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"Er bricht uns das Genick"

Von Ole Frerks
Boris Diaw schrammte in Spiel 4 der Finals knapp an einem Triple-Double vorbei
© getty

Seit der Berufung von Boris Diaw in die Starting Five sind die San Antonio Spurs nicht mehr zu bremsen. Auch beim Blowout in Spiel 4 zeigte der Franzose eine brillante Vorstellung und schrammte nur knapp am Triple Double vorbei. Diaw hat die meisten Assists aller Spieler in den Finals aufgelegt und wird von Gegnern, Mitspielern und Experten als X-Faktor ausgemacht. Die Miami Heat brauchen ein Wunder.

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Es ist nicht lange her, da war Boris Diaw nicht mehr als eine Punchline. Der Franzose war nach dem Lockout dermaßen übergewichtig bei den Charlotte Bobcats erschienen, dass sich "ESPN"-Kolumnist Bill Simmons einen Scherz daraus machte, den Cats eine eigene "Big 3" zuzusprechen: "Boris Diaw and his boobs".

Unter der Gürtellinie, klar, aber Diaws Ansehen hatte nicht nur beim "SportsGuy" arg gelitten. Seine Motivation aus den Zeiten bei den Phoenix Suns schien verflogen, seine Stats gingen nach und nach in den Keller. Die neun Millionen Dollar, die er pro Jahr verdiente, schienen absolut nicht mehr gerechtfertigt.

In 37 Spielen der Saison 2011/12 legte er für Charlotte nur noch 7,4 Punkte pro Spiel bei horrenden Quoten von 41 Prozent aus dem Feld und 26,7 Prozent von der Dreierlinie auf und wurde im März entlassen. Der Weg führte scheinbar schnurstracks raus aus der Liga für den Franzosen.

Doch da gibt es ja noch diese Franchise in Texas, die auf internationale Spieler spezialisiert ist. Bei der mit Tony Parker ein Kumpel aus der Nationalmannschaft aktiv ist. Die regelmäßig Spieler aufspürt, die bei anderen Teams ihr Potenzial nicht abrufen. Gregg Popovich und R.C. Buford verpflichteten Diaw für den Rest der Saison und gaben ihm eine neue Chance, vermutlich die letzte.

"Verdammt, 9 Assists?!"

Etwas mehr als zwei Jahre später ist Diaw einer der wichtigsten Spieler bei einem Team, das nur noch einen Sieg zum Titel braucht. Sein Plus/Minus-Wert über die vier bisherigen Spiele beträgt unfassbare +60, seitdem er in der Starting Five steht, feierten die Spurs zwei Blowouts in Serie. Kurzum: San Antonio spielt in den Finals (und auch zuvor gegen OKC) viel besser, wenn Diaw auf dem Parkett steht.

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Das sieht auch Chris Bosh: "Verdammt, 9 Assists?!", fragte der nach Spiel 4 ungläubig, "er war schon immer ein guter Spieler, wenn es darum geht, andere einzusetzen. Er bricht uns das Genick!" Auch Parker ist voll des Lobes, spricht davon, dass er "sehr stolz auf Diaw" ist, und dass er "perfekt zu uns passt."

Dabei wirkt das auf den ersten Blick kaum logisch. Diaw hat immer noch das eine oder andere Kilo zu viel, sieht nicht unbedingt aus wie ein Spieler, der einen solchen Einfluss in einer Finalserie ausüben sollte. Er ist auch als Scorer nur selten ein Faktor, hat in diesen Finals noch nicht ein einziges Mal zweistellig gepunktet.

Diaws Wert liegt vielmehr in seiner enormen Vielseitigkeit, sowohl was das eigene Spiel, als auch was die Lineups betrifft, die Popovich dank ihm nutzen kann. Mit seiner Uneigennützigkeit steht er symbolisch für das Ball Movement, das die Spurs so besonders macht. Steht Diaw auf dem Parkett, "klebt der Ball nicht fest", wie Pop sagt.

Zuhause in San Antonio

Der 32-Jährige erinnert daran, was ihn schon damals in Phoenix zu einem perfekten Partner für Steve Nash machte: Er besitzt für einen Big Man ein einzigartiges Skillpaket. Er kann passen wie ein Guard, er ist ein solider Dreierschütze, arbeitet gut am Brett und ist dank seiner Spielintelligenz sogar in der Lage, gegen viel schnellere Spieler wie LeBron James oder Dwyane Wade einigermaßen effektiv zu verteidigen.

