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Top 10: Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Divisional-Playoff-Runde

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4. Die neuen Head Coaches: Eine Frage der Philosophie

Die vakanten Head-Coach-Spots werden nach und nach gefüllt, und da es mit nur vier Playoff-Spielen etwas mehr Luft zum Atmen gibt, wollte ich mit etwas Abstand aus der Vogelperspektive auf die Coach-Verpflichtungen schauen. Vor allem darauf, welche grundsätzlichen Prioritäten die Teams setzen. Und was man daraus womöglich lernen kann.

Ich finde es generell spannend zu beobachten, was Teams hier wertschätzen - und wie häufig Franchises eben doch von einem Extrem ins andere gehen. Die Jets sind da bisher vermutlich das drastischste Beispiel, auf den offensiv geprägten und eher weniger mitreißenden Adam Gase folgt Robert Saleh, ein defensiver und charismatischer, emotionaler Coach.

Und ohne Jets-Fans gleich den Montagmorgen verhageln zu wollen, kam mir doch unweigerlich der Vergleich mit Rex Ryan in den Sinn, eine Art "Rex Ryan 2.0", wenn man so will. Auch Ryan war ein sehr guter defensiver Coach, der seine Teams motivieren konnte und für den die Spieler hart spielten. Die Probleme lagen damals häufig bei einer inkonstanten Offense, schlechtem QB-Play, das nicht ausgeglichen werden konnte und in der Kaderzusammenstellung auch oft bei einem Fokus auf die Defense.

Gleichzeitig aber führt das zu einer generell spannenden Frage: Was priorisiert man bei einem Head Coach? Welche Eigenschaften sind die wichtigsten? Eine Blaupause gibt es nicht; die Jets mit Saleh, die Lions mit, Berichten zufolge, Dan Campbell und auch die Jacksonville Jaguars mit der Verpflichtung von Urban Meyer - der nicht als offensiver Play-Caller fungieren wird - beantworten diese Frage für sich mit ihren Verpflichtungen relativ klar. Der "Program Builder" genoss hier Priorität, einer, der eine neue Kultur in eine Franchise einführen soll, der ein Anführer ist, der eine neue Franchise-Basis und -Identität aufbauen soll.

In der Theorie sind das alles wichtige Punkte. Ein Head Coach muss zweifellos ein guter Anführer sein, denn jedes Team geht mal durch schwierige Zeiten, und wenn dann derjenige an der Spitze nicht vorangehen kann, kann ein Team schnell auseinanderfallen.

Das Problem, das ich in der Praxis mit der Priorisierung dieser Eigenschaften sehe, ist vor allem die zeitliche Komponente.

NFL-Teams: Wie viel Zeit bekommt ein neuer Head Coach?

Einer Franchise eine neue Kultur, eine neue Identität - ohnehin alles sehr abstrakte Begriffe, genau wie "Leader of Men", zu dieser Zeit des Jahres besonders in Mode, - zu geben, das dauert! Teambesitzer fangen meist eher früher als später an daran zu zweifeln, dass der einst als Heilsbringer verpflichtete Head Coach wirklich derjenige ist, der die Kultur verändern kann, wenn die Ergebnisse ausbleiben.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Kultur einer Franchise wichtig ist, und diese wird maßgeblich durch den Head Coach vorgegeben und implementiert. Aber genauso bin ich davon überzeugt, dass das Implementieren dieser Kultur nur mit sportlichen Erfolgen funktioniert. Denn ohne relativ schnelle Erfolge erhält der Coach gar nicht die notwendige Zeit. Und ein Coach, der zu viel verliert, wird seine Idee von Kultur und Identität eines Teams ohnehin nicht zu den Spielern durchbringen. Warum sollten sie einem Coach folgen, der konstant verliert?

Siege erlauben es, dass eine neue Team-Kultur gebildet wird, in jeder Hinsicht. Und Siege kommen - was die Coaching-Seite angeht - vor allem über Fähigkeiten wie das Entwerfen guter Game Plans, Anpassungen im Spiel und natürlich das Play-Calling selbst.

Was mich dann auch zu einer Schlussfolgerung bringt, die nicht zu sehr verallgemeinert und eher als grobe Richtlinie aufgefasst werden sollte: Ich würde im Vakuum den offensiven Head Coach dem defensiven Head Coach grundsätzlich vorziehen.

Weil ich denke, dass die Offensive für kontinuierlichen Erfolg wichtiger ist als die Defensive, und ein defensiver Head Coach muss in den Soft Skills - Kommunikation, Leadership, Auswahl der Assistenten und generelles Delegieren von Aufgaben - schon wahnsinnig gut sein, um dieses Defizit aufzufangen. Denn immer wenn die Offense gut spielt, läuft dieser Head Coach Gefahr, seinen Offensive Coordinator und Play-Caller zu verlieren. Damit wird nachhaltiger Erfolg einfach wesentlich schwieriger.

Die Jets und Robert Saleh: Positive Vorbilder in der eigenen Division

Das macht etwa Kyle Shanahan und Sean McVay so wertvoll; beide beherrschen die schematische offensive Seite des Balls genauso wie die Arbeit mit Quarterbacks, aber auch das Anführen einer Organisation.

