NBA

Mehr als der moderne Oscar

Russell Westbrook wurde endgültig aus dem Käfig gelassen
© getty
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Kein Knockdown-Shooter

Westbrook ist freilich kein klassischer Egoist - aber es ist für Flügelspieler schon schwierig, mit ihm zu koexistieren, wenn sie keine Knockdown-Shooter sind und den Ball kaum in der Hand brauchen, um effektiv zu sein. Dieser Spielertyp fehlt OKC derzeit völlig, zumal Anthony Morrow kriselt (nur 30,1 Prozent 3FG!).

Westbrook hält den Ball pro Spiel 8,7 Minuten, nur seine Backups Cameron Payne und Semaj Christon knacken wenigstens drei Minuten. Nur bei den Rockets ist dieses Ungleichgewicht noch größer, allerdings wird Harden eben von gleich mehreren herausragenden Shootern flankiert und kann daher trotzdem ausreichend flexible Offense kreieren.

OKC hat den Ein-Mann-Fastbreak Westbrook, den Pick'n'Roll-Handler Westbrook, den Iso-Player Westbrook, den Pull-Up-Shooter Westbrook sowie Putbacks von Kanter, Adams und natürlich Westbrook. Oh, und Kanter kann im Post isoliert werden und manchmal erarbeitet sich Oladipo einen Wurf. Das mag in der Regular Season oft reichen - ein Testament für Westbrooks Brillanz -, wäre in einer Playoff-Serie aber viel zu leicht auszurechnen.

Miese Wurfauswahl

Das ist in OKC nichts wirklich Neues, auch in den KD-Jahren glänzten die Thunder offensiv nie mit Kreativität. Das konnten sie sich allerdings um einiges besser leisten, als sie noch den komplettesten und effizientesten Scorer der NBA in ihren Reihen wussten. Nur die Raptors spielen heuer weniger Pässe als OKC pro Spiel, diese haben aber wenigstens zwei potente Scorer - und nicht bloß einen.

Zumal Westbrooks Wurfauswahl ihn immer davon abhalten wird, ein für sich effizienter Scorer zu sein. Ein altes Problem: Mehr als ein Viertel seiner Würfe sind Dreier, obwohl er ein klar unterdurchschnittlicher Shooter ist (32,7 Prozent 3FG). Mehr als ein Drittel seiner Würfe nimmt er aus der Mitteldistanz, aus der er aber nur 36,7 Prozent trifft. Insgesamt sind fast genau die Hälfte seiner Würfe Pullup-Jumper nach einigen Dribblings - bei einer 37,2-prozentigen Quote.

Natürlich entstehen dadurch etliche sogenannte "Kobe-Assists", also Fehlwürfe, die von seinen Big Men oder sogar von ihm selbst für Putbacks wieder eingesammelt werden. Dennoch: Hochprozentig schließt er selbst nur in unmittelbarer Korbnähe ab (57,1 Prozent), sowie bei den 10,4 Freiwürfen, die er sich pro Spiel erarbeitet (82,4 Prozent).

Daher ist seine True Shooting Percentage, die alle Wurfarten und -quoten gewichtet mit einbezieht, unter allen Guards, die wenigstens 25 Spiele absolviert haben, nicht einmal unter den Top 50 zu finden (54,4 Prozent). In der Crunchtime sinkt sie sogar noch um einige Prozentpunkte auf kalte 51,1 Prozent.

Nicht wirklich Playoff-tauglich

OKC in der Crunchtime ist generell eine faszinierende Angelegenheit. Westbrooks ohnehin schon perverse Usage Rate steigt in Situationen, in denen das Spiel in den letzten fünf Minuten durch 5 oder wenige Punkte getrennt ist, auf astronomische 60,8 Prozent - der nächste Rotationsspieler ist Harden mit bloß 47,9. Man kann nicht besser verdeutlichen, wie sehr er den Ball in der Schlussphase dominiert.

Vor diesem Hintergrund überrascht es schon fast, dass OKC in den 24 "clutch" Spielen dieser Saison bisher eine 14-10-Bilanz aufweist, aber wie schon gesagt: Das wird nicht mehr funktionieren, wenn sich in den Playoffs vernünftige Defense vernünftig auf diese "Strategie" einstellen können. Und das weiß wohl auch in OKC jeder, mit Sicherheit aber General Manager Sam Presti.

Der individuelle Peak?

Auch der talentierteste und besessenste Individualist ist auf Hilfe angewiesen. In diesem Fall handelt es sich zwar um den vielleicht explosivsten Spieler der NBA-Geschichte, aber auch dieser hat bereits drei Knie-Operationen hinter sich. Gerade aufgrund seiner Vollgas-Spielweise ist es durchaus riskant, Westbrook jede Partie zum spielerischen Kampf bis zum Tod machen zu lassen. Auch wenn es verdammt unterhaltsam sein kann.

Gut möglich, dass OKC schon zur Trade Deadline in irgendeiner Form aktiv wird, mit relativ großer Sicherheit wird sich aber spätestens im Sommer etwas tun. Die Thunder haben andere Ansprüche, als irgendwo im Mittelfeld des Westens herumzudümpeln, ohne echte Chance, zu den wahren Top-Teams aufzuschließen. Und diese haben sie derzeit nicht.

Gut möglich also auch, dass wir Russ nur in dieser Saison in diesem Rampage-Modus erleben werden. Natürlich wird er seine Spielweise nie vollkommen ändern, aber es kann sehr gut sein, dass dies der athletische - und statistische - Peak des 28-Jährigen ist. Wir sollten es genießen.

Russell Westbrook leistet derzeit individuell etwas, das vor ihm noch niemand erreicht hat. Auch nicht Oscar Robertson.

Die Statistiken in diesem Artikel stammen von nba.com/stats, ESPN und basketball-reference.com und sind auf dem Stand vom 18. Januar.

Russell Westbrook im Steckbrief

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