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Ein Dieb der alten Schule

Von Max Marbeiter
Tristan Thompson (l.) wurde 2011 von den Cleveland Cavaliers gedraftet
© getty

In den Finals gegen die Golden State Warriors haben die Cleveland Cavaliers die Chance auf den ersten Titel ihrer Franchise-Geschichte. Neben LeBron James hat daran einer Anteil, der eigentlich nicht für die ganz große Rolle vorgesehen war. Tristan Thompson entwickelt sich immer mehr zum Reboundalbtraum eines jeden Gegners und passt damit ins Konzept der Cavs.

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Eigentlich macht Paul Millsap vieles richtig. Der Power Forward geht in die Knie, weiß seinen Gegenspieler in seinem Rücken, hält den Kontakt. Millsap blockt aus. Erfolglos. Denn in Millsaps Rücken macht dessen Pendant erst einen Schritt nach links, nimmt erneut Kontakt mit dem nun strauchelnden Hawk auf, bewegt sich dann nach rechts und schnappt sich schlussendlich Iman Shumperts Fehlwurf.

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Offensivrebound Cavaliers. Zweite Wurfchance. Jumper. Buzzer. Swish. Es ist nur eine kurze Sequenz, dafür eine, die Tristan Thompsons Wert für die Cavs nahezu perfekt umschreibt. Dass der Power Forward den Wurf am Ende selbst versenkt, ist dabei sogar sekundär. Wichtig ist vielmehr, mit welchem Einsatz Thompson gerade am offensiven Brett arbeitet und seinen Cavs so immer wieder die so wichtige zweite Wurfchance ermöglicht.

"Am offensiven Brett bin ich gierig", sagt der Kanadier selbst. "Auch wenn ich zwei oder drei Gegenspieler sehe, versuche ich, mir den Ball zu schnappen. Am Brett bin ich wie ein Dieb." Ein äußerst gerissener noch dazu. So schnappt sich Thompson in diesen Playoffs durchschnittlich die drittmeisten Offensivrebounds aller Spieler (4,0). Mehr als Dwight Howard. Mehr als Joakim Noah. Sogar mehr als DeAndre Jordan.

Die Zahlen allein sind beeindruckend. Noch ein wenig beeindruckender werden sie allerdings bei einem Blick auf Thompsons körperliche Voraussetzungen. Immerhin ist der Kanadier mit 206 Zentimetern nicht der Längste unter den ganz Großen und einem Großteil seiner Kollegen unter dem Korb damit physisch unterlegen. Doch Thompson arbeitet. "Ich sehe den Ball. Ich will den Ball", sagt er immer wieder. Es ist beinahe sein Mantra.

An der Highschool ein Star

Gleichzeitig beschreiben diese acht Worte des Power Forwards Rolle bei den Cavs. Eine Rolle, der noch vor wenigen Jahren ein Platz näher am Rampenlicht prognostiziert worden wäre. Damals, zu Highschool-Zeiten, war Tristan Trevor James Thompson nicht etwa nur harter Arbeiter, er war derjenige, dem zugearbeitet wurde. Thompson war einer dieser sogenannten Stars.

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Deshalb wechselte er vor seiner Sophomore-Saison aus seiner Heimat Toronto an die Saint Benedict's Preparatory School in Newark. Thompson wollte sich verbessern und stieg in den USA tatsächlich zu einem der Topprospects des Landes auf. Daran änderte sich auch nichts, als er aufgrund der harten Gangart seines Coachs während eines Spiels mit Dan Hurley aneinandergeriet, in die Kabine geschickt wurde und wenig später abermals die Schule wechselte.

Wenig später wurden Thompson und Kumpel Corey Joseph sogar als damals erst vierter und fünfter Kanadier zum McDonald's All American ernannt, wechselten daraufhin gemeinsam an die University of Texas, wo Thompson direkt zum Big 12 Freshman of the Year gekürt wurde. Mehr war am College nicht zu holen. Allerdings nicht mangels Können, Thompson meldete sich nach seiner Juniorsaison zum Draft an und wurde an vierter Stelle von den Cavaliers ausgewählt.

Defense statt Offense

Dort, in Ohio, wurde Thompson zum Rotationsspieler. Dort entwickelte er sich zum Reboundspezialisten. Dort wechselte er vor der Saison 2013/14 die Wurfhand von links auf rechts - und dort steht er nun in den Finals. Nicht als zentraler Figur, dafür als immens wichtige Komponente im Gesamtkonzept der Cavaliers.

Einem Gesamtkonzept, das eigentlich anders angedacht war. Mit LeBron James, Kyrie Irving und Kevin Love sollte Cleveland offensiv dank seiner Kombination aus Playmaking, Slashing, Scoring und Spacing kaum zu stoppen sein. Einige sahen am Lake Erie gar einen historisch guten Angriff entstehen. Hinten wurden dagegen Probleme prognostiziert.

Mittlerweile stellen die Cavs die in den Playoffs dritteffizienteste Defense der Association, lassen auf 100 Possessions hochgerechnet lediglich 98,5 Punkte zu. Nun sollte dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass Cleveland im offensiv weit weniger potenten Osten spielt, dass mit den Warriors nur ein Westteam unter den fünf besten Defenseteams der Playoffs zu finden ist. Beachtenswert ist Clevelands Leistung dennoch - und damit auch jene des Tristan Thompson.

