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Ein Werkzeug für Harden

Von Jan Menzner
Clint Capela hat sich bei den Houston Rockets neben Superstar James Harden etabliert
© getty

Clint N'Dumba Capela ist Schweizer. Er ist 22 Jahre alt, 2,08 Meter groß, spielt Basketball für die Houston Rockets - und ist kaum bekannt. Das liegt vor allem an Teamkollege James Harden, dessen MVP-Saison alles überstrahlt. Capela ist kein Playmaker, kein Dominator. Er ist vielmehr "nur" ein Werkzeug in der Hand Hardens. Ein verdammt wichtiges Werkzeug!

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Es ist ruhig im Toyota Center in Houston. Gerade hat Nikola Jokic einen einfachen Layup zur frühen 10:5-Nuggets-Führung versenkt und die Menge zum Schweigen gebracht.

Doch sofort danach rennt Center Clint Capela quer über den Court. Eric Gordon bringt den Ball ins Spiel. Zwei Dribblings von Harden, dann kommt der lange Full-Court-Pass auf den Schweizer.

Mit beiden Händen donnert Capela den Spalding durch die Reuse - und auf einen Schlag ist Houston aufgewacht. Die Fans stehen. Die Mannschaft zieht das Tempo an. Drei Minuten später haben die Rockets die Führung, die sie im Anschluss zügig bis auf 17 Punkte ausbauen.

Mit dem Sieg über die neuntplatzierten Nuggets sichern sich die Texaner den dritten Platz im Westen - einen großen Anteil daran hat auch der junge Center, der Plays abliefert, wenn sie am dringendsten benötigt werden. Trotzdem findet Capelas mehr als solide Statline (15 Punkte, 11 Rebounds, 7/10 FG) neben den 31 Punkten und 10 Assists von James Harden kaum Beachtung. Zu Unrecht!

Von Genf nach Houston

Der 22-jährige Schweizer mit kongolesischen Wurzeln meldet sich 2014 zum Draft an, nachdem er zuvor bereits in der französischen Basket Pro A-Liga gespielt hat. An 25. Stelle pickt Houston den Center mit dem Hintergedanken, das Talent vorerst in Europa reifen zu lassen.

Doch bereits im Post-Draft Interview kündigt Capela an, sofort in die USA wechseln zu wollen, worauf sich die Franchise zähneknirschend einlässt. Trotzdem parkt man ihn zunächst im eigenen D-League Team, so dass Capela 2014/15 lediglich auf zwölf Regular-Season-Einsätze kommt.

Im zweiten Jahr ändert sich das jedoch deutlich: Mit 77 Einsätzen und durchschnittlich 19 Minuten Spielzeit wird der Sophomore ständiger Bestandteil der Big-Man-Rotation - hinter einem gewissen Dwight Howard.

Howard-Abgang als Türöffner

Obwohl die Rockets-Saison 15/16 mit Kevin McHales Entlassung, dem "Dwightmare" und dem frühen Playoff-Aus wohlwollend als chaotisch bezeichnet werden kann, liefert der junge Big Man über die ganze Spielzeit beständig ab (7 Punkte, 58,2 Prozent FG, 6,4 Rebounds).

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Dies bleibt auch bei den Mitspielern und GM Daryl Morey nicht unbemerkt. Als im Laufe des Jahres die beiden Alpha-Tiere Howard und Harden immer häufiger aneinander geraten, werden Stimmen laut, die sich für Capela als Center der Zukunft aussprechen.

In der Free Agency passiert es dann: Dwight Howard wird zum Hometown-Hero in Atlanta und die Rockets müssen sich zwischen Capela und Nene als Starting Center entscheiden. Die Wahl fällt auf den Schweizer - und der zahlt das Vertrauen zurück.

Perfektes Werkzeug

Den Starting-Job vor Augen, arbeitet Capela in seiner zweiten Offseason an den bis dahin desolaten Freiwürfen und legt rund fünf Kilo Muskelmasse zu, da er seine Physis selbst als größte Schwäche identifiziert hatte. Trotzdem verliert er nichts von der Beweglichkeit, die ihn in Kombination mit seinen 2,08 Meter Körpergröße zum idealen Pick-and-Roll-Partner von James Harden macht. Gleichzeitig eignet Capela sich mit etwa 2,26 Meter Spannweite und seinem kräftigen Absprung auch perfekt als Abnehmer von Lobs und Alley-Oops.

In der Rockets-Offense, die komplett auf Megastar Harden aufbaut, ist Capela mit seinem Skillset ein erstklassiges Werkzeug, das Harden mit gut getimten Pässen optimal einzusetzen weiß.

