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(K)eine Spur von Krise

Russell Wilson erlebte gegen die St. Louis Rams einmal mehr einen harten Tag
© getty

Nach ihrer Auftaktpleite gegen St. Louis müssen die Seattle Seahawks in Week 2 zu den Green Bay Packers - es droht der Fehlstart. Panik ist unangebracht, doch beim Vizemeister sind einige Krisenherde am köcheln: Der Legion of Boom fehlt das Boom, die Offensive Line funktioniert erwartungsgemäß noch nicht. Auch das Image des fast familiär engen Teams bröckelt etwas - und doch gibt es einen in der Theorie denkbar simplen Ausweg. SPOX zeigt das Duell mit den Packers (Mo., 2.30 Uhr) im kostenlosen LIVESTREAM.

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Wieder war es das eine Yard, das Seattle seit nunmehr über einem halben Jahr verfolgt. Dieses Mal stand zugegebenermaßen nicht der Super Bowl auf dem Spiel, aber immerhin der Season-Opener gegen Division-Rivale St. Louis. Im Gegensatz zum längst berüchtigten Duell mit den Patriots im Februar in Arizona entschied sich Seattle bei Fourth Down and One dieses Mal für den Run, den so viele auch damals im Endspiel erwartet hatten. Doch Marshawn Lynch kam nicht einmal in die Nähe des First Downs.

Die Rams stoppten Beast Mode bereits im Backfield und besiegelten damit die Auftaktpleite des zweifachen NFC-Champions. "Ich denke, in der ersten Hälfte hatten wir so unsere Probleme. Da hat das Timing nicht gepasst", gab O-Line-Coach Tom Cable anschließend zu. "In der zweiten Halbzeit war schon vieles besser. Insgesamt aber habe ich es in der Art etwa erwartet, wenn ich ehrlich bin."

Geht die Unger-Rechnung auf?

In Zahlen bedeutete das: Sechs Sacks, sieben QB-Hits und 13 Quarterback-Hurries ließen die Quarterback-Beschützer gegen die, ohne jeden Zweifel herausragende, Front Seven der Rams zu. Nur zwei der fünf O-Liner sind noch in der gleichen Position wie im Super Bowl und Left Tackle Russell Okung trug an zwei der sechs Sacks die Schuld. Center Max Unger, im Zuge des Jimmy-Graham-Trades an die New Orleans Saints abgegeben, fehlte in seiner Rolle als Taktgeber auf dem Feld erwartungsgemäß an allen Ecken und Enden.

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Indem die Hawks Unger abgaben, unterstrichen sie das Vertrauen in Cable, einen der besten Line-Coaches der Liga. Doch selbst Cable kann nicht über Nacht aus einer unterdurchschnittlich besetzten Line eine solide Einheit formen - wenngleich Lynch und QB Russell Wilson durch ihren jeweiligen Stil keine Top-Line brauchen, um ihr Spiel aufs Feld zu bringen. Trotzdem wird die neue Einheit Zeit brauchen. Womöglich mehr Zeit, als die harte Division zulässt.

"Kam fehlt uns"

Schließlich fehlt nicht nur offensiv eine der absoluten Säulen: Der Holdout von Safety Kam Chancellor, der mehr garantiertes Geld in seinem Kontrakt sehen will, nähert sich der Zwei-Monate-Marke und eine Änderung ist kaum in Sicht. "Im Moment passiert nicht viel", verriet Coach Pete Carroll am Montag in seiner Radioshow. Doch mit Chancellor, der somit auch am Sonntag gegen Green Bay nicht dabei sein dürfte, fehlt nicht nur der harte Hitter in der Secondary.

Der Safety ist auf dem Platz eine der zentralen Figuren der Hawks-Defense, sein Einfluss wird häufig unterschätzt. Chancellor ist ein absoluter Tape-Freak und studiert jeden Gegner über Stunden und Stunden. So ist er häufig für die richtige Aufstellung der Defense zuständig und sagt Umstellungen unmittelbar vor dem Snap an. Davon abgesehen ist er einer der der unumstrittenen emotionalen Leader des Teams.

