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So wird das Knicks

Der Blick von Carmelo Anthony geht in die Ferne: Quo vadis, Knicks?
© getty

Die Playoffs wollten die New York Knicks in dieser Saison erreichen - mindestens. Dafür hatte man Phil Jackson geholt und Carmelo Anthony gehalten, der neue Coach Derek Fisher sollte die Triangle Offense installieren. Vor dem Spiel gegen die Toronto Raptors ist klar: Der Lack ist ab, die Postseason in weite Ferne gerückt. SPOX betreibt Ursachenforschung. Gibt es noch Hoffnung für die Knickerbockers?

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Die Rückkehr von Tyson Chandler in den Madison Square Garden hatten sich die Knickerbockers ganz sicher anders vorgestellt.

Wie im Training schenkten die Dallas Mavericks dem Heimteam am 16. Dezember ein. Krachende Dunks, offene Dreier, Dirk Nowitzki aus der Mitteldistanz - alles kein Problem. Nach sechseinhalb Minuten stand es 26:11 für die Gäste. Rookie-Coach Derek Fisher hatte genug gesehen und holte gleich seine gesamte Starting Five vom Court. "Das hat uns gewissermaßen aufgeweckt", gab Melo später zu. Das Ganze erinnert ein bisschen ein an Gregg Popovich - bis auf die Tatsache, dass dieser wohl schon fünf Minuten früher eingegriffen hätte. Und sein Team vielleicht nicht trotzdem mit 20 Punkten verlieren würde.

Der Tiefpunkt einer verkorksten Saison? Wie man's nimmt: Den Tiefpunkt auf einer horizontalen Ebene auszumachen, ist eben nicht einfach. Die Spielzeit 2014/2015 ist bisher eine einzige Nulllinie. Das bisherige Highlight: Am 30. Oktober wurde LeBron James irgendwie in Cleveland besiegt. Danach gab es einen Triumph über Charlotte, die Bilanz stand bei 2-1. Danach gab's bisher noch drei Siege und 21 Niederlagen. Macht unter dem Strich den schlechtesten Start in der Geschichte der so stolzen Franchise.

Elf Ringe - kein Erfolg

Dabei war New York nach den verpassten Playoffs mit großen Hoffnungen in die Saison gestartet: Superstar Carmelo Anthony hatte einen neuen Vertrag unterschrieben, dazu gab es mit Phil Jackson am Steuer gleich elf Championship-Ringe dazu. Jackson würde zwar nicht coachen, hatte aber Musterschüler Fisher im Gepäck, der unter Anleitung des Meisters die Triangle Offense einführen sollte.

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In Sachen Cap Space und Picks sah es zwar immer noch schlecht aus, aber zumindest die Playoffs sollten im schwachen Osten ja drin sein. Der Umbruch im Kader könne dann im darauffolgenden Sommer erfolgen.

Spult man zwei Monate vor, muss man konstatieren: Das Kind ist nicht nur in den Brunnen gefallen, es steigen auch schon lange keine Luftblasen mehr an die Wasseroberfläche. Und für eine entsprechende Ursachenforschung muss man vor allem eines mitbringen: viel Zeit.

Nicht genug Star-Power

Wobei ein Blick auf das Roster ja schon genügt, um die erste Diagnose zu stellen: Das Team ist einfach nicht gut. Punkt. Zieht man Melo ab, muss man die Frage stellen, ob sich überhaupt ein anderer Spieler der Knicks unter den Top 15 oder 20 auf seiner Position befindet. Jose Calderon? J.R. Smith?? Samuel Dalembert???

Mit Tyson Chandler hätte man einen Center gehabt, der den Laden zumindest defensiv hätte zusammenhalten können. Der aber, das muss man auch zugeben, im vergangenen Jahr nicht das abrufen konnte, was er derzeit in Dallas zeigt. Der für ihn getradete Jose Calderon ist ein guter Schütze und damit für die Triangle geeignet, aber defensiv nicht gerade ein Kettenhund. Calderon, Anthony, Amar'e Stoudemire - für den Gegner ein All-you-can-eat-Buffet: Nimm dir den Wurf, der dir am besten liegt, und davon reichlich. Resultat: Platz 27 in Defensive Efficiency.