Trotz lediglich vier Minuten mehr Spielzeit schraubt der Schweizer deshalb seine Zahlen im Vergleich zum Vorjahr deutlich nach oben: 12,3 Punkte pro Spiel, eine Wurfquote von 63,2 Prozent und 8,1 Rebounds reichen für ein Player Efficieny Rating von 21,3 - Platz neun unter den Centern, die mehr als die Hälfte der Regular Season-Spiele absolviert haben. Damit liegt er übrigens zwei Ränge vor Ex-Rocket D8.

Effizient dank D'Antoni-System

Doch wie erzielt ein offensiv durchaus limitierter Center wie Capela so gute Zahlen? Viel hängt mit der Spielphilosophie zusammen, die Mike D'Antoni zu Beginn der Saison 16/17 etabliert: "Ich bin kein Post-up-Typ", sagt der neue Coach bereits in der Preseason.

Die Plays, die Howard in der vergangenen Saison trotz mäßigem Erfolg andauernd gefordert hatte, werden danach beinahe komplett aus dem Playbook gestrichen. Houston agiert in der laufenden Saison nur in 2,2 Prozent aller Angriffe über den Post. Das ist Liga-Tiefstwert. Mit Abstand.

SPOX analysiert die Spielphilosophie D'Antonis

Stattdessen steigt die Anzahl an Pick-and-Rolls deutlich. Vor allem solche, bei denen der abrollende Big zum Korbabschluss kommt, führen die Rockets gnadenlos aus: Pro Play verzeichnen sie dabei 1,14 Punkte, was nur von den Clippers übertroffen wird.

Hochprozentiger Finisher

Hierbei profitiert er von Hardens erstklassigen Anspielen. Capela ist zwar kaum in der Lage, für sich selbst zu kreieren, muss dies dank des Bartes aber auch nicht. Über 80 Prozent seiner Punkte erzielt er nach Vorlagen. Dabei ist er äußerst zuverlässig und lässt kaum Chancen liegen.

Für seine soliden Leistungen erntet Capela im Laufe der Saison immer mehr Anerkennung durch Coach D'Antoni und nachdem er den Grizzlies im März 24 Punkte eingeschenkt hatte (8/14FG, 11 Rebounds), zeigt sein Trainer sich geradezu begeistert: "Clint ist wahrscheinlich der Typ, der mich am meisten verrückt macht. Er hätte genauso gut 35 und 20 haben können."

Dass Capela seine eigenen Leistungen mit einem "ich mache nur das gleiche wie im Training" sofort wieder relativiert, zeigt, warum er der ideale Gehilfe für Harden ist. Er kennt seine Stärken und Schwächen (einziger Rocket-Spieler ohne Dreierversuch), akzeptiert seine Rolle in der zweiten Reihe und weiß, dass er vor allem ein Werkzeug für Maestro Harden ist.

Kein Konkurrent für Harden

Capela ordnet sich selbst dem Teamerfolg und nicht zuletzt dem Ego des Stars bereitwillig unter. Er stellt dringend benötigte Picks und zieht gegnerische Center weg vom Korb, um Platz für Harden zu schaffen.

Obwohl er nicht überdurchschnittlich verteidigt, ist er mit seiner Schnelligkeit und Armlänge ein mehr als passabler Ring-Beschützer. Sein defensives Net-Rating lag 2015/16 sogar knapp über dem des dreifachen DPoY Howard.

Abseits des Platzes fällt Capela kaum auf und versucht dem Medienzirkus um Vielleicht-MVP Harden aus dem Weg zu gehen. Während der Guard sich im Blitzlicht sonnt, verabredet sich Capela über Twitter mit Fans zum FIFA spielen oder beantwortet deren Fragen direkt über Social Media.

Nächste Prüfung: Playoffs

Bald jedoch wird sich Capela nicht mehr so leicht verstecken können. In den Playoffs muss der Center genauso wie das gesamte Rockets-Team beweisen, dass er auch auf der großen Bühne bestehen kann. Trotz seines jungen Alters kann Capela dabei auf ein wenig Playoff-Erfahrung zurückgreifen, da er bereits in seiner Rookie Saison für den verletzten Donatas Motiejunas in die Bresche gesprungen war.

In diesem Jahr kommen voraussichtlich die Thunder in der ersten Runde ins Toyota Center. Neben dem Schlüssel-Match-Up der beiden MVP-Kandidaten Harden und Westbrook wird auch das Duell der jungen Starting Center den Ausschlag geben über Sieg oder Niederlage.

Jump Ball: Wer wird MVP?

Mit Steven Adams steht Capela dabei ein Spieler gegenüber, der ihm einen Blick in seine eigene Zukunft ermöglichen könnte. Der ein Jahr ältere Adams nutzte seine Chance neben Superstar Westbrook optimal und wurde dafür mit einem Vertrag über knapp 100 Millionen Dollar und vier Jahre entlohnt. Der Rookievertrag Capelas läuft noch bis 2018 - danach müssen die Rockets sich überlegen, ob ihnen der bodenständige Schweizer ebenso viel wert ist.

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