"Kam fehlt uns. Nicht nur die Art und Weise, wie er spielt, sondern auch seine Rolle als Anführer", erklärte Pass Rusher Michael Bennett unter der Woche. "Wir alle verstehen seinen Kampf und wollen, dass er bekommt, was ihm zusteht. Er ist einer der besten Safeties der Liga. Darum fehlt er uns natürlich." Carroll fügte hinzu: "Er muss zurückkommen. Mehr gibt es da nicht zu sagen. Wir brauchen ihn."

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Cornerback Richard Sherman allerdings war gleichzeitig bemüht, Chancellors Abwesenheit nicht als Ausrede für die Auftaktpleite zu nutzen: "Ich denke, da waren eher verpasste Tackles das Thema. Da war noch etwas Sand im Getriebe und wir hatten einige Kommunikationsfehler. Ich glaube allerdings nicht, dass wir die gleichen Fehler nicht auch gemacht hätten, wäre Kam Chancellor dabei gewesen."

Die gefürchtete Secondary im Umbruch

Es ehrt Sherman, der zuletzt auch häufiger im Slot eingesetzt wurde und dort wohl auch am Sonntagabend gegen Randall Cobb seine Snaps sehen wird, dass er Chancellors Holdout nicht für die Leistung auf dem Platz verantwortlich machen will. Doch klar ist auch: Die so gefürchtete Legion of Boom ist zurzeit noch längst nicht bei 100 Prozent - und das sogar unabhängig von Chancellor. Byron Maxwell, der ideale Nummer-2-Cornerback neben Sherman, verließ Seattle in Richtung Philadelphia, Cary Williams soll die Lücke füllen.

Williams kann das Spiel zwar etwas besser lesen, ist aber nicht so physisch wie Maxwell - in den Press-Coverage-Konzepten der Hawks könnte das noch ein Problem werden. Zudem verpasste Safety Earl Thomas große Teile der Saisonvorbereitung infolge seiner Schulter-OP und es dürfte noch etwas dauern, ehe Seattles womöglich wichtigster Verteidiger wieder bei 100 Prozent ist. Corner Tharold Simon fällt zudem wohl auch in Green Bay aus.

Die Folge der Probleme in der Secondary: Seattle ließ gegen die Rams, und somit gegen Nick Foles sowie eines der schwächeren WR-Corps der Liga, acht Passspielzüge von mindestens 20 Yards zu. In der kompletten Vorsaison kassierte die Hawks-Defense derer 32. Mit Aaron Rodgers und der Packers-Offense wartet jetzt ein ganz anderes Kaliber.

Härtetest Lambeau

Rodgers ist zuhause seit unfassbaren 512 Passversuchen ohne Interception, seit 2002 hat kein NFC-Team eine bessere Heimbilanz als die Packers (74 Siege, 29 Niederlagen, ein Unentschieden). Dem gegenüber stehen allerdings Seattles drei Siege in drei Duellen mit Green Bay. Russell Wilson, der im Vorjahr nur einen Pick auf des Gegners Platz warf, hat gegen die Cheeseheads somit noch nie verloren. Allerdings waren alle diese drei Partien in Seattle.

Zudem sind die Probleme der Hawks gegen St. Louis natürlich auch dem MVP, der am Sonntag ohne Right Tackle Bryan Bulaga (Knie) auskommen muss, nicht verborgen geblieben: "Kam ist ein toller, instinktiver Spieler. Er liefert Highlights ab, hat gute Hände und schnappt sich Interceptions." Chancellors Ersatzmann Dion Bailey, der beim Rams-TD zum Ausgleich eine Minute vor dem Ende so unglücklich weggerutscht war, darf sich wohl schon früh auf einige Bälle in seine Richtung gefasst machen.

