NBA

The Long Term Project

Von Gregor Haag
Kristaps Porzingis (r.) zieht zum Korb, Zaza Pachulia kann nur zuschauen
© getty

Für die einen ist Kristaps Porzingis ein Darko Milicic 2.0, für die anderen eines der größten Prospects der Liga. Dabei will "Zinger" erst mal richtig in der besten Liga der Welt ankommen.

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Jeder hat seine Jugendsünden: Kleidung, für die man sich heute schämt, Ohrringe, die man heute beim besten Willen nicht mehr tragen würde. In Kristaps Porzingis' Fall sind es die Haare: Von seinem neunten bis ungefähr zwölften Lebensjahr trug der schlaksige Balte Cornrows à la Allen Iverson, wie sie bis Mitte der 2000er in Mode waren. "Ich habe den Look geliebt - und all die Mädels auch", verriet der sympathische Big Man, nachdem eine Video-Dokumentation über ihn aufgetaucht war und seinen damaligen Frisurenstyle offenbarte. Dass Porzingis auch sonst ein lockerer Zeitgenosse ist, erkennt man schnell: Ende Oktober stellt sich der 2,21-Meter--Riese einem "Q&A" auf Twitter und beantwortet die Fragen der Fans ganz unbefangen und eben auch mit einem gewissen Humor. "Wen möchtest du am liebsten mit aufs Poster nehmen oder blocken?", fragt beispielsweise ein Fan. Die nüchterne Antwort: "Wer auch immer Trash-Talk mit mir redet ..."

Klar, der Nummer-4-Pick von 2015 versucht, beim NYC--Publikum anzukommen, sich eine Fanbase aufzubauen. Denn die Buhrufe der Knicks-Anhänger vom Draft-Abend hallen dem Center womöglich immer noch im Kopf umher wie ein Taylor-Swift-Song. Auch die Kritiker wurden vor und nach dem Draft laut - nicht zuletzt TV-Experte Stephen A. Smith war "empört", als Phil Jackson den jungen Europäer in den Big Apple holte. Kristaps jedoch wirkt in den ersten Wochen völlig unberührt von alledem, macht unbeirrt sein Ding, ist Starter und zeigt bereits in den ersten Saisonspielen sein immenses Potenzial (Dreier und Putback-Dunks sind nicht die schlechtesten Empfehlungen). Abseits des Parketts ist er ein ruhiger und besonnener Typ, der froh ist, überhaupt in der NBA zu sein.

Mehrere Stolpersteine

Der Weg dorthin verlief für den in Liepaja, Lettland, geborenen Big Man nämlich nicht immer ohne Hindernisse. Als ein lettischer Spieleragent im Jahr 2010 einigen spanischen und italienischen Clubs Highlight-Videos von dem damals 15-jährigen Talent zukommen lässt, geht alles ganz schnell: CB Sevilla, ein mittelmäßiger Verein in der ersten spanischen Liga ACB, meldet sich zurück und lädt "K.P." zu einem Tryout für seine Jugendmannschaft ein. "Ich kam mit meinem Bruder für ein paar Tage nach Sevilla, aber es war so unglaublich heiß - ich konnte einfach keine Top-Leistung abrufen. Trotzdem bekam ich einen Vertrag im Sommer 2010 angeboten, den ich dann auch unterschrieben habe", erinnert er sich. Porzingis überzeugt die Coaches und gehört ab der Saison 2011/12 zum Kader der Jugendmannschaft. Da ist er nun, fernab der Heimat, 15 Jahre jung, vollkommen unerfahren, eigentlich fast noch ein Kind. Und das nur, weil er ein ganz passabler Basketballer sein soll - ein monströser Schritt für den dünnen Kristaps, damals 2,03 Meter groß und 71 Kilogramm leicht.

So kann man dem netten Letten einen guten Einstieg in seinen neuen Lebensabschnitt nur wünschen - es kommt jedoch ganz anders. Ein Ernährungsberater des neuen Teams stellt schon nach dem ersten Tryout fest, dass "Zinger" unter Anämie leidet. Bei dieser seltenen Krankheit ist die Hämoglobinkonzentration im Blut ungewöhnlich vermindert, was vor allem die Sauerstofftransportkapazität erheblich einschränkt. Die Folge: Er wird im Training sehr schnell müde, hat oft mit Atemnot zu kämpfen. Eine weitere Barriere, die sich in den Weg des Hünen stellt, ist die spanische Sprache. Anfangs hat er große Schwierigkeiten, mit Coach und Mitspielern zu kommunizieren. Seine Probleme in der neuen, professionellen Umgebung werden zwar nach und nach aus dem Weg geräumt, doch sie bescheren dem Jungen anfangs wahrlich keine leichte Zeit.

Kontinuierlich an die Spitze

Kristaps ist aber nicht umsonst über 4.000 Kilometer quer durch den Kontinent in eine fremde Stadt gezogen: Im Juniorenbereich gehört er schnell zu Europas Besten, nimmt gleich zwei Mal am "Euroleague Basketball Next Generation Tournament" (damals trägt es noch den Namen "Nike International Junior Tournament") teil, bei dem sich die besten europäischen U18-Auswahlen jährlich zusammenfinden. Dass er bereits im September 2012 seinen ersten Einsatz für das Seniorenteam feiert, unterstreicht sein enormes Talent.

2013/14 folgt der Durchbruch: In seiner zweiten Saison im Trikot des Erstligisten beweist der Center, dass er auch mit den erfahrenen Euro-Big-Men mithalten kann, und legt mit 20 Zählern ein neues Career-High auf. In der darauffolgenden Spielzeit verbessert er sich erneut, kommt in 34 Partien auf 10,7 Punkte sowie 4,8 Rebounds im Schnitt. Auch über die Landesgrenzen hinaus werden die Leute langsam auf ihn aufmerksam: Zum Saison-ende wird er bester Jungspieler des Eurocups und zum zweiten Mal in Folge ins "ACB All-Young Players Team" gewählt. Nächster logischer Schritt? Klar, der NBA-Draft.

Gut Ding will Weile haben

Doch wenn man in die Sphären der besten Basketballliga der Welt vorgedrungen ist, halten die Kritiker mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Und die sagen über den "Zinger" meistens: zu dünn, zu unathletisch, nicht NBA-ready. "Ich muss auf jeden Fall smarter und aggressiver werden", sagt Kristaps selbst. Aber der am höchsten gedraftete Balte der NBA-Geschichte hat Potenzial: Sein Wurf hat Range, zu Beginn ließ er einen Duncan-ähnlichen Bank-Shot erkennen, seine Fußarbeit kommt ihm sowohl im Post als auch in der Defense zugute. Und er ist 2,21 Meter lang ...

Fest steht: Allein wegen Kristaps Porzingis werden die Knicks in -naher Zukunft wohl nicht mehr Spiele gewinnen. Aber sie haben in ihm einen vielversprechenden Rohdiamanten im Kader, der noch Zeit braucht und geschliffen werden muss. Wenn sie ihm und sich selbst diese Zeit geben, werden sie zukünftig noch viel Spaß haben. Und auch Siege feiern.

Der Artikel erscheint in der BASKET 01/2016

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