Offense der Dolphins, die unter einer unglaublich schwachen Offensive Line zu leiden hat, hat Tua seinen Job in der vergangenen Saison weitestgehend gut ausgefüllt. Er wurde den Ball schnell los und hat dabei bewiesen, dass er ein akkurater Passer im Kurzpassspiel ist. Natürlich reicht das noch nicht aus, um ein veritabler Starter in der NFL sein zu können. Der Kritik, dass nahezu jeder NFL-Quarterback eine solche Offense umsetzen könnte, schließe ich mich allerdings auch nicht an.

In der kommenden Saison wird Tua zeigen müssen, dass er mehr kann als nur schnelle Pässe in einer RPO-Offense zu werfen. Wir wissen, dass Tuas Genauigkeit gut ist, wir wissen auch, dass seine Armstärke zu den schwächeren in der NFL zählt. Nun gilt es herauszufinden, wie der 23-Jährige eine Offense umsetzen kann, wenn er mal mehr als zwei Sekunden in der Pocket erhält. Kann er Defenses lesen? Kann er mit Antizipation werfen?

All das werden wir allerdings nur bewerten können, wenn Grier die Zusammenstellung der Offensive Line nicht noch ein weiteres Jahr vor die Wand fährt (denn für die schlicht schreckliche O-Line in dieser Saison ist zuallererst er verantwortlich). Nur dann wird Tua überhaupt die Chance bekommen, auch für Big Plays innerhalb der Offense zu sorgen. Tagovailoa wird 2022 also in eine für ihn entscheidende Saison gehen. Ob er diese Chance dann auch für sich nutzen kann, wird allerdings nicht alleine in seiner Macht liegen.

AloisBrückl: Die Quarterback-Klasse im Draft ist mau, viele Teams haben aber Bedarf. Denkst du ein Backup wie Marcus Mariota könnte irgendwo einen Starterposten bekommen?

Wenn wir alle Teams in der Liga mal eher konservativ durchgehen, also davon ausgehen, dass Derek Carr bei den Raiders bleibt, Russell Wilson bei den Seahaws, Tua Tagovailoa bei den Dolphins und Daniel Jones bei den Giants, dann komme ich auf fünf vakante Quarterback-Posten in der NFL: In Denver, Pittsburgh, Washington, New Orleans und Carolina.

Mit Jameis Winston (zurück zu den Saints?) und Teddy Bridgewater (vielleicht als Übergangslösung bei den Steelers?) sehe ich zwei Quarterbacks in der kommenden Free Agency, die relativ sicher als Starter bei einem Team unterkommen dürften. Bleiben also noch drei offene Posten in der NFL (sollten sich beispielsweise die Dolphins doch von Tua trennen, gäbe es zwar ein Team mehr, das einen QB bräuchte, allerdings wäre ja auch ein QB mehr auf dem Markt, an der Zahl der offenen Stellen würde sich also nichts ändern).

Diese drei Posten dürften dann sehr wahrscheinlich von drei Rookie-Quarterbacks oder zwei Rookie-Quarterbacks und Deshaun Watson eingenommen werden. Die Quarterback-Klasse gilt in diesem Jahr zwar nicht als herausragend besetzt, dennoch dürften drei bis fünf Quarterbacks in der ersten Draft-Runde ausgewählt werden - und dass diese größtenteils auf der Bank landen, glaube ich persönlich nicht.

Ich gehe dementsprechend nicht davon aus, dass Mariota in dieser Offseason bei einem Team als klarer Starter unterkommen wird. Was ich allerdings für sehr gut möglich halte, ist dass ihn ein Team als eine Art 1B-Lösiung aufnimmt, also als Backup hinter einem Starter, der jedoch nicht sicher im Sattel sitzt. Ein Team, bei dem ich mir eine solche Situation sehr gut vorstellen könnte, sind die Browns mit Baker Mayfield. Auch eine Variante, in der Mariota zusammen mit einem Rookie-Quarterback geholt wird und an diesen übergibt, sobald dieser bereit ist, ist natürlich denkbar.

linie302: Braucht Baltimore einen neuen Offensive Coordinator? Sind die Probleme in der Offense ein Problem fehlender individueller Klasse oder des Schemes?

Die Ravens gehen bereits in ihre zweite Offseason in Serie, in der Greg Roman als Offensive Coordinator zumindest angezählt zu sein scheint. Dass Roman im Design des Passspiels Defizite hat, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Bei den Ravens wurde dies sowohl in der letzten als auch in dieser Saison deutlich: Schlechtes Spacing, zu viele Iso-Routes und dadurch eine zu große Abhängigkeit von der individuellen Klasse einzelner Spieler - all das sieht man in Baltimores Passing Offense immer wieder.

Gleichzeitig gilt Roman aber eben auch als eine Art Mastermind im Run-Game. Der 49-Jährige versteht es sehr gut, verschiedene Laufspielzüge schematisch miteinander zu verbinden, sodass es der Defense schwer gemacht werden kann, zu lesen, ob nun zum Beispiel ein Gap-Run, ein Counter oder sogar ein End Around kommt. Dadurch verhalf Roman erst Colin Kaepernick und später auch Lamar Jackson zu herausragenden Saisons.

Bei den Ravens fällt es allerdings schwer, den Einfluss von Roman und Jackson auf den Erfolg des Run-Games zu trennen: Es steht außer Frage, dass Jackson der explosivste Quarterback aller Zeiten ist, wie groß Romans Anteil an dem - zugebenermaßen historisch guten - Laufspiel in der Saison 2019 war, kann somit nicht sicher gesagt werden.

Klar ist: Auch Romans Run-Designs haben ihre Grenzen und scheinen sich über die vergangenen Jahre ein wenig abgenutzt zu haben. Die Ausfälle von J.K. Dobbins und Gus Edwards, die schwächere Offensive Line sowie später auch die Verletzung von Jackson konnte Romans Scheme in dieser Spielzeit nicht wettmachen. Baltimores Rush DVOA belegte 2021 nur noch Platz elf in der Liga.

Ich persönlich würde daher zu einem Coordinator-Wechsel bei den Ravens tendieren. Eine Verbesserung im Design des Passspiels ist in Baltimore trotz eines neuen Passing Game Coordinators ausgeblieben, allzu viel Hoffnung auf einen Satz nach vorne gibt es in diesem Bereich daher nicht mehr. Eine Offense mit Jackson, Dobbins, Edwards und einer zumindest soliden Offensive Line wird immer ein gutes Run-Game auf den Rasen bringen können. Nun ist es an der Zeit, Jackson auch im Passspiel die bestmögliche Unterstützung zukommen zu lassen.

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