"Sichergehen, dass mein Gegner nicht punktet"

"Mein Ziel ist relativ simpel", sagt der Vierer. "Ich versuche, sicherzugehen, dass mein Gegenspieler nicht punktet. Und sollte es doch einmal passieren, soll es wenigstens ein verteidigter, schwieriger Wurf sein." Glaubt man den Statistiken, darf Thompson für sich durchaus in Anspruch nehmen, sein Ziel in schöner Regelmäßigkeit zu erreichen.

Mit ihrem Power Forward auf dem Feld ließen die Cavs gegen die Bulls pro 100 Possessions lediglich 98 Punkte zu. Saß Thompson auf der Bank, waren es dagegen 106,4. In den Conference Finals gegen die Hawks stand das Verhältnis sogar bei 95,3 zu 108. Zwar ist Thompson angesichts fehlender Länge kein angsteinflößender Shotblocker, dennoch schwingt er in der Postseason pro Spiel immerhin 1,3 Mal den Mutombo-Finger. Seine Mobilität hilft ihm zudem, Guards im Pick-and-Roll kurzzeitig vor sich zu halten, um seinen kleineren Mitspielern die Möglichkeit zu geben, ihre Gegenspieler wieder aufzunehmen.

Es geht um das "Ohhhhh"

Zudem sei er "in Sachen Switching wichtig für das Team", sagt Thompson selbst - und natürlich beim Rebounding. Schließlich ist die Arbeit am Brett weiter Thompsons absolute Kernkompetenz. Dort hat er sich zu einem der unangenehmeren Offensivrebounder der Association entwickelt. Egal ob Pau Gasol oder Joakim Noah, ob Al Horford oder Paul Millsap - in den Playoffs hatte bislang noch nahezu jeder Big Man Probleme, Thompsons Energie effektiv entgegenzuwirken.

"Mir ist eigentlich egal, wen ich beim Rebound aussteche", sagt der Kanadier. "Es geht darum das 'Ohhhh' der Zuschauer zu hören. Dann sind sie frustriert. Das ist ein großartiges Gefühl." Im Dezember und Januar erlebte Thompson dieses ganz spezielle Gefühl durchschnittlich sogar viermal, in den Playoffs macht er die Cavs - natürlich im Verbund mit Timofey Mozgov - zum effizientesten Offensivreboundingteam der gesamten Liga (28,5 Offensive Rebound Rating).

"Das Offensivrebounding ist einfach Teil unseres Spiels", sagt gegenüber NBA.com auch LeBron James. "Genau wie der Dreier." Und deshalb passt Tristan Thompson derzeit so gut ins System der Cavaliers. Steht ein fähiger Rebounder unter dem Brett, der gerne einmal zweite, dritte oder vierte Wurfchancen möglich macht, lässt sich der eine oder andere Fehlwurf besser verschmerzen.

Für ein Team, das sich in den Playoffs wie kein anderes auf Isolations verlässt, das pro Spiel nur einen Dreier weniger nimmt als Finals-Gegner Golden State, dabei 35,9 Prozent seiner Versuche trifft, stellt der Offensivrebound schlicht eine relativ günstige Gelegenheit dar, schnelle Offense zu generieren.

"Lehrmeister" Rodman und Matheunterricht

Bliebe die Frage, weshalb ausgerechnet Thompson derart effektiv am Brett arbeitet. Am Ende habe er eben auch gut im Matheunterricht aufgepasst, entgegnet der Big Man. "Es geht um Prozente. Werfen sie aus der linken Ecke, besteht eine 70 prozentige Chance, dass der Ball in Richtung rechter Ecke fliegt." Zudem habe er viel von Teamkollege Anderson Varejao gelernt und sich diverse Videos von Dennis Rodman, einem der besten Rebounder der Geschichte, angesehen.

Es hat sich ausgezahlt. Mittlerweile sagt sogar LeBron, dass Thompson seine "gesamte Karriere über" ein Cavalier bleiben solle. "Es spricht einfach nichts dagegen. Der Junge ist 24, hat über 340 Spiele in Folge absolviert und sich jede Saison gesteigert. Mehr kann man eigentlich gar nicht erwarten.'"

"Ich bin oldschool"

Nun sei erst einmal angemerkt, dass sich James und Thompson rein zufällig denselben Agenten teilen. Allerdings auch, dass Thompson vor Saisonbeginn eine 52-Millionen-Dollar-Offerte der Cavs über vier Jahre ausschlug und deshalb im Sommer Restricted Free Agent wird. Wie Jimmy Butler und Kawhi Leonard hat auch der Kanadier auf das eigene Können gesetzt, um ein besseres Angebot herauszuschlagen.

Es scheint sich auszuzahlen. Zumal Thompsons Rolle zwar erst durch Kevin Loves Saisonaus derart immens anwuchs, der Power Forward aber gleichzeitig einer der Gründe ist, weshalb Cleveland trotz diverser Verletzungen, trotz eines angeschlagenen Kyrie Irving in diesen Playoffs erst zwei Spiele verloren haben.

Andererseits zählt der kommende Sommer derzeit ohnehin nicht. Die Finals stehen an. Die Cavs hoffen auf den ersten Titel ihrer Franchise-Geschichte und Tristan Thompson wird alles daran setzen, dass es nicht an mangelndem Einsatz unter den Brettern scheitert. Denn "ich bin oldschool. Erst 24, aber oldschool. Ich rebounde und bin da unten einfach ein Hund."

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