Selbst Rodman kann die Triangle

Hat die Triangle denn zumindest offensiv geholfen? Mitnichten. Platz 22 ist da ebenfalls kein Grund zum Jubeln (im vergangenen Jahr noch Platz elf). Ein Blick auf das Parkett des Gardens bestätigt diesen Eindruck: Die Triangle funktioniert nicht. Das System von Guru und Jackson-Mentor Tex Winter baut auf ein read-and-react-System, schnelle Pässe und hohen Basketball-IQ. Die Spieler müssen ihre Rollen aus dem Effeff kennen und geschmeidig umsetzen. Die Knicks dagegen wirken träge, lassen angemessenes Spacing und schnelle Cuts sowie Picks vermissen. So versandet die Triangle immer wieder in Isolationen.

Welche Rolle Coach Derek Fisher dabei spielt, ist schwer zu beantworten - man kann schließlich nur mit dem arbeiten, was das Front Office bereitstellt. Und nicht alle Spieler im Kader sind für ihren herausragenden Basketball-IQ bekannt. Aber dass es so schlecht läuft? Sogar Enfant terrible Dennis Rodman hat sich mittlerweile zu Wort gemeldet. "Ich hab [die Triangle] in Chicago in 15 Minuten gelernt. So schwer ist das nicht - es ist ein Dreieck." Hauptschuldiger für ihn ist Fisher: "Coacht er wirklich? Trainiert Derek Fisher das Team? Ich verstehe das nicht."

Twitter-Zoff mit Barkley

So rufen die drögen Leistungen der Knicks einen Kritiker nach dem anderen auf den Plan. Charles Barkley zum Beispiel hat eine andere Hauptursache für die Probleme ausgemacht. "Diese Typen versuchen nicht, die Triangle zu spielen. Sie spielen nur für ihre eigenen Statistiken", sagte er am Rande des Spiels gegen die Bulls. Das System baut darauf, dass die Spieler ihre eigenen Zahlen für den Erfolg des Teams opfern - womöglich laufen dafür einfach zu viele Vertrage aus.

Eine Reaktion des Teams konnte Barkley mit seinen Kommentaren nicht bewirken - die Knicks verloren mit 97:103 - wohl aber vom Zen-Meister höchstpersönlich: Jackson giftete noch während der ersten Halbzeit per "Twitter" gen Barkley: "Muss ich den Ton ausmachen? Chuck, vergiss nicht den fundamentalen Schlüssel zur Triangle." Chuck darauf: "Phil ist zu alt für Twitter. Er nimmt es persönlich, wenn Leute über die Triangle sprechen. Aber in der NBA ging es schon immer um die Spieler, und das wird auch so bleiben."

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Der Zoff mit Barkley ist nicht das einzige Mal, dass sich Jackson über "Twitter" gegen negative Berichterstattung gewehrt hat. So verteidigte er etwa auch schon den Chandler-Trade gegen Kritik - und offenbarte dabei auch eine gewisse Dünnhäutigkeit. Was jedoch verständlich ist, schließlich lässt auch ihn der Katastrophenstart seines Teams nicht kalt. Dem bescheinigte er unlängst eine "Loser-Mentalität": "Es wird Widerstand gegen Disziplin, Ordnung und eine neue Einstellung geleistet."

Mitleid für Melo

Ob er damit auch Carmelo Anthony meint? Mit 23,5 Punkten und 6,8 Rebounds sind dessen Zahlen noch ganz ordentlich, aber auch er leidet selbstverständlich unter dem schwachen Team und den Verletzungen (zuerst Calderon, dann Iman Shumpert, Stoudemire und J.R. Smith), wodurch sich die Gegner noch mehr auf ihn konzentrieren können. Mittlerweile macht auch sein Knie Probleme - womöglich steht ihm eine längere Pause bevor: "An manchen Tagen geht es, manchmal nicht. Einige haben mir geraten, es stillzulegen."

