NFL

Vom Himmel in die Hölle - und zurück?

Von Jan-Hendrik Böhmer
Plaxico Burress feiert im Trikot der New York Jets sein NFL-Comeback
© Getty

Plaxico Burress war ein Held. Beim völlig überraschenden Super-Bowl-Sieg der New York Giants im Februar 2008 fing er den entscheidenden Touchdown-Pass und wurde als Legende gefeiert. Wenig später war Plaxico Burress eine Hassfigur. Immer wieder hatte er Ärger mit dem Gesetz, schien sich auf seinem Talent auszuruhen und saß zuletzt knapp zwei Jahre im Gefängnis. Jetzt ist er wieder da - und hat mit den New York Jets gleich die Chance auf den ganz großen Wurf.

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LQ. Zwei ineinander verflochtene Neon-Buchstaben bilden das Logo über dem Eingang eines der legendärsten New Yorker Nachtklubs.

Sie stehen für Latin Quarter. Den Ort, an dem schon Frank Sinatra, Ella Fitzgerald, Run-DMC und MC Hammer auf der Bühne standen und legendäre Partys feierten. Den Ort, an dem unzählige Menschen bei Schießereien und Messerstechereien ihr Leben ließen.

Und den Ort, der deshalb in diversen Hip-Hop-Tracks besungen wird.

Von hier aus, unweit der noblen New Yorker Upper East Side, sind es gut 30 Kilometer bis zum Trainingsgelände der New York Jets. Für amerikanische Verhältnisse ein Katzensprung, doch für Plaxico Burress könnten diese beiden Orte nicht weiter voneinander entfernt liegen.

Auf der einen Seite: Das glamouröse LQ. Der Ort, an dem sich Burress 2008 in den rechten Oberschenkel schoss und daraufhin wegen des Tragens einer nicht registrierten Waffe für mehr als 20 Monate ins Gefängnis musste. Auf der anderen Seite: Das beschauliche Örtchen Florham Park in New Jersey, an dessen Rand die Jets ihr Quartier aufgeschlagen haben. Der Ort, an dem der mittlerweile 34-Jährige Wide Receiver seine vermutlich letzte zweite Chance nutzen will.

Disziplinloser Burress kam oft davon

"Ich brauchte dringend einen Neustart", sagt Burress im Gespräch mit SPOX. "Und nach allem was passiert ist, waren die Jets das erste Team, das wieder an mich geglaubt hat. Das war 2009. Dafür bin ich ihnen unendlich dankbar, denn sie haben mir damit über eine schwere Zeit geholfen, über viele lange Tage im Knast. Deshalb arbeite ich jetzt auch härter als jemals zuvor. Es ist eine großartige Chance."

Eine Chance, die sich Burress mehr als einmal beinahe verbaut hätte. "Mein Leben und meine Karriere verliefen nicht gerade vorschriftsmäßig", gesteht er. "Ich hatte keine Disziplin, habe schlechte Entscheidungen getroffen und nicht über die Konsequenzen meines Handelns nachgedacht. Und meistens bin ich damit durchgekommen." Mindestens neunmal wurde Burress während seiner Zeit in der NFL wegen diverser Delikte verklagt - konnte sich in letzter Sekunde aber immer freikaufen.

Burress: "Ich sah Feuer in meiner Hose"

Bis zum 28. November 2008. Nicht einmal fünf Minuten hatte er damals nach einem enttäuschenden Spiel mit den Giants im Latin Quarter verbracht, als sich seine im Hosenbund steckende Pistole (eine Glock 22, Kaliber 40) selbstständig machte.

"Ich hatte einen Drink in der Hand und ging die Treppe hoch", beschreibt Burress den Zwischenfall. "Es war Dunkel, verstehst Du, da habe ich eine Stufe verpasst und bin ausgerutscht. Dann habe ich gemerkt, dass die Knarre ins Hosenbein rutscht. Ich wollte sie greifen und... Boooow. Ich sah das Feuer in meiner Hose, habe aber nicht realisiert, dass ich mich gerade selbst angeschossen habe. Erst nach zwei weiteren Schritten habe ich gemerkt, dass meine Hose nass ist. Und mein Schuh voller Blut. Da wusste ich: Es gibt Ärger."

