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Michael Jordan-Biograph Sam Smith im Interview: "Er kauft Scottie die Migräne immer noch nicht ab"

Im Umgang mit seinen Mitspielern überschritt Michael Jordan einige Grenzen.
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Als "The Jordan Rules" erschien, behaupteten mehrere Bulls-Spieler öffentlich, dass Vieles darin nicht wahr sei. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Unterhaltung mit Jordan nach dem Erscheinen?

Smith: Er hat nie mit mir darüber gesprochen. Er hat über 30 Jahre nie ein Wort darüber zu mir gesagt. Er war offensichtlich nicht begeistert ... aber ich bin davon überzeugt, dass er es nie gelesen hat. Das Buch ist ja keine Attacke gegen ihn. Wenn man es komplett liest, nimmt man viel Positives mit und ein paar negative Details, über die seine Teamkollegen eben gesprochen haben. Das war nichts sonderlich Schlimmes. Das Problem war einfach, dass es dieser riesigen Marketing-Kampagne widersprach, die Michael als perfektes menschliches Wesen verkaufte. Er warb für Nike, McDonald's, Coca-Cola, die größten amerikanischen Firmen, und er sollte dafür einfach als der nette Junge von nebenan gelten, den jeder gern als Schwiegersohn hätte. Aber Michael war nicht dieser Schwiegersohn. Er hat seine Mitspieler hart behandelt und viele waren davon nicht begeistert. Ich habe ihn ja nicht als Kriminellen dargestellt oder als schrecklichen Menschen, aber eben über das berichtet, was mir die Leute erzählt haben.

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Wie sind Sie mit dieser Kontroverse umgegangen?

Smith: Ich hatte einen Hintergrund als Investigativ-Reporter schon über politische Themen berichtet, etwa über den Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 1980. Mir wurde damals von meinem ersten Redakteur beigebracht: Wenn du investigativ berichtest, dann stehe hinter deiner Story. Nicht nur idealistisch, sondern auch physisch. Du musst zu der Person gehen und dich präsentieren, wenn so etwas erscheint. Daran habe ich mich immer gehalten. Ich habe mich auch in dem Buch nicht auf anonyme Quellen bezogen. Ich bin damit also zu Jordan gegangen und sagte ihm: "Wenn du Fragen hast oder dich etwas stört, sag mir Bescheid. Ich bin hier." Das hat er nie getan.

Sam Smith: "Es blieb stets professionell"

Wie liefen dann in der Folge die Gespräche zwischen Ihnen?

Smith: Ich rechne es ihm hoch an, dass er immer professionell mit mir umgegangen ist. Wenn ich in Gruppen Fragen stellte, beantwortete er die ganz normal. Als er 1995 zurückkam, wurde er etwas entspannter und gab mir auch wieder einige Exklusiv-Interviews. Aber die lockere Beziehung, die wir vorher hatten, das gemeinsame Scherzen und Reden über alles Mögliche, das gab es später nicht mehr. Nicht von meiner Seite, nicht von seiner Seite. Aber es blieb stets professionell.

Wenn Sie meinen, dass er das Buch nicht gelesen hat; warum hat es ihn dann gestört?

Smith: Das mag wie eine klassische Journalisten-Ausrede klingen, aber ich denke, dass Vieles einfach aus dem Kontext gerissen wurde. Was damals diskutiert wurde, war ja nie das ganze Buch und der größere Kontext, sondern es ging um einzelne Passagen, die ihn für sich genommen negativer dastehen ließen, als wenn man sie im Buch lesen würde. Ich glaube, das hat ihn gestört, was ich im Übrigen auch verstehen kann.

Sie haben das perfekte Image angesprochen, das für Jordan damals aufgebaut wurde. Bezieht man es auf die heutige Zeit: Denken Sie, dass es in Zeiten von Social Media möglich wäre, so etwas zu kreieren?

