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Das war’s noch nicht

Von Thorben Rybarczik
Gordon Hayward zog sich beim Season Opener eine schwere Verletzung zu
© getty

Der Saisonstart verkam für die Boston Celtics durch die schlimme Verletzung von Gordon Hayward zum Desaster. Sieg oder Niederlage gerieten in den Hintergrund, die Gegner fühlten mit dem Kelten. Es ist aber zu früh, das Team nach dem wahrscheinlichen Saison-Aus des Star-Neuzugangs abzuschreiben - das zeigte auch die zweite Halbzeit.

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Irgendwann schaut man halt doch hin, obwohl man es gar nicht will.

Wohl jeder Sportfan - ob aktiv oder passiv - war schon einmal dabei oder hat es vor dem Bildschirm miterlebt, wenn sich ein Athlet so schwer verletzt, dass Sieg oder Niederlage plötzlich unwichtig und banal erscheinen. Einen solchen Moment mussten nun auch die 20.000 Fans und Sportler in der Quicken Loans Arena erleben, als nach nicht einmal sechs Minuten Celtics-Neuzugang Gordon Hayward zu Boden ging.

Das Unglück passierte bei einem Standard-Play. Hayward cuttete ohne Ball backdoor zum Korb und wurde von Kyrie Irving per Alley-oop bedient. Doch der Versuch scheiterte - und beim Landen geriet Hayward so unglücklich zwischen die Gegner LeBron James und Jae Crowder, dass sein linkes Bein einwirkenden der Kraft nicht standhalten konnte.

Die Nummer 20 fiel und zeigte auf seinen linken Fuß, der im unnatürlichen 90-Grad-Winkel vom Bein abstand. Ein Schiri erkannte den Ernst der Lage sofort und rief die Ärzte aufs Parkett, die sich sogleich um Hayward kümmerten. Ansonsten: Stille.

Hayward-Verletzung: LeBron James betet

Selbst der sonst so eloquente TNT-Kommentator Kevin Harlan sagte minutenlang gar nichts, nachdem er die Lage zuvor sehr schnell, nüchtern und richtig mit "Gordon Hayward has broken his leg" eingeordnet hatte. Dwyane Wade kniete am Spielfeldrand nieder, LeBron James betete. Spieler auf der Cavs-Bank, vor der sich der Unfall ereignet hatte, verließen ihren Platz, um sich das Bein nicht anschauen zu müssen. Die Celtics-Mannschaft fand sich auf der anderen Seite in einem Huddle zusammen, Kyrie Irving vergrub sein Gesicht in den Schultern der Mitspieler.

Die minutenlang andauernde, beängstigende Stille in der normalerweise so lauten Arena wurde dann durchbrochen, als Hayward - inzwischen mit verhülltem und geschientem Bein - auf eine fahrbare Trage gehoben und in die Katakomben geschoben wurde. Zuvor kam unter anderem noch LeBron James vorbei, der Hayward die besten Wünsche mit auf den Weg gab und dadurch mal wieder seinen Sportsgeist unter Beweis stellte. Doch auch die eigentlich gegnerischen Fans zeigten Größe, als sie dem Verletzten lautstark applaudierten. Selbst die Security machte mit, Sicherheitsmänner klopften Hayward aufmunternd auf die Schulter.

Die erste Diagnose für Hayward, die noch aus der Arena heraus verbreitet wurde: ein ausgerenkter Knöchel und ein gebrochenes Schienbein. Inzwischen wurde er wohl ins New England Baptist Hospital eingeliefert, einer Partner-Klinik der Celtics. Dort soll er zeitnah operiert werden. Für Prognosen hinsichtlich der Ausfalldauer ist es sicherlich zu früh, doch ein Saison-Aus gilt als wahrscheinlich.

Kyrie Irving: Eine der schlimmsten Verletzungen überhaupt

"Das war wohl eine der schlimmsten Verletzungen, die ich je gesehen habe", sagte Irving, der auch 2014 dabei war, als sich Paul George im Camp des Team USA eine ähnlich verheerende Verletzung zugezogen hatte, nach dem Spiel. Auch LeBron drückte seine Anteilnahme aus und wünschte Hayward und der Familie viel Kraft. "Niemand will, dass so etwas passiert, ganz egal, um welchen Spieler es geht oder aus welchem Team er kommt. So etwas schmerzt", fügte James außerdem an.

Als es nach der Verletzungs-Unterbrechung plötzlich weiterging, wirkten die ersten Spielzüge recht surreal - so richtig schaffte es niemand, per Knopfdruck wieder in den Profi-Modus zu schalten. Den Cavs gelang dies in der Folgezeit besser, sie legten noch im ersten Viertel einen 14:2-Run hin, der die erste komfortable Führung brachte, die bis zur Pause (54:38) noch ausgebaut wurde.

