Die Frau, die gerade dabei ist, alle Rekorde im Basketball zu pulverisieren, war beim sportlichen Großereignis des Jahres nicht einmal dabei. Caitlin Clark, darin sind sich alle Experten einig, hat das Zeug, um ihren Sport auf ein ganz neues Level zu hieven. Doch bei den Olympischen Spielen in Paris musste sie zuschauen.
Die amerikanischen Basketball-Frauen haben natürlich trotzdem die Goldmedaille geholt, auch wenn es im Endspiel gegen Frankreich eng wurde, und sind nun seit 61 Spielen ungeschlagen - seit Olympia 1992. Diese ungeheure Dominanz ist schon beeindruckend genug, doch da kommt noch mehr: Spätestens bei den Spielen 2028 in Los Angeles wird auch Caitlin Clark ein Jersey überstreifen und die USA noch stärker machen. An der 22-Jährigen wird in vier Jahren kein Weg mehr vorbeiführen, denn Clark ist bereits jetzt das Gesicht der WNBA. Der "Über-Star" ihres Sports.
Schließlich vereint sie das Land, wie es sonst derzeit gefühlt nichts vermag. Curry schrieb über sein weibliches Pendant, ihr Spiel sei "Must-See-TV", Dave Portnoy von "Barstool Sports" erklärte, man werde "Zeuge der Ankunft der besten Spielerin aller Zeiten." Stars, Journalisten und Fans wissen um ihr Ausnahmetalent. Geliebt wird sie von jung und alt, Männern und Frauen, Konservativen und Linken.
Caitlin Clark: Der weibliche Steph Curry - oder noch viel mehr?
Was Clark so besonders macht? Zu ihren College-Zeiten erklärte ESPN-Kommentator Stephen A. Smith, sie sei der Steph Curry des Frauen-College-Basketballs. Dabei bezog er sich auf ihre unglaublichen Dreier: aus dem Stand, aus dem Dribbling, per Fadeaway. Aber Clark ist nicht nur Schützin, sondern als Point Guard auch noch eine gewiefte Koordinatorin ihrer Offense, die zudem exzellente Pässe spielen kann.
Dennoch waren es vor allem ihre spektakulären Treffer von Downtown, die sie so beliebt machen. Ihre Highlights gehen viral, sind überall zu sehen auf Social Media und bei den Sendern, die zuvor fest in der Hand waren von männlichen Sportligen. Auf einmal wird Frauenbasketball sichtbar. Clarks Fähigkeiten sind so spektakulär, dass auch Nicht-Basketball-Fans davon begeistert sind.
Hunderte kommentieren und liken ihre Highlights, es gibt unzählige Fanpages auf Instagram, die sich nur mit Caitlin Clarks Leben und ihrem Spiel beschäftigen. Sie heißen "CaitlinClarkCenter", "CaitlinClarkStyle" oder "CaitlinClarkLove". Die gefeierte Heldin ist sympathisch, Fan-nah, hält sich fern von Kontroversen. Auch ihr eigener Schuh, bis jetzt von Ausrüster Nike nur angekündigt, hat einen Hype entfacht. Von kleinen Mädchen bis zu hartgesottenen Freizeitspielern: Alle warten auf den "Caitlin Clark Signature Shoe". Das gab es bei Jordan, LeBron oder Kobe, aber noch nie bei einer WNBA-Spielerin.
Der "Caitlin-Clark-Effekt"
Dort, wo alles angefangen hat, auf dem College in Iowa im Mittleren Westen, spricht man heute vom "Caitlin-Clark-Effekt". Denn vor ihr waren die Hallen halbleer, nur wenige sprachen über das Team oder den Frauen-Basketball an sich. Dann kam im Jahr 2020 Lokalmatadorin, geboren und aufgewachsen in der Hauptstadt Des Moines. Vier Jahre spielte sie an der University of Iowa, war dort das Aushängeschild und ein absoluter Punkte-Garant: Gleich in ihrem ersten Spiel 2020 legte sie 27 Punkte auf, mehrfach traf sie Game-Winner. Über die Jahre brach sie Rekord um Rekord und schaffte im NCAA-Viertelfinale sogar ein Triple-Double: Mit 41 Punkten,12 Assists und 10 Rebounds war sie die erste Spielerin mit einem 40-Punkte-Triple-Double im March Madness überhaupt.
Das hatte Folgen: Die Zuschauer füllten nur wegen ihr die Hallen bis auf den letzten Sitz, zahlten 1.000 Dollar für Tickets, reisten sogar mit auf Auswärtsspiele. Der Zuschauerschnitt in Iowa wuchs von 4.000 (Saison 19/20) im Schnitt auf 17.000 (Saison 23/24) an - ein Anstieg um über 300 Prozent. Zahlen, die man sonst nur von den Männern gewohnt ist, aber auch dort haben einzelne Spieler nur in absoluten Ausnahmefällen einen derartigen Einfluss. Und wenn, dann nur auf kleinen Colleges wie etwa Steph Curry damals bei Davidson.
