NBA

Einzigartig gegen den Strom

Von Max Marbeiter
Rudy Gobert (l.) und Derrick Favors machten die Jazz zu einem der besten Defenseteams der NBA
© getty
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Neben Pleiß wurden einzig Raul Neto und Firstround-Pick Trey Lyles unter Vertrag genommen. Spieler, deren Rechte die Jazz ohnehin besaßen. Ansonsten hielten die Jazz ihr Team einfach zusammen. Dabei hätten sie unter dem Salary Cap sogar beinahe genügend Platz gehabt, um einen Maxcontract aufzunehmen. Doch man wollte nicht. Weil man nicht musste. Vergangene Saison stellte Utah das jüngste Team der gesamten Liga, kein Spieler war älter als 25. In solchen Fällen spricht man gemeinhin von Potenzial. Erst recht im Fall der Jazz.

Denn, anstatt den - unter Umständen ohnehin erfolglosen - Versuch zu unternehmen, einen namhaften Free Agent nach Utah zu locken, setzen sie auf organisches Wachstum. Stärke von innen heraus. "Building through the Draft", bedeutet das übertragen auf die Association. Favors, Gobert, Gordon Hayward, Trey Burke oder Dante Exum - sie alle wurden entweder direkt von den Jazz gedraftet oder noch im Zuge des Drafts respektive zu Beginn ihrer Karriere nach Salt Lake City transferiert.

So haben die Jazz nicht nur einen jungen Kern beisammen, der über Jahre gemeinsam gewachsen ist und wächst, sie haben sich zudem den Respekt der gesamten Liga erarbeitet. "Du hast Dennis (Lindsey, Anm. d. Red.) nicht dabei beobachtet, wie er einige Free Agents dumm mit Geld zugeschüttet hat, damit sie im Westen drei Plätze klettern", zitiert ESPN einen General Manager. "Mit all dem neuen Geld kann er das auch noch kommendes Jahr oder im Jahr darauf tun."

Von den Besten gelernt

Das könnte Lindsey. Ob er es tatsächlich vorhat, ist allerdings nicht klar. Schließlich hat Utahs GM die vielleicht nachhaltigste Schule der gesamten NBA besucht. Fünf Jahre arbeitete er bei den Spurs als Assistant General Manager von R.C. Buford, erfuhr also aus nächster Nähe, wie man in einem bei Free Agents weniger beliebten Markt ein durchaus erfolgreiches Team aufbaut. Wie man den Draft so gewinnbringend wie nur irgendwie möglich nutzt. Wie man eine eigene Identität entwickelt und die entsprechenden Spieler verpflichtet.

Also öffneten die Jazz den Geldbeutel nicht einfach in Richtung irgendeines Big Man-Free Agents, um ihre etwas dünne Rotation auf den großen Positionen aufzubessern. Sie drafteten stattdessen Trey Lyles, einen offensiv vielseitigen Power Forward, der das Potenzial besitzt, von draußen zu treffen, das Feld breit zu machen, gleichzeitig aber sicher am Ring abschließt.

Zudem blickten die Jazz hinter die Fassade. Dort schimmerte auf den ersten Blick nämlich ein eher unterdurchschnittlicher Verteidiger, der defensiv noch dazu häufig das richtige Gespür vermissen ließ. "Perfect Match" klingt anders. Allerdings musste Lyles in Kentucky häufig auf die Drei ausweichen, heißt: am Perimeter verteidigen. Dort musste er lernen, auch kleinere Spieler vor sich zu halten, sich besser zu bewegen, seine schwache laterale Geschwindigkeit zu kompensieren, was in Utahs System durchaus von Nutzen sein kann.

Natürlich kann das Experiment schief gehen. Das haben Experimente gemeinhin an sich. In Utah zählt jedoch Potenzial. So war es bei Gobert. So ist es sicherlich bei Pleiß und Lyles. Und so war es im vergangenen Jahr bei Dante Exum. 2014 galt der Australier, der zuvor lediglich an der Highschool in Down Under gespielt hatte, als großes Mysterium. Allerdings als eines mit jeder Menge Upside.