Zwischen Vergewaltigern und Mördern

Und wie. Diesmal wird die Anklage nicht in letzter Minute fallen gelassen, diesmal kann sich Burress nicht mit seiner charmanten, fast jungenhaften "Ich will doch nur spielen"-Art rausreden, diesmal kann auch sein dickes Scheckbuch nicht helfen. Bis zuletzt versuchte er noch, die Geschworenen zu besänftigen. Bittet vor der Grand Jury um Gnade, sagt Dinge wie: "Ich habe doch niemandem etwas getan...".

Vergeblich. Wegen des Besitzes nicht registrierter Waffen und leichtsinniger Gefährdung anderer wird er zu zwei Jahren Haft verurteilt. Einer seiner erbittertsten Gegner ist New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg. Der sagt: Burress muss hart bestraft werden. Er muss sich ändern.

Das Gefängnis "war die Hölle"

Gut 20 Monate hat Burress auf Rykers Island Zeit zum Nachdenken. 17 bis 18 Stunden sitzt er dort pro Tag in seiner Zelle. Zwischen Vergewaltigern und Mördern, wie er sagt, und muss mit anhören, wie die Wärter die anderen Insassen schikanieren. Und er fragt sich: Gehöre ich wirklich hier hin?

"Es war die Hölle. Jeden Morgen habe ich in den Spiegel geschaut und mir gesagt: 'Du hast dich da reingebracht, jetzt hol' dich da gefälligst auch wieder raus.'" Was ihm dabei geholfen hat? Seine Wut auf sich selbst. "Fast zwei Jahre lang konnte ich mir nicht verzeihen. Erst kurz vor meiner Entlassung habe ich endlich mit der Sache abgeschlossen und nach vorne geblickt", sagt Burress.

Seine Erkenntnis: "All diese Glamour-Dinge, die ich damals für so wichtig genommen habe, spielen am Ende überhaupt keine Rolle. Abends zu meiner Frau und den Kindern nach Hause gehen zu können, das ist es, was zählt. Und mit etwas Glück noch einmal Football spielen zu können."

Burress: "Lasse mich von niemandem runtermachen"

Klingt nach einem geläuterten Mann. Doch hat sich Plaxico Burress wirklich verändert? Macht er wie Philadelphia-Eagles-Quarterback Michael Vick eine öffentliche Transformation vom Sünder zurück zum Hoffnungsträger durch? Er gibt sich jedenfalls die größte Mühe, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen. So tritt er etwa freiwillig bei Veranstaltungen zur Prävention von Schussverletzungen auf und hilft bei Wohltätigkeitsprojekten für Jugendliche aus Problembezirken.

Ganz verstecken kann er sein altes Ich jedoch nicht. "Mein Name ist Plaxico Burress. Und ich lasse mich von niemandem runtermachen", entfährt es ihm, als er in einem TV-Interview unerwartet gebeten wird, sich selbst zu charakterisieren.

Und weiter: "Die Hälfte der Leute damals in der Jury hatten keine Ahnung, wer ich bin. Die haben einfach nur einen Afro-Amerikaner gesehen, der eine Menge Kohle hat, seine Knarre in einen Nachtklub schleppt und sich dann auch noch selbst damit ins Bein schießt."

Das Problem dabei, so Burress: "Schon meine Mutter hat gesagt: Das Leben ist nicht fair. Du wirst nur als die Person behandelt, zu der dich die Medien machen." Der Moderator ist sichtlich irritiert.

Kein Wunder. Denn davon, dass Burress an seinem Image als Lebemann und Draufgänger auch selbst nicht ganz unschuldig ist (etwa dadurch, dass er sich bereits während seiner Rookie-Saison von der MTV-Show "True Life" begleiten ließ), davon will er nichts wissen.

Noch besser als in 2008?

