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Anatomie eines Einbruchs

Lance Stephenson kommt mit seiner neuen Rolle in Charlotte bisher nicht zurecht
© getty

Die Charlotte Hornets galten vor der Saison als einer der Gewinner des Sommers und wollten an die erfolgreiche letzte Bobcats-Saison anknüpfen. Nach den ersten Wochen stehen sie allerdings weit unten (4-14) - und haben die letzten neun Spiele allesamt verloren. Neben den bisher enttäuschenden Leistungen von Top-Neuzugang Lance Stephenson bereiten auch andere Faktoren ernsthaften Anlass zur Sorge.

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Erstes Viertel in Atlanta. Jeff Teague bringt den Ball nach vorne, Al Horford stellt auf der Weak-Side einen Block für Kyle Korver. Der nutzt den Block und wird vom Point Guard angespielt. Korver steigt hoch - Swish! Nächster Angriff, gleicher Spielzug, gleiches Resultat. Es ist der siebte Wurf in Folge, den die Hawks versenkt haben.

Es ist gleichzeitig aber nur ein Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Stunden in der Philips Arena geschehen wird. Die Hawks können selbst kaum fassen, wie einfach es ihnen an diesem Abend fällt, zu punkten. Mit 44 Punkten führen sie im dritten Viertel, das Endergebnis (105:75) fällt für die Gäste sogar noch schmeichelhaft aus.

Deren Coach platzt hernach der Kragen. "Es hilft nichts, kleine Änderungen vorzunehmen, wenn man noch nicht einmal Einsatz zeigt", schimpft Steve Clifford, "man muss schon professionell auftreten. An dem heute war nichts professionell!"

Punktedifferenz von -21,8

Es ist der Tiefpunkt eines Saisonstarts, der für die Charlotte Hornets schlichtweg katastrophal verlief. Neun Spiele in Serie hat das Team verloren, das eigentlich jeder zur aufstrebenden Kaste der Eastern Conference gezählt hatte. Die durchschnittliche Punktedifferenz von -21,8, mit denen sie diese Spiele verloren haben, finden dabei vermutlich sogar die Sixers peinlich.

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Die Probleme der früheren Bobcats erstrecken sich derweil nicht auf einen bestimmten Bereich, was Cliffords Aufgabe nicht unbedingt einfacher macht. Es hakt in allen Mannschaftsteilen, offensiv wie defensiv.

Leistungsträger der Vorsaison haben an Effizienz eingebüßt, die Neuen suchen weiterhin nach ihren Rollen. Der Abgang von Josh McRoberts schmerzt mehr, als man es vor der Saison vielleicht angenommen hatte. Und niemand verkörpert den verkorksten Saisonstart mehr als Lance Stephenson.

Katastrophaler Auftakt für Stephenson

Der Swingman, der im Sommer für 27 Millionen Dollar über drei Jahre geholt wurde, sollte die Hornets eigentlich einen Schritt weiter Richtung Contender-Status bringen. Bisher wirkt er allerdings wie ein Fremdkörper und hat seinen Rhythmus noch nicht ansatzweise gefunden.

Seine Quoten sind katastrophal - 36,7 Prozent aus dem Feld, 18,4 (!) von der Dreierlinie. Er führt die Hornets zwar bei den Rebounds (7,7) an und kommt zudem auf 5,4 Assists pro Spiel, trotzdem hat Clifford bereits bemängelt, dass "Born Ready" den Ball zu häufig stoppt.

Mehr noch: Die Chemie mit Backcourt-Partner Kemba Walker stimmt bisher überhaupt nicht. Beide sind Guards, die den Ball in der Hand brauchen, um effektiv zu sein - eine Balance haben sie bisher nicht gefunden. Wenn Walker versucht, zu kreieren, steht Stephenson häufig unbeteiligt herum, das gleiche Problem besteht, wenn beide die Rollen tauschen.

Clifford: "Er ist kein Star"

Beide sind als Shooter jedoch nicht gut genug, um als Spot-Up-Shooter in den Ecken wirklich für Gefahr zu sorgen. Auch Walker legt bisher verheerende Quoten (36,4 Prozent FG, 27,3 Prozent 3FG) auf. In Sachen Offensiv-Effizienz sind nur drei Teams schlechter als Charlotte, was vor allem auf die Probleme der beiden primären Ballhandler zurückzuführen ist.

Zuletzt sah sich Clifford daher sogar gezwungen, Stephenson im letzten Viertel auf der Bank zu lassen - gegen Atlanta war dies ja ohnehin nur noch Garbage-Time, aber auch bei der knappen Niederlage gegen Portland ließ der Coach lieber Brian Roberts statt "Born Ready" auf dem Parkett.