Nun wäre es praktisch zu erwarten gewesen, wenn die Celtics sich davon nicht mehr erholen, wenn sie aufgrund der traumatischen Ereignisse einbrechen würden und das Spiel herschenken.

Es sollte anders kommen. Coach Brad Stevens musste in der Halbzeitpause beeindruckende Worte gefunden haben, denn seine Männer kämpften sich zurück in die Partie und schnupperten nach einem Comeback sogar am Sieg. Und weil ihnen dies gelang, ist es falsch zu schreiben, dass die Hoffnungen auf einen Finals-Run der Celtics nach nur sechs Saison-Minuten geplatzt sind. Oder dass die Saison gelaufen ist und die jahrelange Geduld von Ainge, mit seinen vielen Assets ein neues Superteam zu formen, nach dem ersten Viertel der Saison 2017/18 für die Katz war.

Die Jungen müssen alt werden

Klar, der Ausfall Haywards ist ein herber Rückschlag, vor allem im direkten Messen mit den Cavaliers. Im Rahmen des Irving-Trades war seine Personalie fast schon untergegangen und die Leute vergaßen, dass er in der letzten Saison mit 21,9 Punkten im Schnitt einen ähnlich großen Einfluss in Utah hatte wie Kyrie in Cleveland. Nun sollten die beiden das Prunkstück eines neuformierten Teams bilden, ein neuer 1-2-Punch im Osten, dass vor allem die Offense auf eine neue Ebene hebt. Daraus wird jetzt erstmal nichts.

Aber abschreiben sollte dieses Team niemand. Das hängt auch mit Coach Brad Stevens zusammen, der in der Lage ist, aus jedem Spezialisten im Team einen Leistungsträger in bestimmten Situationen zu formen. Da wäre zum Beispiel Jaylen Brown - der 21-jährige Sophomore, der in Cleveland 40 Minuten abriss und dabei nicht nur hart arbeitete, sondern auch 25 Punkte und viele Highlights lieferte.

Oder Marcus Smart, der mit gewisser Wut im Bauch spielt, weil die Celtics darauf verzichtet hatten, seinen Rookie-Vertrag kurzfristig zu verlängern und ihn im Sommer 2018 somit zum Restricted Free Agent machen. Das spornt ihn offenbar positiv an, wie seine Defense und seine Aggressivität im offensiven Postspiel gezeigt haben.

Oder Jayson Tatum - ein Rookie, der direkt in einem Top-Team Starter ist und trotz Wurfproblemen auf ein mehr als ordentliches Debüt samt Double-Double kam. Diese Liste könnte noch weiter gehen über Marcus Morris, der noch mit Knieproblemen pausiert und großen Einfluss auf die Offense haben kann, über Terry Rozier oder auch Arbeiter Daniel Theis, der bei seinem ersten Regular Season-Spiel noch ein "DNP" kassierte.

Celtics: Immer weiter nach vorne

Sie alle haben allerdings gemeinsam, dass sie nicht spielen und auftreten dürfen, wie es ihr Alter im Ausweis suggeriert. Das ist gewissermaßen unfair, da sie deutlich schneller reifen müssen als Jünglinge in anderen Franchises - aber der Umgang mit der Situation von Isaiah Thomas' in den vergangenen Playoffs hat gezeigt, dass dies möglich ist. Natürlich nur bezogen auf die Spieler, die damals schon an Bord waren.

Auch besteht die Chance, noch einmal auf dem Spielermarkt aktiv zu werden und sich extern zu verstärken. Im Falle eines Saison-Aus von Hayward würde eine sogenannte Disabled Payer Extension greifen, die in diesem Fall rund 8,4 Millionen Dollar wert ist und in einen neuen Spieler investiert werden darf.

Das Wichtigste sei allerdings zunächst, betonte Coach Stevens, "dass sich Gordon vollständig und erfolgreich erholt". Mehr gebe es nicht zu sagen, alles andere sei unwichtig. Dem Coach dürfte Haywards Ausfall besonders nahegehen, schließlich verbindet die beiden eine besondere Beziehung. Stevens - damals NCAA-Coach bei Butler - hatte Hayward einst am College rekrutiert und diesen von einem No-Name zum Erstrundenpick geformt.

Der junge Jaylen Brown indes brachte es mit einer weiteren Ansage auf den Punkt: "Wenn man in Not gerät, hat man zwei Optionen: Aufgeben oder nach vorne schauen und weitermachen. Wir haben uns für die zweite Option entschieden", erklärte er nach dem Spiel in Ohio.

Und die zweite Halbzeit hat gezeigt, dass das nicht nur irgendeine Floskel war - sondern dass die Celtics auch in neuer Formation ein Team sind, dass viele Rückschläge wegstecken kann.

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