Gleichzeitig gilt es aber, unabhängig vom Ausgang der Partie in Green Bay, nicht zu überreagieren und keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen. St. Louis hat sich in den vergangenen Jahren als Kryptonit der Hawks entpuppt, eine Pleite beim Division-Rivalen ist somit längst keine Sensation mehr. Gleiches würde für eine Niederlage in Green Bay gelten. Zudem startete Seattle auch im Vorjahr insgesamt schwach und stand nach sechs Spiele bei drei Siegen und drei Pleiten, ehe sie eine Defensivschlacht in Carolina denkbar knapp für sich entschieden und die Wende einleiteten.

Damals hob die Rückkehr des verletzten Linebackers Bobby Wagner die Defense wieder auf ihr Elite-Level. Ein ähnlicher Effekt ist auch in diesem Jahr nicht auszuschließen - wenn man sich denn mit Chancellor einigen kann.

Risse in der heilen Welt?

Und doch ist es auch in Seattle wichtig, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Das Team, das vor zwei Jahren mit unglaublichem, familiärem Zusammenhalt zum Super-Bowl-Sieg und in die Herzen vieler Fans gestürmt war, macht den natürlichen Prozess eines Teams durch, das anhaltenden Erfolg hat. Lynch kokettierte im Frühjahr einmal mehr mit dem Karriereende, bis er eine satte Vertragsverlängerung erhielt. Immer mehr Spieler wollen mehr Geld sehen: Neben Chancellor dachte auch Bennett offen an einen Holdout.

"Meine Situation ist anders als die von Kam", erklärte er allerdings am Donnerstag. "Ich habe drei Kinder und eine Frau. Die würde mir niemals erlauben, zu streiken. Deshalb musste ich zur Arbeit kommen." Carrolls College-ähnliche Atmosphäre im Team, gemeint in einem absolut positiven Sinn, wird regelmäßig auf eine harte Probe gestellt - für das jüngste Störfeuer sorgte die Mutter von Marshawn Lynch.

Via Facebook kritisierte Delisa Lynch Offensive Coordinator Darrell Bevell für dessen letzten Playcall in St. Louis: "Er sollte gefeuert werden! Das ist der schlechteste Play-Caller aller Zeiten. Er hat diesen dämlichen Spielzug nur deshalb angesagt, um seine Entscheidung im Super Bowl zu rechtfertigen. Das haben die meisten Fans ohnehin schon gemerkt."

Carrolls Antwort und die Lösung

Da war die leidige Super-Bowl-Erinnerung schon wieder. Carroll bemühte sich, den Brandherd möglichst schnell zu löschen und gab sich ganz entspannt: "Eine Mutter sorgt sich eben um ihr Kind, da ist doch nichts verkehrt dran. Unsere Fans und Familienmitglieder sind wahnsinnig leidenschaftlich und ich mache ihr sicher keine Vorwürfe dafür, dass sie als Mutter starke Gefühle hat."

Doch um den Super Bowl mit einem Sieg in Lambeau zumindest für eine Weile wieder abhaken zu können, wird vom Running Game deutlich mehr kommen müssen. Lediglich 3,9 Yards verzeichnete Seattle gegen die Rams pro Versuch und damit 1,5 Yards weniger als der Durchschnitt in der Vorsaison. Immerhin: Green Bay ließ bei seinem 31:23-Auftaktsieg gegen Chicago 189 Rushing Yards zu.

Und so ist das Rezept in der Theorie relativ simpel, wie Bennett mit Blick auf die Pleite in St. Louis klarstellte: "Auch ohne Kam hatten wir mehrere Chancen, das Spiel zu gewinnen. Hätten die Leute dann gesagt: "Hey, sie brauchen Chancellor gar nicht"? Unterm Strich geht es in dieser Liga immer um Siege oder Niederlagen. Wenn wir am Sonntag gewinnen, werden die Leute nicht mehr darüber reden."

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