NFL

"Der Typ kann fliegen"

Von Jan-Hendrik Böhmer
Sam Shields spielt für die Green Bay Packers im Super Bowl
© Getty

Erst wollte ihn niemand haben, jetzt brachte Sam Shields die Packers mit seinen Interceptions in den Super Bowl. Eine Geschichte über Jugendsünden, Drogen und ein Missverständnis.

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Er ist eine der Überraschungen der Saison bei den Packers: Sam Shields. Er machte mit zwei Interceptions, einem Sack und einem Forced-Fumble gegen die Chicago Bears den Super-Bowl-Einzug seines Teams perfekt. Dabei wollte ihn vor der Saison niemand  haben - auch bei den Packers schaffte er es nur über Umwege in den Kader. Jetzt ist er aus Green Bays Defense kaum noch wegzudenken. SPOX sprach mit dem 23-Jährigen über seine Achterbahn-Karriere.

Ein Augenblick kann ein ganzes Leben verändern. Ein falscher Schritt. Ein falscher Blick. Oder ein falsches Auto. Und plötzlich ist alles anders. So wie bei Sam Shields.

Denn anstatt sich auf den NFL-Draft vorzubereiten, saß der gelernte Wide Receiver und Cornerback gut einen Monat vor dem bis dato wichtigsten Tag in seinem Leben plötzlich im Gefängnis. Der Grund: Drogen. Angeblich sei der 23-Jährige mit Marihuana erwischt worden. Würde sogar dealen, hieß es. Für die Medien ein gefundenes Fressen.

"Kein Mensch steht Sam Shields im Weg", sagte einer seiner Trainer damals. "Nur Sam Shields selbst steht Sam Shields im Weg. Wenn er sich selbst aus dem Weg gehen könnte, dann wäre er ein hervorragender Spieler. Ein Spieler, der das Zeug für die NFL hat."

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Wie genau er sich damals selbst im Weg stand, will Shields heute am liebsten vergessen. Es sind Relikte einer vergangenen Zeit, über die er nicht mehr gerne spricht. Er sagt nur, er sei damals noch nicht reif genug gewesen. Die Rede ist von diversen Suspendierungen im Football-Team der University of Miami. Es heißt, er habe "die falschen Dinge" getan. Vorlesungen geschwänzt, weil er den Stoff bereits kannte. Nicht hart genug trainiert.

Was genau er tat, ist auch egal: es war jedenfalls zu viel für die NFL-Scouts. Shields purzelte von den Draft-Boards aller Teams. 52 Defensive Backs wurden im 2010er Draft ausgewählt, mehr Spieler als auf jeder anderen Position. Doch Shields war keiner von ihnen.

Da half es auch nicht, dass sich die Drogen-Vorwürfe schon kurze Zeit später als falsch erwiesen. Die Polizei hatte den Appartment-Komplex, aus dem Shields gerade eine seiner zwei Töchter abholen wollte, gestürmt. Die Behörden vermuteten, dass dort Drogen verkauft würden. Shields hatte damit überhaupt nichts zu tun.

Ein klassischer Fall von: Zur falschen Zeit am falschen Ort.

"Alle haben damals gedacht, ich sei verhaftet worden, weil ich kiffe", sagt Shields. "Doch das ist völliger Blödsinn. Ich nehme keine Drogen, bin nie durch einen Drogentest gefallen. Ich habe in der High School ein einziges Mal eine Zigarette geraucht - und fand es widerlich."

"Ich dachte, meine Karriere wäre vorbei"

Dennoch sah alles danach aus, als würde niemand dem jungen Cornerback eine Chance geben. Dabei hatte er die Scouts mit seinem starken Workout am Pro-Day der Miami Hurricanes beeindruckt und sich damit laut vieler Experten einen Platz im Draft verdient.

"Das hat mich wahnsinnig gemacht", sagt Shields. "Ich dachte, meine Karriere wäre vorbei, bevor sie überhaupt begonnen hat. Ich machte mir ernsthafte Gedanken um meine Zukunft."

Sein Plan: Zurück an die Uni. "Wenn es mit dem Football nicht in letzter Minute doch noch geklappt hätte, dann würde ich jetzt vermutlich für meinen Abschluss in Sports Administration büffeln", erklärt Shields, der zu einem der klügsten Athleten seiner College-Division (ACC) zählte. Doch es kam anders. Ganz anders. Es kamen: die Packers.

Schnell, schneller, Schields!

Denn kurz nach dem Draft zeigten plötzlich sieben Teams Interesse am gelernten Receiver, der erst im letzten Jahr in Miami auf Cornerback umschulte. Unter ihnen: Green Bay.

Die Packers wollten Shields wegen seiner schnellen Beine. 4,20 Sekunden benötigte er am College angeblich für die im Football üblichen 40 Yards. Das ist schnell. Verdammt schnell. Das ist sogar schneller als alle Spieler beim letzten NFL-Combine. "Der Typ kann fliegen", sagte ein AFC-Scout. "Es gibt wohl kaum einen Receiver, der ihm wegrennen kann."