Der Hype um Clark, er war verrückt: Ein Testspiel zu Beginn ihrer letzten Saison in Iowa wurde im Football-Stadion ausgetragen und brach den Zuschauer-Rekord im Frauen-College-Basketball: 55.646 Zuschauer fieberten im Kinnick-Stadium mit. Und auch die TV-Zuschauerzahlen schossen im Laufe ihrer College-Karriere in die Höhe: Auf dem Höhepunkt des College-Hypes verfolgten etwa 19 Millionen Menschen in den USA das NCAA-Damen-Finale, in welchem sie mit Iowa gegen den Top-Seed aus South Carolina verlor. Zum Vergleich: Beim Finale der Herren schauten etwa 15 Millionen Fans zu.
Eine neue Begeisterung für den Frauen-Basketball
Wer dachte, dass sich die Euphorie nur aufs College begrenzt sein würde, sah sich getäuscht: Knapp 2,5 Millionen Zuschauer schauten beim Draft zu, bei dem Clark von den Indiana Fever natürlich an erster Stelle gezogen wurde. Seitdem sieht man Männer, Frauen und Kinder mit ihren Jerseys in allen Hallen der Liga. Für ihre Auswärtsspiele ziehen gegnerische Teams regelmäßig in die großen Hallen der NBA-Teams um.
Aber: Nicht nur die Fever profitieren, sondern die ganze WNBA und der Damen-Basketball an sich. In den ersten fünf Saisonspielen gab es jedes Mal über eine Millionen Zuschauer am Bildschirm, im Schnitt waren es 226 Prozent mehr als in der Vorsaison (1,4 Mio. zu 400k). Die WNBA-App wurde 146 Prozent öfter heruntergeladen und auch bei allen übrigen Teams kommen 14 Prozent mehr Zuschauer.
Und: Clark verändert auch das Leben der anderen Spielerinnen. Im Gegensatz zur NBA gab es bislang keine Charterflüge für die Teams. Das soll sich jetzt ändern: WNBA-Commissioner Cathy Engelbert, kündigte in den kommenden zwei Jahren Investitionen von 50 Millionen Dollar an, um Flüge für jedes Auswärtsspiel zu buchen. Mit Clark brachte sie das nicht explizit in Verbindung - andere haben diesen Filter nicht. Charles Barkley etwa sprach Klartext: "Ihr solltet diesem Mädchen dafür danken, dass sie euch private Charterflüge besorgt hat. Bei all dem Geld und der Publicity, die sie der WNBA bringt, solltet ihr nicht so kleinlich sein wie die Kerle. Hört zu, was sie erreicht hat, gönnt ihr die Blumen."
Worauf Chuck anspielte: So beliebt Clark in der Öffentlichkeit war bzw. ist: Innerhalb der Liga selbst kam sie nicht so gut an.
Caitlin Clark: Missgunst und harte Fouls in der WNBA
A'ja Wilson etwa, Star-Spielerin der Las Vegas Aces und unlängst einstimmig zum MVP gewählt, war zu Beginn genervt vom Hype um Clark: "Sie ist ein Rookie. Ihr stellt uns ständig diese Fragen, als ob sie eine erwachsene Frau wäre, die schon seit Jahren in dieser Liga spielt ... Ich habe dieses Thema einfach satt".
Sie war nicht die einzige, die mit der Euphorie nichts anfangen konnte: WNBA-Legende Diana Taurasi prophezeite Clark ein unsanftes Erwachen in der Liga: "Du siehst übermenschlich aus, wenn du gegen 18-Jährige spielst. Aber jetzt wird sie auf erwachsene Frauen treffen, die schon lange Profi-Basketball spielen." Womit sie zumindest zu Beginn Recht hatte: In ihren ersten Spielen tat sich Clark schwer, verzeichnete in ihrem Debüt direkt einen Rekord für die meisten Turnover (10).
Dazu wurde die Aufbauspielerin so hart angegangen, dass sich ihre Trainerin und sogar LeBron James öffentlich beschwerten. Harte Fouls, Pöbeleien und eine extreme Körperlichkeit waren der Preis des Ruhms.
Diese Startschwierigkeiten legten sich aber schnell, wie schon auf dem College fing Clark an Rekorde zu brechen: Sie war der erste Rookie mit einem Triple-Double, brach den Rekord für die meisten Assists (19) in einem WNBA-Spiel, wurde mehrfach Rookie of the Month und wurde der erste Rookie mit 450 Punkten und 200 Assists. Natürlich schaffte sie es auch direkt zum WNBA All-Star Game und erhielt dabei die meisten Fanstimmen (700.735) - für WNBA-Verhältnisse eine Wahnsinnszahl.
Ihre erste Regular Season beendete Clark mit 19,2 Punkten, 5,7 Rebounds und 8,4 Assists im Schnitt, bei 34,4 Prozent von der Dreierlinie und stolzen 35,4 Minuten pro Spiel. Trotz eines schwachen Starts in die Saison (3-9) qualifizierten die Fever sich souverän für die Playoffs, im MVP-Ranking landete sie als Rookie auf dem vierten Rang. Fortsetzung folgt.