Generell will er eigentlich nicht mehr über die Vergangenheit reden. Viel lieber über die Zukunft. Und über Football. "Wenn einem das genommen wurde, was man am liebsten hat, dann weiß man, welche Privilegien man bisher genossen hat", sagt er. "Die Nächte im Gefängnis waren lang - und ich habe immer davon geträumt, neu anzufangen und mich wieder mit den besten Spielern zu messen."

Messen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Denn Burress ist sich sicher: "Ich werde da rausgehen und überragend spielen. So gut, dass sich die Zuschauer am Kopf kratzen und fragen werden: 'War der jemals weg?'. Denn ich weiß, was ich kann. Alle anderen erwarten, dass ich schlechter bin als 2008. Aber da höre ich nicht hin. Im Gegenteil. Ich glaube sogar, dass ich noch besser bin. Denn jetzt bin ich erst recht hungrig. Ich glaube, dass ich noch immer einer der besten Receiver der Liga bin. Ich betrete das Spielfeld, um zu dominieren."

Touchdown im ersten Spiel

Tatsächlich scheint Burress trotz seiner langen Auszeit und einiger kleinerer Verletzungen zu Beginn (Knöchel, Rücken) gut mithalten zu können. Der Grund: Hartes Training. Bereits kurz nach der Entlassung aus dem Gefängnis fuhr er nach Florida, um dort mit anderen NFL-Spielern zu arbeiten. Ganz ohne Glamour und großes Tamtam. "Am Ende geht es eben doch um Football", sagt Burress.

Und davon verstehe er nunmal etwas. "Natürlich haben sich einige Dinge verändert", sagt er. "Aber im Grunde geht es doch immer noch darum, den Ball zu fangen, die Taktik zu verstehen und wie ein Bescheuerter Richtung Endzone zu rennen. Das verlernt man so schnell nicht. Ich bin also bereit."

Wie bereit er ist, das zeigte Burress gleich in seinem ersten Spiel für die Jets, als er beim 27:7-Erfolg über die Cincinnati Bengals einen 26-Yard-Pass von Quarterback Mark Sanchez mit einem sehenswerten Flug in die Endzone fing. "Das lief alles wie in Zeitlupe", sagt er. "Surreal. Überhaupt wieder in einem Footballstadion zu stehen, sich aufzuwärmen - ich konnte es gar nicht glauben."

"Ich arbeite immer so, als wäre ich die Nummer eins"

Doch war sein großer Auftritt zum Comeback nur eine Ausnahme? Schließlich gilt Santonio Holmes als Sanchez' Nummer-eins-Anspielstation. Und neben Burress buhlen auch noch Receiver Derrick Mason (kam aus Baltimore) und Tight End Dustin Keller im Sanchez' Aufmerksamkeit.

Burress ist das egal: "Für mich spielt es keine Rolle, wo ich in der Team-Rangfolge stehe. Ich arbeite immer so, als wäre ich die Nummer eins. Ich werde hart arbeiten und noch härter spielen. Und ich werde zeigen, was ich kann, um die vielen Kritiker zum Verstummen zu bringen."

Das große Zeil: Der Super Bowl

Ob das nicht vielleicht ein bisschen viel Druck, ein bisschen viel Spektakel sei, wird Burress gefragt. Seine Antwort: "Seit ich aus dem Gefängnis gekommen bin, ist alles, was ich tue, überall, wo ich hingehe, ein Spektakel. Jedenfalls für die Außenstehenden. Für mich nicht. Nach dem, was ich alles durchgemacht habe, bin ich vollkommen entspannt. Ich werde mich zurücklehnen und genießen."

Sein großes Ziel: Der Super Bowl. Und die Chancen stehen gut. Denn nicht nur in der SPOX-NFL-Saisonvorschau gelten die Jets als einer der heißesten Kandidaten auf den Titel. "Das wäre das größte", sagt Burress. "Erst ein Titel mit den Giants, dann einer mit den Jets. Das müsste man besonders feiern." Ob er dafür wieder ins LQ gehen würde, lässt er allerdings lieber offen.

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