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"Man muss fair bleiben - es ist für ihn dadurch nicht gerade leichter geworden, dass ihn jeder zum Superstar erklärt hat, als er hier ankam", sagte Clifford danach, "er ist kein Star. Er ist jemand, der das Talent hat, einmal ein Star zu werden. Man muss es aber über mehrere Jahre bringen, bevor man sich diesen Status verdient hat."

Die Erklärung Cliffords soll Stephenson gleichermaßen warnen und in Schutz nehmen - warnen, dass er sich nicht selbst überschätzen darf, und in Schutz nehmen gegenüber den Erwartungen der Öffentlichkeit, die vielleicht in der Tat etwas zu hoch gegriffen waren und sind.

Ein lösbares Problem

Stephensons Form ist ein Problem, dass sich mit der Zeit aber zumindest bessern sollte. Er hat signifikante Teile der Vorbereitung mit kleineren Verletzungen verpasst, ist neu im Team und muss sich in der neuen Rolle erst finden.

"Wenn man neu in einem Team ist, funktioniert nicht immer gleich alles. Manche passen sofort rein, aber ich bin noch dabei, die Offense zu lernen", gab Stephenson selbst gegenüber Zach Lowe von "Grantland" zu.

Wenn der Swingman seinen Touch nicht irgendwo in Indianapolis verloren hat, sollte sich auch die offensive Effizienz des Teams zumindest auf mittelmäßiges Niveau anheben lassen. Er sollte zudem merken, dass ihn Clifford nicht spielen lässt, wenn er den Ball in der Offense nicht anständig bewegt. Auf der anderen Seite des Feldes ist die Lösung indes nicht so einfach.

Die Defense bricht ein

Noch in der vergangenen Saison - als die Offense ebenfalls keine Bäume ausriss - war die Defensive das absolute Prunkstück der Bobcats und neben Al Jeffersons Brillanz im Post der Hauptgrund dafür, dass sie mit 43 Siegen den siebten Playoff-Platz im Osten erreichten. Das damalige Defensiv-Rating von 101,2 entsprach dem sechstbesten der gesamten Liga.

In dieser Saison ist bisher nichts mehr davon zu sehen. Das Defensiv-Rating liegt heuer bei 106, nur fünf Teams weisen einen mieseren Wert auf. Und die Effekte sind sichtbar, wie beim Spiel gegen die Hawks, als reihenweise Rotationen verschlafen wurden, bei Cuts in die Zone nicht oder zu spät ausgeholfen wurde und den gegnerischen Schützen viel zu viel Platz gelassen wurde.

Das ganze Team wirkt dann, als wäre es irgendwie aus dem Rhythmus und nur bedingt bei der Sache. Für eine Mannschaft, die im letzten Jahr vor allem durch Hustle und intelligente Teamverteidigung bestehen konnte, ist das ein alarmierendes Zeichen.

Hier schmerzt der Ausfall von Michael Kidd-Gilchrist, dem besten Flügelverteidiger und Vorzeige-Hustler der Hornets. Auch er würde aber nicht im Alleingang dafür sorgen können, dass die Defense wieder ihr altes Niveau erreicht. Das kann Charlotte nur als Team schaffen und dafür müssen alle an einem Strang ziehen.

Vorteil Eastern Conference

Das vermutlich beste Argument dafür, dass die Hornets den Turnaround noch hinbekommen werden, steht zu diesem Zeitpunkt nicht einmal unter ihrem Einfluss. Es ist die Tatsache, dass sie in North Carolina beheimatet sind - und damit in der Eastern Conference.

Es ist kaum zu glauben, aber selbst mit ihrer Bilanz von 4-14 liegen sie nur 3 ½ Spiele hinter den Indiana Pacers, die momentan Platz 8 belegen. Und wenn man nach dem "Strength of Schedule" geht, hatten nur die Kings und die Lakers schwierige Auftaktprogramme als Charlotte.

Als letzten Montag die Clippers in Charlotte zu Besuch waren, stimmten Doc Rivers und Clifford bei ihren Analysen überein: Im Osten kann man sich deutlich mehr Fehler erlauben als in der erneut bockstarken Western Conference.

Aus Euphorie wird Frust

Einen recht großen Teil dieses Kontingents haben die Hornets schon ausgeschöpft - zumal sie sich eigentlich deutlich mehr vorgenommen hatten als das erneute bloße Erreichen der ersten Playoff-Runde inklusive Sweep. Selbst dafür sieht es momentan nicht gut aus.

Unterm Strich ist noch nichts verloren, die Aufbruchstimmung von vor wenigen Wochen ist allerdings extrem schnell durch Frustration ersetzt worden. Jetzt liegt es an Clifford, den Karren ebenso schnell wieder aus dem Dreck zu ziehen.

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