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"Ein siebtes Spiel ist furchteinflößend"

Von Interview: Marcel Friederich
Ray Allen wechselte vor der laufenden Saison von den Boston Celtics zu den Miami Heat
© getty

Eigentlich waren die San Antonio Spurs schon so gut wie Meister - doch dann kam Ray Allen und rettete die Miami Heat in die Overtime. Im Gespräch mit SPOX spricht der Routinier über seinen spektakulären Wurf in der sechsten Finalpartie und blickt voraus auf das alles entscheidende siebte Spiel.

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SPOX: Herr Allen, welche Gedanken kommen Ihnen in den Kopf, wenn Sie die zwei Worte "Spiel sieben" hören?

Ray Allen: Eine ganze Menge kommt mir da in den Kopf geschossen. Während meiner Karriere habe ich schon so einige siebte Spiele absolviert, in den Playoffs oder in den Finals. Als Wettkämpfer sind es genau diese Situationen, auf die man hinarbeitet und für die man lebt. Wir haben in unserer eigenen Halle die Chance, etwas Großes zu schaffen. Falls wir dieses Spiel gewinnen, könnten wir eine Ära starten. Dieses Spiel wird für immer in Erinnerung bleiben, unsere Kinder werden noch davon erzählen.

SPOX: Wie ist Ihre derzeitige Gefühlslage?

Allen: Einerseits ist die Vorfreude groß. Doch andererseits wird die Vorfreude ein bisschen davon getrübt, dass man es schließlich im Hinterkopf hat, dass man auch auf bittere Art und Weise scheitern kann. Klar sollte man versuchen, diese Gedanken so gut wie möglich zu verdrängen. Aber ich glaube sogar, dass für viele Sportler ein siebtes Spiel in Wahrheit furchteinflößend ist. Bei einem siebten Spiel sind nämlich alle Augen auf dich gerichtet, die öffentliche Wahrnehmung ist enorm. Daher könnte es bei manchen schnell ein Kopfproblem geben.

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SPOX: Der psychologische Vorteil liegt jedoch ganz klar bei Ihrer Mannschaft, den Miami Heat. Schließlich konnten Sie das schon verloren geglaubte sechste Spiel noch drehen.

Allen: Ja, eigentlich waren die Spurs schon so gut wie Meister. Ich habe es realisiert, als die Ordner vor der Schlusssirene mit den Absperrbändern angerannt kamen. Das hat mich angepisst. Es waren ja zumindest noch ein paar Sekunden auf der Uhr. Aber wer hätte in diesem Moment noch auf uns gewettet? Auf der Auswechselbank der Spurs wurde schon gefeiert, während sich unsere Fans zum Teil schon auf den Heimweg gemacht hatten.

SPOX: Doch dann trafen Sie fünf Sekunden vor Ende der regulären Spielzeit einen spektakulären Dreier zum 95:95-Ausgleich...

Allen: Das war ein Wurf, an den ich mich noch sehr, sehr lange erinnern werde. Natürlich habe ich während meiner Karriere schon zahlreiche Würfe getroffen. Doch dieser Wurf wird in meinem persönlichen Ranking eine Top-Position einnehmen, weil die Situation so außergewöhnlich war. Die letzten anderthalb Minuten des Spiels sind für uns sehr unglücklich verlaufen. Es sah überhaupt nicht gut für uns aus. Doch wir haben eindrucksvoll bewiesen, dass wir niemals aufgeben und immer an unsere Chance glauben. Abgesehen von unserem Kampfgeist kam in dieser Situation auch ein bisschen Glück dazu, gar keine Frage. Wenn man Meisterschaften gewinnen will, braucht man manchmal das Glück auf seiner Seite.

Nachbericht: Wenn nur noch der pure Wille zählt

SPOX: Welche Erinnerungen haben Sie exakt an diese Situation, den Wurf zum 95:95?

Allen: Zunächst nahm LeBron einen Dreierpunktwurf, woraufhin ich in die Zone zum Rebound gegangen bin. Dann habe ich bemerkt, dass sich Chris Bosh den Abpraller geschnappt hat. Daraufhin bin ich schnell zurückgelaufen hinter die Dreipunktlinie. Ich wusste ja, dass uns nur ein Dreier zum Ausgleich hilft. Ein Zweier hätte nicht gereicht. Ich konnte nur hoffen, dass ich in der Ecke die richtige Position gefunden hatte. Und dann kam der Ball tatsächlich zu mir.

SPOX: Kann man für solche Momente trainieren?

Allen: Es klingt vielleicht komisch - aber für diese Situationen trainiere ich regelmäßig. Ich versuche, brenzlige Situationen zu simulieren, indem ich aus allen möglichen Ecken und Enden des Spielfelds werfe. Für die Vorbereitung des Wurfes gebe ich meinem Körper auch im Training nur ganz wenige Augenblicke Zeit. Deshalb würde ich es so formulieren, ohne überheblich klingen zu wollen: Durch mein Training habe ich mir selbst die Möglichkeit gegeben, auch solche Würfe wie in Spiel sechs treffen zu können. Als der Ball durch den Ring gefallen ist, war es ein ekstatisches Gefühl. Doch gleichzeitig habe ich es selbst von mir erwartet, diesen Wurf zu treffen.

SPOX: Weder die Heat noch die Spurs haben es geschafft, in dieser Finalserie zwei Spiele in Folge zu gewinnen. Warum?

Allen: Gute Frage, ich weiß es selbst nicht. Diese Finalserie hat in der Tat einen sehr merkwürdigen Verlauf. Jedes Mal, wenn man denkt, das Momentum sei auf unserer oder auf San Antonios Seite, geht es wieder in die andere Richtung. Auch bei uns Distanzschützen ist es ähnlich. Bei manchem Spielen treffen wir gut, am nächsten Abend wieder nicht. Wobei Spieler wie Mike Miller oder ich auch sehr stark in der Defense eingebunden sind. Die Spurs sind nämlich ein wahnsinnig ausgeglichenes Team mit zahlreichen Waffen in der Offensive. Deshalb muss jeder einzelne Verteidiger immer hellwach sein. Auf jeden Fall wird die Defense der Schlüssel in Spiel sieben sein.

SPOX: 2010 standen Sie mit den Boston Celtics in den Finals gegen die Los Angeles Lakers - und verloren das entscheidende siebte Spiel. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Allen: Das war eine unglaubliche Partie. Wir haben auswärts gespielt, so dass wir schon beim Aufwärmen die enorme Abneigung der Lakers-Fans zu spüren bekommen haben. Es schien, als wäre die ganze Welt gegen uns. Trotzdem haben wir es geschafft, bis zu Beginn des letzten Viertels in Führung zu liegen. Doch dann ist uns der Sprit ausgegangen, während die Lakers von der Energie des Heimpublikums profitiert haben. Genauso, wie wir vorgestern von unseren Anhängern profitiert haben. Aus diesem Grund bin ich sehr glücklich, dass wir das siebte Spiel zuhause bestreiten dürfen. Es ist ein großer Vorteil, in so einer Situation die eigenen Fans im Rücken zu haben.

Ergebnisse und Spielplan im Überblick