WNBA: Die erste Playoff-Runde (best-of-three) im Überblick
Höherer Seed | Niedriger Seed | Stand |
New York Liberty (1) | Atlanta Dream (8) | 1-0 |
Minnesota Lynx (2) | Phoenix Mercury (7) | 1-0 |
Connecticut Sun (3) | Indiana Fever (6) | 1-0 |
Las Vegas Aces (4) | Seattle Storm (5) | 1-0 |
Warum der Frauen-Basketball boomt
Dass Caitlin Clark ein veritabler Superstar ist und der Frauen-Basketball generell einen Aufschwung erlebt, hat auch etwas mit dem College Basketball zu tun. Bei den Männern ist dort "one-and-done" mittlerweile üblich, sprich: Die richtig guten Spieler sind nach ein paar Monaten schon wieder weg und wagen den Sprung in die NBA. Dadurch fehlen Geschichten, Rivalitäten, Drama und die Bindung der Fans. Bei den Frauen dagegen sind drei oder vier Jahre dagegen normal, zumal sich in der WNBA ja auch nicht wirklich viel verdienen lässt (siehe unten).
Neben - oder teilweise auch in Clarks Kielwasser - haben sich so andere bekannte Namen herausgebildet, die auf ihrem Weg in die WNBA eine beachtliche Fangemeinde aufgebaut haben. Angel Reese ist das beste Beispiel, eine ausgezeichnete Rebounderin, die sich auf dem College bei LSU als Clarks Rivalin etablierte und in der Öffentlichkeit quasi die böse Gegenspielerin gibt. Als die beiden im NCAA-Finale 2023 aufeinandertrafen, kosteten die Tickets knapp 400 Dollar, Reese hatte das bessere Ende für sich. Zwei komplett unterschiedliche Spielerinnen und Persönlichkeiten, im besten Fall könnte sich eine Art "Magic vs. Bird" entwickeln.
Neben Clark und Reese mauserte sich auch Paige "Buckets" Bueckers bei UConn zum Publikumsliebling. Die Geschichte der 22-Jährigen zeigt das Dilemma des Frauen-Basketballs und der WNBA auf: Bueckers dürfte 2025 sicher in den Top-3 gedraftet werden, wenn nicht sogar an eins. Allerdings hat sie schon jetzt einen Profivertrag unterschrieben - nicht in der WNBA, sondern bei der 3x3-Liga "Unrivaled". Die will den Hype ausnutzen und verspricht das höchste Durchschnittsgehalt im amerikanischen Frauensport: Jede Spielerin soll mindestens 100.000 Dollar verdienen. Peanuts im Männersport, aber nicht bei den Frauen.
Caitlin Clark und die WNBA: Es geht mal wieder ums Geld
Denn in der WNBA verdienen die besten Spielerinnen zwar bis zu 250.000 Dollar - die beste Deutsche Satou Sabally kassiert 195.000 Dollar -, viele bleiben aber auch unter der genannten Marke. Caitlin Clark bekommt in ihrer Rookie-Saison mickrige 76.000 Dollar, wohingegen Victor Wembanyama, ebenfalls erster Pick im Draft, in seiner Rookie-Saison in der NBA 12,1 Millionen Dollar abräumt.
Aufgrund dieser geringen Gehälter spielten zuletzt viele WNBA-Stars in der Offseason in Russland, der Türkei oder auch in China, wo man im besten Fall an der Millionen-Dollar-Grenze kratzen konnte. Auch Rollenspielerinnen verdienten teilweise deutlich mehr als in der WNBA.
Das setzt die WNBA unter Druck. Zwar hat die Liga jüngst im Schatten der NBA einen neuen Media-Deal bekommen. 2,2 Milliarden Dollar gibt es von Disney, Amazon und NBC für 11 Jahre, auf ein Jahr heruntergerechnet in etwa viermal so viel wie zuvor. Das ist alles kein Vergleich zur NBA: Die Männer bekommen für den gleichen Zeitraum 76 Milliarden Dollar. Die Kluft wird also eher noch größer, Mega-Deal für die Frauen hin oder her.
Man profitiert davon, dass der College-Basketball Stars produziert. Aber die müssen angesichts der wachsenden Konkurrenz erst einmal angelockt bzw. gehalten werden. Die Liga muss es schaffen, für Talente weiter attraktiv zu bleiben. Das schaffen sie zum einen mit solchen Änderungen wie den nun gecharterten Flügen, aber auch das Gehalt muss sich verbessern. Zwar wurde die WNBA jahrelang subventioniert, aber angesichts der boomenden TV-Quoten werden sich die Stars nicht abspeisen lassen wollen.
Wenn Spielerinnen nach dem College in andere Ligen gehen, nach Europa oder Konkurrenzligen in den USA, könnte das momentane Hoch auf mittlere Sicht wieder abflachen. Gerade jetzt, zu Beginn der "Caitlin-Clark-Ära", müssen die richtigen Knöpfe gedrückt werden. Dann steht ihr - und den ihr nachfolgenden Stars - womöglich ein goldenes Zeitalter bevor, das man vor ein paar Jahren noch nicht für möglich gehalten hätte.