Als Superstar und Anführer sollte die Kritik eigentlich auch auf Melo herunterprasseln, oder? Nein, schlimmer noch: Für ihn gibt es... Mitleid. "Ich fühle mit ihm, weil er ehrgeizig ist", erklärte Tyson Chandler nach seiner Rückkehr in den Garden. Drei Jahre hatten sie zusammengespielt. "Es ist einfach unglücklich."

Was von Anthonys Seite sicherlich nicht hilfreich ist: Sich angesichts des schlechten Saisonstarts gegenüber "ESPN" publikumswirksam als Businessman zu inszenieren, wie kürzlich geschehen. Als Visionär, für den Basketball nicht genug ist. Stimmen da die Prioritäten? Ebenfalls unglücklich: Aussagen wie "Chicago wäre perfekt gewesen. Ihnen geht es nur ums Gewinnen." Da er ("Ich bin ein Siegertyp!") nicht bei den Bulls unterschrieben hat - worum geht es ihm?

Aber auch Melo trifft die derzeitige Dürrephase der Knicks hart. "Ich hätte vor der Saison nie gedacht, dass es dazu kommt. Das ist schwer zu glauben", lamentiert der 30-Jährige. "Man darf einfach nicht aufgeben."

Trotz allem in die Playoffs?

Während die ungläubigen Aussagen von Anthony und Co. - Konsens: Das muss doch ein böser Traum sein! - frappierend an Borussia Dortmund vor einigen Wochen erinnern, gibt Fisher den Leuchtturm der Hoffnung. "Wenn wir gesund werden und weiter daran arbeiten, einander zu vertrauen, dann haben wir immer noch eine Chance [auf die Playoffs]. Die Saison ist sehr lang."

Playoffs? Im Osten ist nichts unmöglich - gleichzeitig ist das Team um einiges näher an den Sixers als an der Postseason. Von den Pleiten, Pech und Pannen abseits der reinen Box Scores ganz zu schweigen: Der Streit zwischen Melo und Tim Hardaway. Jacksons Twitter-Ausflüge. Die Bobblehead-Puppe von Anthony, die eher an Jeremy Lin erinnert. Berichte, wonach der komplette Kader zum richtigen Preis zu haben ist. Und wurde bereits erwähnt, dass die Einschaltquoten so schlecht sind, dass MSG-Aktionäre mehrere Millionen Dollar Verlust befürchten müssen?

Geduld und Hoffnung

Was bleibt? In diesem Jahr der Verdacht, dass Anthony angesichts der prekären Situation und des lädierten Knies eine lange Pause bevorsteht. Eine Art unfreiwilliges Tanking, welches dem Team endlich wieder einen Top-Pick bescheren wird - der erste Top-Ten-Pick seit 2009.

Und bis dahin? Geduld. "Geduld ist eine Entscheidung", so Fisher. "Was man auch durchmacht, man entscheidet sich dafür, geduldig zu sein und weiter hart zu arbeiten." Angesichts einer Katastrophensaison. Angesichts von Hohn und Spott (Barkley: "Bei den Knicks ist es nicht das Licht am Ende des Tunnels, sondern ein entgegenkommender Zug.").

So oft wurde der anstehende Rebuild in New York verschoben. Das gebrochene Bein ein ums andere Mal mit Pflastern behandelt, anstatt es einfach mal ruhig zu legen und die Muskeln später ruhig und konzentriert aufzubauen. Vielleicht zwingt diese Saison endlich dazu. Vielleicht wartet 2015 ein Top-Pick und ein Free Agent der Sonderklasse. Bis dahin: Geduld.

Und Hoffnung. Die stirbt bekanntlich zuletzt.

Die New York Knicks im Überblick