Die Spurs und Diaw, das passt perfekt: San Antonio legt traditionell viel Wert auf Selbstlosigkeit, viele Pässe, "give up good shots to get great shots" ist das Mantra. Diaw kann sich hier ganz auf seine Stärken konzentrieren, ohne zu viel Last als Scorer zu tragen. Eine Rolle, die ihm ohnehin nicht liegt.

Zudem - und das ist vielleicht das Wichtigste - hat die Siegermentalität in San Antonio einen wichtigen Effekt auf ihn gehabt. Man konnte es bereits in Phoenix und auch bei der EuroBasket 2013 sehen: Hat Diaw die richtigen Leader um sich, blüht er auf. Soll er selbst ein Leader eines schwachen Teams sein, wie damals in Charlotte, verliert er die Lust und auch die Kontrolle am Büffet.

Duncan: "Er ist unglaublich"

Diese Gefahr besteht derzeit wohl nicht. San Antonio befindet sich auf einem historischen Run, der bald ein triumphales Ende finden könnte. Die Spurs spielen einen Basketball, der Experten und NBA-Legenden wie Magic Johnson ins Schwärmen versetzt. Auch Bosh spricht von "wunderschönem Basketball."

Bereits elf Playoff-Spiele mit mindestens 15 Punkten Vorsprung haben die Spurs gewonnen, NBA-Rekord für eine einzelne Postseason. Ihre Feldwurfquote aus den ersten vier Spielen liegt bei 54,2 Prozent und ist damit die zweithöchste Finals-Quote eines Teams, seit es die Shotclock gibt. Katalysiert wird dies vor allem durch Diaw.

"Er ist unglaublich, vor allem in dieser Serie", lobt Tim Duncan, "er hat seinen Rhythmus gefunden. Er hat das Spiel für uns wirklich verändert, mit seinen Pässen, seiner Verteidigung und seinen Rebounds."

Schon in der Nacht zum Sonntag haben die Spurs die Chance, das Trauma der letztjährigen Pleite ein für alle Mal loszuwerden. In einer Serie, bei der fast jeder mit 7 Spielen gerechnet hätte.

"Noch alles möglich"

Die Heat stecken derweil in einem Loch, und müssten für einen Threepeat drei Spiele am Stück gewinnen. Kaum vorstellbar jedoch, zumal zwei dieser Spiele in Texas stattfinden würden. "Sie spielen besser als wir", musste Wade nach Spiel 4 zugeben, "sie haben uns hier zuhause zweimal in den Hintern getreten."

Erik Spoelstra sprach derweil davon, dass "noch alles möglich ist. Wir haben 48 Stunden, in denen wir uns etwas ausdenken müssen." Wirklich überzeugend klang er dabei indes nicht, eher als hoffte er auf ein Wunder.

Denn Spo hat im Gegensatz zu Pop eben den klaren Nachteil eines viel dünneren Kaders. Er hat den besten Spieler der Serie (und der Welt) in seinen Reihen, aber dahinter kommt viel zu wenig: Wade agierte in Spiel 4 desolat, die Point Guards sind dermaßen schlecht drauf, dass Miami sogar den zuvor weitgehend inaktiven Toney Douglas entmottete - ohne Erfolg.

Ohne viel Spielraum

Blickt man auf den Kader des Meisters, fällt einem auch nicht unbedingt ein Move ins Auge, mit dem die Heat das Ruder noch rumreißen könnten. Mike Miller ist weg, Shane Battier zumeist ein Schatten seiner Selbst. Die Verpflichtungen von Greg Oden und Michael Beasley haben nicht das Geringste gebracht.

LeBron ist trotz der vielen Turnover der einzige konstante Spieler bei Miami in den Finals, legt bei mal wieder überragenden Quoten 27,5 Punkte pro Spiel auf. Gegen ein Team, das sich im Angriff konstant auf sieben oder acht Spieler verlassen kann, reicht das aber einfach nicht aus.

LeBron wird diese Vielseitigkeit und Ausgeglichenheit der Spurs meinen, wenn er anerkennt, dass "sie dich in Situationen bringen, wie es kein anderes Team der Liga kann." Popovich und Buford haben einmal mehr ganze Arbeit geleistet.

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