Brian Daboll könnte in dieser Hinsicht der aussichtsreichste derzeit gehandelte Kandidat sein - ein Coach, der sich über viele Jahre weiterentwickelt und unter einigen der besten Head Coaches überhaupt gelernt hat, und der gleichzeitig ein exzellenter Play-Caller für Josh Allen war.

Arthur Smith, der in Atlanta übernimmt, ist da schon eher eine Wildcard, weil er bisher eher als zurückhaltender Typ aufgetreten ist. Kann er eine Franchise anführen? Hier ist die Verbindung zur Shanahan-Offense spannend, in welcher Matt Ryan bereits so geglänzt hat. Das defensive Gegenstück dazu ist Ex-Rams-DC Brandon Staley, der neue Head Coach der Chargers. Ein offensichtlich modern denkender Defensive Coordinator, der einen sehr steilen Aufstieg hinter sich hat.

Ist er bereit, eine Franchise zu führen? Und wer wird sein Offensive Coordinator sein, um Justin Herbert zu entwickeln? Bleibt womöglich QB-Coach Pep Hamilton und wird zum Coordinator befördert? Doch selbst dann: Wie viel Kontinuität wird es auf der offensiven Seite mit Herbert geben, wenn man in jeder Offseason fürchten muss, dass ein vielversprechender Coordinator anderswo Head-Coaching-Angebote bekommen könnte? Gerade in diesem Spot hätte ich dazu tendiert, einen Head Coach zu holen, der langfristig mit Justin Herbert wachsen kann.

Zwei der positiven Beispiele für diesen Weg dagegen wären Sean McDermott in Buffalo und Brian Flores in Miami. Aber auch hier würde ich auf die Offenses verweisen: Beide hatten früh bei ihren neuen Teams Erfolg, weil sie eine exzellente Defense aufbauen können. Doch ist exzellente Defense nicht konstant aufrecht zu erhalten, das haben die letzten Jahre in der NFL eindrucksvoll untermauert.

Bei den Bills erfolgte dieses Jahr der Schritt weg von einem defensiv und hin zu einem offensiv geprägten Team. Die Defense wackelte, die Offense spielte groß auf. Wäre das ohne Daboll aufrecht zu erhalten? Bei den Dolphins wird in der kommenden Saison ebenfalls ebenfalls deutlich mehr kommen müssen, andernfalls wird Miami sportlich hinter den gewachsenen Erwartungen zurückbleiben.

Und dass dann bei mangelndem sportlichen Erfolg früher oder später der Head Coach - egal, wie stark sein Standing im Moment zu sein scheint - in den Fokus der Kritik gerät, ist ja nun keine mutige Prognose.

5. Was passiert bei den Texans und Eagles?

Zwei vakante Head-Coach-Posten sind noch komplett offen. Bevor das berichtete Front-Office-Drama in Houston seinen Lauf nahm, hatte ich die Texans weit oben auf meiner Liste. Der Kader benötigt einen größeren Umbruch, doch man bekommt als Coach schlicht selten die Chance, einen Top-5-Quarterback zu Beginn seiner Prime zu "übernehmen". Houston bietet nicht viel, aber das eben schon. Noch.

Hier lautet eine zentrale Frage, ob der neue GM Nick Caserio jetzt tatsächlich ein weiteres Netz spannt, oder ob das plötzliche "Interesse" etwa an Eric Bieniemy nur eine fadenscheinige Reaktion auf die berichtete Unzufriedenheit von Deshaun Watson ist. Und es bleibt die Frage, ob Watson überhaupt noch in Houston spielen wird - die jüngsten Berichte zumindest legen zunehmend nahe, dass ein Mega-Trade rund um Watson die große Story der kommenden Offseason werden könnte. Das wäre ein totales Desaster für die Texans.

Und dann wären da die Eagles. Hier bin ich sehr gespannt, denn die Eagles haben offensichtlich einen GM mit enormem Einfluss in Howie Roseman, Philly hat nicht den Luxus des Elite-Quarterbacks und vielmehr wird es die Aufgabe des neuen Head Coaches sein, im Idealfall Carson Wentz wieder in die Spur zu bringen. Mit einem in vielen Bereichen alten, sehr teuren Kader, der dennoch mehrere Schwachstellen hat.

Das ist von außen betrachtet im Vergleich ein ziemlich unattraktiver Job, um ehrlich zu sein. Wie zunehmend auch der Texans-Job. Will jemand wie Brian Daboll oder Eric Bieniemy hier überhaupt ans Steuer? Josh McDaniels in Philadelphia hätte jedenfalls ein enormes Explosionspotenzial.

Vielleicht wird deshalb aber auch aus der Not heraus die Wahl hier eher außergewöhnlich sein, und Philadelphia geht am Ende mit Panthers-Offensive-Coordinator Joe Brady volles Risiko, entwickelt gemeinsam eine Vision für einen erfahrenen Trainerstab, der Brady dabei hilft, in die Rolle eines Head Coachs zu wachsen, während er mit seinen Offense-Talenten dabei hilft, den Kader durch einen unvermeidbaren Umbruch kompetitiv zu halten.

Das könnte sich, wenn richtig durchgeführt, im Rückblick als Volltreffer erweisen. Aber es wird Geduld erfordern.