Smith: Ich denke schon. LeBron James ist ja auch eine transzendente Figur, wenn auch nicht ganz auf diesem Level. Das Timing spielte bei Jordan allerdings auch eine Rolle, weshalb ich seit Jahren sage, dass es keinen "nächsten MJ" geben wird. Kein Sportler hatte diesen gesellschaftlichen Einfluss, was teilweise zeitbedingt war. Die NBA kam dank Magic Johnson und Larry Bird gerade so richtig ins Rollen, als Jordan kam. Und was dann passierte ... Jordan hat den weltweiten Stil verändert. Es war vorher unerhört, mit Sneakers rumzulaufen, jetzt ist das ein Fashion Statement. Männer haben ihren Kopf geschoren, weil sie es wollten, es wurde ein Look. Die langen Shorts, die Ohrringe - Jordans Einfluss ging weit über den Sport hinaus. Und dann der Erfolg: Als er einmal anfing, zu gewinnen, hörte er nicht mehr damit auf. Er galt als perfekt, und das hat keiner nach ihm erreicht: Kein Kobe, kein LeBron. So wie die Liga jetzt strukturiert ist, denke ich auch nicht, dass das dupliziert werden kann. Gleichzeitig hätte ihn das Internet noch größer machen können.

War Michael Jordan neidisch auf LeBron James?

Seitdem er zurückgetreten ist, hat er sich zurückgehalten und kaum Interviews gegeben. Was glauben Sie, weshalb er nun auf einmal bereit war, seine Persönlichkeit im Rahmen dieser Dokumentation zu zeigen?

Smith: Das weiß ich nicht. Es hat mich auch sehr überrascht. Eine Theorie, von der ich gehört habe, besagt, dass er neidisch auf die Aufmerksamkeit war, die LeBron bekommen hat. (lacht) Aber ich weiß nicht, ob ich das glauben soll. Er ist ein Milliardär, er hat seinen privaten Golfplatz, er hat eine neue Familie mit jungen Kindern. Was ich mir eher vorstellen kann: Er ist an einen Punkt gelangt, an dem es ihm egal ist, was die Leute über ihn sagen. Ich tue und sage jetzt, was ich will. Er hat sich über die Jahre so sehr verschlossen, dass er jetzt vielleicht diese Freiheit braucht. Aber ich kann letztlich auch nur spekulieren. Mich hat es überrascht, weil er ja auch seit Jahren an keinerlei NBA-Aktivitäten teilgenommen hat. Er hat auch selbst früher gesagt: "Wenn ich aufhöre, dann seht ihr mich nie wieder." Das hat sich nun offensichtlich geändert, und es geht sicherlich nicht darum, dass er das Geld braucht. Das ganze Projekt hätte ohne sein Einverständnis nicht umgesetzt werden können. Selbst ich musste so etwas unterschreiben, als ich mein Interview für die Doku gegeben habe. Ich werde sowieso nicht bezahlt, also war mir das egal. Vielleicht beantwortet er diese Frage ja in den letzten Folgen noch, ich wüsste es auch gerne.

Denken Sie, dass die bisherigen Folgen ein korrektes Bild von seiner Persönlichkeit gezeigt haben?

Smith: Überwiegend. Natürlich ist es nicht vollständig; seine Leute sind als ausführende Produzenten beteiligt, also ist nicht zu erwarten, dass jedes negative Detail zu sehen sein wird. Es ist keine unabhängige Produktion. Das ist aber auch in Ordnung, denn auf diese Weise hat man ihn dazu bekommen, die Interviews zu geben, die der beste Teil des Ganzen sind. Trotzdem bekommt man einen guten Einblick in die Konflikte und seine harte Seite und es freut mich, dass er dazu nun auf diese Weise bereit ist.

Gibt es etwas Bestimmtes, das Sie sich von den noch ausstehenden Folgen noch erhoffen?

Smith: Ich hoffe einfach auf möglichst viel Authentizität. Die Leute kennen ihn von den Meisterschaften, als sehr souveräne Figur, aber das ist nicht wirklich er. Und das ist das Beste an der Dokumentation: Man sieht ihn entspannt, mit seiner Zigarre, wie er über alte Duelle sinniert und immer noch gegen Isiah Thomas stichelt, weil ihn diese Fehde immer noch beschäftigt. Jordan grollt, das hat man ja auch bei seiner Aufnahme in die Hall of Fame gesehen. Das ist der echte Jordan.

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