Exum auf dem richtigen Weg?

Also schlugen die Jazz an fünfter Stelle zu und sahen erst einmal zu, wie Exum Fehler machte, wie er den Drive mied wie Charles Barkley den Ernährungsberater (32 Freiwürfe in 82 Spielen). In der zweiten Saisonhälfte ließen sie Exum sogar starten. Er sollte lernen. Lernen, seine Schnelligkeit zu nutzen, Kontakt zu absorbieren.

Zunächst gelang es nicht, doch Exum scheint verstanden zu haben. Über den Sommer hat er rund 4,5 Kilo Muskelmasse zugelegt und nutzte diese während des ersten Summer-League-Spiels in Salt Lake City, um ausgerechnet Kraftpaket Marcus Smart durch die Zone zu schieben und im Anschluss den Assist zu spielen.

Die Sample Size ist klein, ja, zumal sich Exum direkt gegen die Celtics den Knöchel verstauchte. Wir sprechen von der Summer League, richtig, doch die Indikatoren zeigten in diesem einen Spiel in die richtige Richtung. Der Australier attackierte, verließ sich nicht zu sehr auf den Dreier - und tat damit exakt, was die Jazz von ihm verlangen.

Exum soll attackieren. Doch Exum wollte zunächst nicht attackieren. "Du kommst als 19-jähriger Rookie an", sagt er. "Da wollte ich niemandem auf die Füße steigen. Ich wollte den Point Guard geben, da werden Assists erwartet. Ich soll ein Teamspieler sein. Das habe ich versucht. Das Team hat mir vergangenes Jahr aber klar gemacht: ‚Wir lieben das, aber wir brauchen dich offensiv aggressiver und als Scoringbedrohung.' Kommende Saison werde ich all das versuchen."

Playoff-Chancen?

Es muss wohltuend klingen. Nutzt Exum sein Potenzial, haben die Jazz nicht nur einen starken Point Guard von optimaler Größe (2,03 Meter), sie könnten Trey Burke weiter von der Bank bringen, was ohnehin besser zum 9. Pick des 2013er Drafts passen könnte. Bestätigt Rodney Hood dann auch noch seine Leistungen aus der Summer League, kehrt Alec Burks nach seiner schweren Schulterverletzung stark zurück, hätte Utah potenziell einen mehr als vorzeigbaren Backcourt.

Hinzu kommt der Frontcourt. Dort gesellt sich zu besagter Big-Man-Rotation Gordon Hayward, dessen Vielseitigkeit und Scoring-Punch perfekt ins Konzept der Jazz passen, der vergangene Saison bewies, dass er seinen Maximalvertrag durchaus zu rechtfertigen weiß.

Coach Quinn Snyder hat also einiges, womit sich arbeiten lässt. Und der Coach scheint auch noch der Richtige zu sein, das Potenzial seiner Jazz zu nutzen. Nicht umsonst wird Snyder ein gutes Händchen bei der Entwicklung junger Spieler nachgesagt. Tibor Pleiß beispielsweise war überrascht, dass ihn sein neuer Coach beim Workout "gleich zur Seite genommen und mir Tipps gegeben" hat.

Dass Gobert, Favors, Trevor Booker und Burke über den Sommer in Salt Lake City blieben, um die Trainingshallen und Coaches der Jazz zu nutzen, rundet das positive Gesamtbild ab. Ob es am Ende bereits in der kommenden Saison mit der von einigen prognostizierten Playoff-Teilnahme reicht, weiß dennoch niemand. An der Defense sollte es allerdings nicht scheitern.

Seite 1: Gegen den Trend - mit Tibor Pleiß

Seite 2: Favors, Lyles und Exum

Der Kader der Utah Jazz im Überblick

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