NBA

Wieso immer nach dem Makel suchen?

Von Max Marbeiter
LeBron James (M.) verlor mit den Cavaliers Spiel 6 der NBA-Finals
© getty

Die Finals 2015 sind Geschichte, die Golden State Warriors erstmals seit 40 Jahren wieder Champion. LeBron James steht dagegen erneut ohne Titel da - trotz herausragender Zahlen. Historisches Denunzieren ist dennoch nicht angebracht. Die SPOX-Meinung zu den Finals.

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LeBron James hat es also erneut nicht geschafft. Zum sechsten Mal hat er versucht, ein NBA-Finale für sich zu entscheiden, zum vierten Mal ist er gescheitert. Michael Jordan wäre das nie passiert, sagen nun einige. Gut, MJ ist es tatsächlich nie passiert. Er gewann seine sechs Finals-Auftritte allesamt. Nur hatte Jordan eben auch stets ein herausragendes Team um sicher herum, entgegnen andere. Vor Scottie Pippen, Horace Grant oder Toni Kukoc habe er es schließlich nicht einmal bis in die Finals geschafft.

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Eine Diskussion über LeBrons Leistungen ohne den Blick hinüber zu Jordan ist mittlerweile unmöglich. Ständig wird abgewogen, verglichen, teils gestritten - und meist schlechtgeredet. Irgendwie muss die Leistungen des einen schließlich über die des anderen gestellt werden. Und das funktioniert nun mal am besten, indem ganz deutlich herausgestellt wird, weshalb die einen Errungenschaften wesentlich weniger wert sind als die anderen, weshalb der eine im Endeffekt einfach nicht an den anderen heranreicht.

Das Problem: Wir tendieren dazu, unserer Bewunderung durch Abwertung Ausdruck zu verleihen. Natürlich mag das zum allgemeinen emotionalen Sportdiskurs einfach dazugehören, natürlich spielen Sym- und Antipathien eine Rolle. Dennoch ist es schade, wenn krampfhaft versucht wird, Leistungen der absolut Besten schlechtzureden, nur um den eigenen Liebling heller erstrahlen zu lassen. Jordan selbst sagte in einem Interview mit L'Equipe kürzlich, dass es schlicht keinen Sinn ergebe "unterschiedliche Ären zu vergleiche". Und er hat absolut Recht.

Denn so sehr sie auch als Fakt dargestellt sein mögen: Annahmen, MJ hätte bei heutiger Regelauslegung noch weniger Probleme, zu scoren, sind schließlich ebenso reine Mutmaßung wie solche, LeBron hätte gegen all die hart verteidigenden Big Men der 90er deutlich mehr Schwierigkeiten gehabt.

Wie einst Jordan

Fakt ist lediglich, dass James in diesen Finals für satte 38,3 Prozent aller Punkte seiner Cavaliers direkt verantwortlich war, was wiederum tatsächlich einen Vergleich mit Michael Jordan zulässt. Der erzielte während der 93er Finals nämlich 38,4 Prozent der Punkte der Bulls und hält damit den Rekord.

Doch was sagt uns das? Einer mag nun den Egozocker herauslesen, ein anderer auf heroische Leistungen gestoßen sein. In einem Punkt dürfte jedoch Einigkeit bestehen: Sowohl LeBron als auch Jordan besitzen, beziehungsweise besaßen die Fähigkeit, ihre Teams zu führen, sie zu tragen. Wenn nötig auch bis zum Äußersten.

Iguodala wird historischer Finals MVP

Das Ultimative, der Titel, war James diesmal zwar nicht vergönnt. Weniger beeindruckend sind seine Leistungen deshalb allerdings nicht. Am Ende waren sie sogar so beeindruckend, dass eine Finals-Niederlage James erstmals seit langem Anerkennung statt Häme einbringt. Anerkennung für 35,8 Punkte im Schnitt, für 13,3 Rebounds und 8,8 Assists. Für den Fakt, dass er als erster Spieler überhaupt beide Teams einer Finalpaarung in allen drei großen Kategorien anführte.

"Zu viel Talent im Anzug"

Kaum einer nimmt LeBron übel, dass er sich nach Spiel 5 durchaus selbstbewusst als besten Spieler der Welt bezeichnet. Derzeit fehlen schlicht die Gegenargumente. James trug ein Team aus Rollenspielern soweit, dass sich die Cavs tatsächlich Hoffnungen auf den ersten Titel ihrer Franchise-Geschichte machen durften. Und das gegen eines der statistisch besten Teams der Geschichte.

James selbst sprach davon, dass mit Kevin Love, Kyrie Irving und Anderson Varejao am Ende einfach "zu viel Talent im Anzug auf der Bank gesessen" habe. Entsprechend unterlegen waren die Cavs den Warriors, wenngleich der Supporting Cast gerade defensiv sicherlich nicht ganz so schlecht war, wie er häufig dargestellt wurde. Offensiv mangelte es James meist jedoch an Unterstützung.

Vielleicht wäre eine weniger auf LeBron fokussierte Offense am Ende dennoch effektiver gewesen. Vielleicht hätte LBJ so bessere Quoten aufgelegt als die überschaubaren 39,8 Prozent aus dem Feld und 31 Prozent von jenseits der Dreierlinie. Vielleicht hätte James in sechs Spielen nicht satte 118 Würfe vergeben.

Keine Schande

Schlussendlich sind derlei Zahlen Ventil für all jene, die James' Leistungen im Gesamtkontext relativiert sehen wollen, die den Makel suchen. Einen Makel, den eigentlich nicht einmal der verpasste Titel zu verursachen vermag. Wieso also danach suchen? Die Cavs und LeBron haben gegen ein besseres Team verloren. Das war, ist und wird nie eine Schande sein.

Zumal LeBron immerhin vier Stimmen als Finals MVP erhielt. Viele wollten sehen, wie er die Bill Russell Trophy überreicht bekommt. James war der beste Spieler der Finals, also verdient er auch den Award, heißt es häufig. Diesmal trafen die Relativierungsversuche Andre Iguodala. Iggy sei bei weitem nicht so gut gewesen und habe die Serie auf der Bank begonnen. Und dafür Finals-MVP?

Dabei dürfte LeBron selbst - ganz abgesehen davon, dass die Auszeichnung für Iguodala absolut in Ordnung geht - am wenigsten trauern, dass er direkt nach der Niederlage nicht noch einmal aufs Podium musste. Nicht nur weil, er sich inmitten feiernder Warriors befunden hätte, in der Niederlage vor einem Millionenpublikum die Fassung hätte bewahren müssen. Wohl auch, weil er am Ende einer von zwei Spielern der Geschichte gewesen wäre, die trotz Finalspleite zum MVP ernannt wurden.

Historisch gesehen wäre die Niederlage wesentlich gewichtiger gewesen - und hätte diverse Möglichkeiten präsentiert, die Leistung des LeBron James ins negative Licht zu rücken. Einer von zwei Verlieren, hätte es womöglich geheißen.

Am Ende gibt es jedoch nur wenige Ausnahmebasketballer wie einst Russell, Wilt Chamberlain, Magic Johnson, Larry Bird, Michael Jordan oder heute LeBron James. Lasst uns doch einfach genießen, diesen Ausnahmeathleten bei der Arbeit zuzusehen. Wer am Ende vielleicht das kleine bisschen besser war, wer der beste aller Zeiten, der G.O.A.T., ist, ist eigentlich vollkommen egal.

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