NBA

Man darf ja noch träumen

Kyle Lowry nach Spiel 4 im Gespräch mit ESPN-Reporterin Doris Burke
© getty

Kyle Lowry und die Toronto Raptors wurden schon etliche Male abgeschrieben, doch nun sollte man nicht mehr an ihnen zweifeln - die Cleveland Cavaliers werden ihrem Favoritenstatus nur dann gerecht werden können, wenn sie schleunigst die Antworten auf einige fundamentale Fragen finden. Game 4 zeigte die Schwächen des Teams schonungslos auf.

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Die Raptors kennen sich mittlerweile recht gut damit aus, dass niemand sie wirklich ernst nimmt. Das war nach der ersten Runde so, als man sieben Spiele brauchte, um sich gegen keineswegs starke Pacers durchzusetzen und dann die deutlich prominenteren Heat vor der Brust hatte. Das war nach der zweiten Runde so, als man gegen ebendiese Heat abermals sieben Spiele brauchte und dann die Cavaliers vor der Brust hatte.

Das war nach zwei deutlichen Niederlagen gegen die Cavs so, und auch noch nach dem dritten Spiel, das Toronto deutlich für sich entscheiden konnte - ein Ausrutscher, mit Sicherheit! Und wenn wir ehrlich sind: Auch im vierten Spiel, als Cleveland nach desolater erster Hälfte Anfang des vierten Viertels doch wieder knapp in Führung lag, hätten vermutlich auch die allerwenigsten noch auf die Raptors gesetzt.

Abermals haben die Raptors, hat vor allem Kyle Lowry die Zweifler Lügen gestraft. Und ganz gleich, ob man nun denkt, dass Toronto vielleicht sogar in die Finals einziehen könnte - man kann sich immerhin sicher sein, dass die Cavaliers diesen Gegner nun endlich richtig ernst nehmen.

Keine Rim-Protection in Sicht

Ganz unabhängig davon, wie die Serie nun ausgehen wird, haben die Raptors nämlich durchaus ernstzunehmende Schwachstellen beim haushohen Favoriten offenbart. Beispielsweise die Tatsache, dass die Defense nicht gerade sattelfest ist.

Auf die Penetrationen von Lowry, DeMar DeRozan und Cory Joseph fehlte eine Antwort, da kein echter Rim-Protector Teil der Rotation ist, seitdem Timofey Mozgov aus ebendieser rausgeflogen ist. Tristan Thompson oder Channing Frye versuchten es, aber wer die Wirkung eines echten Ringbeschützers sehen wollte, hätte diese nur auf der anderen Seite begutachten können - Bismack Biyombo hat bei allen Cavs außer LeBron James und Kyrie Irving einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

A propos Irving: Offensiv spielte Uncle Drew gut, defensiv aber sah er gegen Lowry dermaßen schlecht aus, dass einem Angst und Bange vor eventuellen Duellen gegen Stephen Curry oder Russell Westbrook werden konnte. Ähnlich wie J.R. Smith, der DeRozan trotz dessen fehlender Wurfstärke von außen fast nie effektiv vor sich halten konnte.

Zu abhängig vom Dreier

Noch so ein Apropos: Irving war ebenso wenig wie der komplett indisponierte Kevin Love Teil des Lineups, das Cleveland überhaupt erst zurück in die Partie brachte. In den ersten 7:48 Minuten des vierten Viertels, als die Cavs elf Field Goals in Folge trafen und insgesamt 27 Punkte machten, hießen die Protagonisten überwiegend James, Matthew Dellavedova, Channing Frye, Richard Jefferson und Iman Shumpert.

In den letzten 4:12 Minuten (Kyrie kam rund sechs Minuten vor Schluss wieder rein) gelangen nur 3 Punkte bei einem von zehn aus dem Feld. Natürlich war das nicht allein Uncle Drew anzulasten, aber gerade die Pick'n'Roll-Chemie mit LeBron ist bei Dellavedova einfach um einiges besser. Die Defense ist es bekanntermaßen ebenfalls.

Es ist darüber hinaus kein Zufall, dass sich der Ball schneller und flüssiger durch die Cavs-Reihen bewegt, wenn LeBron ohne seine beiden Co-Stars auf dem Court steht. Ein Problem ist das freilich nicht, wenn die Würfe von außen so fallen wie in den ersten beiden Runden - allerdings war das eben auch ein historisches Niveau. Wenn sie so fallen wie in Halbzeit eins (3/21 3FG), kann es dagegen auch mal richtig hässlich werden.

Die oft zitierte Abhängigkeit von LeBron bleibt zudem ein Thema - potenter Supporting Cast hin oder her. 46 Minuten musste James ran, in den zwei Minuten die er nicht auf dem Feld stand, fabrizierten die Cavaliers ein desaströses Net-Rating von -60.

LeBron zieht seinen Hut

Tyronn Lue wird sich vor Spiel 5 etwas einfallen lassen müssen, wie er insbesondere gegen Lowry verteidigen lässt und wie er sein Team offensiv wieder unabhängiger vom Dreier machen kann. Es kann nicht in seinem Interesse sein, dass es abgesehen von James und Irving fast kein Spieler auch nur versuchte, in Torontos Zone zum Abschluss zu kommen. "Wir brauchen wieder eine bessere Balance", analysierte auch James nach dem Spiel.

Die Cavs haben in den beiden Niederlagen in Kanada jeweils über 40 Dreier genommen, das gab es in der Playoff-Geschichte noch nie - es ist in diesem Fall jedoch kein Rekord, über den sich LeBron besonders freuen wird. Das Defensiv-Schema der Raptors, die vor allem gegen ihn meterweit Platz ließen, ist für seine Spielweise Gift, wenn ihm die Mitspieler kein gutes Spacing zur Seite stellen.

LeBron gab dennoch zu Protokoll, er sei optimistisch, dass sich die Cavs in heimischer Halle wieder deutlich besser präsentieren würden - aber auch er hat mittlerweile anerkannt, dass seine sechste Finals-Teilnahme in Folge gegen diese Raptors nicht mehr in Stein gemeißelt ist. "Ich muss meinen Hut ziehen, vor allem vor Kyle und DeMar. Sie waren großartig heute", sagte der viermalige MVP.

Lowry kann auch "Punches austeilen"

Und damit lag er vollkommen richtig. Während Biyombo in den letzten Minuten Rebound für Rebound einsackte, schmissen DeRozan und Lowry vorne mit unbändigem Willen die Show. "Immer wenn wir einen Fehler gemacht haben, haben sie den eiskalt ausgenutzt", merkte auch der sichtlich zerknirschte Lue an.

Seinem Gegenüber Dwane Casey war anzumerken, dass er es so langsam doch wagt zu träumen: "Das war nur ein Spiel in einer Best-of-7-Serie, aber wir sind mittendrin. Niemand hat uns auch nur die geringste Chance gegen Cleveland gegeben. Jemand hatte gesagt, ein einziger Sieg sollte unser Ziel sein. Das sehe ich anders."

Der Mann des Tages pflichtete ihm bei. "Wenn sie einen Punch austeilen, teilen wir auch einen aus. Und wenn sie uns dreimal schlagen, müssen wir sie eben viermal schlagen", sagte Lowry. "Wir müssen verstehen, dass sie sich nicht einfach hinlegen und aufgeben werden. Das werden wir aber auch nicht tun."

So wie er das sagte, ruhig und selbstbewusst, konnte man Lowry richtiggehend ernst nehmen. Es haben vielleicht nicht viele erwartet, aber die Eastern Conference ist nach vier Spielen tatsächlich offen.

Der Spielplan im Überblick

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