Die Packers sahen in ihm ein Special-Teams-Talent, waren beeindruckt von seinem 84-Yard-Kickoff-Return-Touchdown im Champs Sports Bowl zum Ausklang seiner College-Karriere. Shields' zweite Spezialität: Den Return-Spieler zum Fair-Catch zwingen. "Gunner" nennt man das im Football. "Ich liebe es", sagt Shields - und unterschrieb in Green Bay.

"Ich wollte es allen zeigen"

Doch wie wurde nun aus einem Special-Teams-Talent, dem in seiner College-Karriere keine einzige Interception gelungen war und dem man darüber hinaus Probleme beim Fangen des Balles attestierte, einer der beeindruckendsten Spieler der Playoffs?

"Ich hatte noch immer diesen Ärger in mir, weil ich beim Draft leer ausging", sagt Shields. "Ich wollte es allen zeigen und habe deshalb extrem hart an mir gearbeitet. Meine Teamkollegen und Coaches haben mir dabei sehr geholfen. Sie haben mein verborgenes Talent erkannt und gesagt, dass sie es endlich aus mir herausholen können. Sie haben mich erstklassig vorbereitet. Mich besser gemacht, mir meine Zweifel genommen. Wenn ich jetzt das Spielfeld betrete, dann lasse ich meinen Instinkten freien Lauf, anstatt zu grübeln."

Der Mann mit den klebrigen Händen

Erstmals glänzen konnte Shields bereits im Trainings-Camp. Beim traditionellen Wettkampf unter den Defensive Backs. Der heißt: Wer schnappt sich bis zum Saisonstart die meisten Interceptions? Und seit Jahren gab es hier nur einen Sieger: Charles Woodson. Doch mit Shiels hatte der erstmals Konkurrenz. "Wenn er zum Ball geht, passiert immer etwas Aufregendes", schrieb Tom Silverstein damals im "Milwaukee Journal Sentinel".

Kein Wunder. Schließlich weiß Shields als ehemaliger Receiver, wie man Bälle fängt. Von der High School bis zu seinem letzten College-Jahr war das sein Job. "Weil ich selbst lange Zeit Receiver war, weiß ich, wie ich sie verteidigen muss. Ich kann viele ihrer Routen vorhersehen und dann aggressiv auf den Ball gehen. Ich weiß, wie man Big Plays macht", erklärt Shields. Seinen Spitznamen Sticky trägt er seit der High School - weil früher scheinbar alles an seinen Händen kleben blieb. Und er sollte ihn sich auch in der NFL verdienen.

Playoff-Vorteil dank Shields und Williams

Als die Packers verletzungsbedingt rotieren mussten, durfte Shields als Nickelback ran. Als fünfter Mann in der Secondary. Ein wichtiger Job der oft gebrauchten Nickel-Verteidigung der Packers. "Ich habe eine große Chance bekommen - und ich habe sie genutzt", sagt er trocken. Eine Untertreibung. Im NFC-Championship-Game fing Shields zwei Pässe ab, sackte den Quarterback, verbuchte vier Tackles für sich und provozierte einen Fumble. Als erster Rookie in der NFL-Geschichte. "Seit seinem ersten Spiel für uns hat er sich enorm gesteigert", lobt Defensive Coordinator Dom Capers.

Zurecht. Denn erst das starke Spiel von Shields und die herausragenden Leistungen von Tramon Williams ermöglichen es den Packers, mit Woodson einen Cornerback für Spezial-Aufgaben abzustellen, ihn flexibel auf dem gesamten Feld einzusetzen und ihn beispielsweise auf gegnerische Quarterbacks wie Michael Vick anzusetzen. Eine taktische Variante, die Green Bay in den Playoffs schon oft einen entscheidenden Vorteil verschafft hat.

Ein Augenblick kann eine ganzes Leben verändern

Dass in der Packers-Secondary mit Shields und Williams gleich zwei junge Spieler positiv überraschen, haben sie ihren Teamkollegen zu verdanken. Dank Nick Collins und Charles Woodson wisse er endlich, was es heißt, ein Profi zu sein, sagt Shields. "Sie haben mir gezeigt, worauf ich beim Anschauen der Gametapes achten muss und wie ich Routen der gegerischen Angreifer noch besser erkenne." Auf die Frage, was denn sein Geheimnis sei, zögert er. "Meins?", fragt er. "Meins gibt es bei uns nicht. Wir sind ein Team. Jeder kennt seine Aufgabe und spielt gut mit den anderen zusammen. Wir reden viel. Das ist es."

Dann müsse er doch wenigstens aufgeregt sein. Er zögert wieder. Und sagt dann: "Natürlich hätte ich mir nie träumen lassen, dass mir so etwas passiert." Aber aufgeregt? Nein, das sei er nicht. Obwohl er zugeben muss, dass er in seiner gesamten Football-Karriere noch nie in einem echten Endspiel stand. "Nur als kleines Kind beim Pop-Warner-Football. Aber das zählt hier wohl nicht", sagt er - und lacht.

Ein Augenblick kann ein ganzes Leben verändern. Sam Shields weiß das. Er hat sich diesen Spruch zum Lebensmotto gemacht. "Ich war einmal zur falschen Zeit am falschen Ort", sagt er. "Und es hat mich stärker gemacht. Dennoch hoffe ich, dass ich jetzt immer richtig stehe."

Gast-Kolumne: Darum gewinnen die Packers den Super Bowl

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