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"Der Saisonverlauf ist eine Genugtuung"

Von Interview: Marcel Friederich
Chicagos Luol Deng besitzt seit 2006 die britische Staatsbürgerschaft
© getty

Luol Deng (27) von den Chicago Bulls gehört zu den besten Basketballern der NBA. Dennoch wird der britische Nationalspieler häufig übersehen. Im Interview mit SPOX spricht Deng über die Verletzung von Derrick Rose, das olympische Heimspiel in London und seine Kindheit im Sudan.

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SPOX: Vergangene Saison waren Ihre Chicago Bulls das erfolgreichste Team der Hauptrunde. Doch dann verletzte sich Derrick Rose im ersten Play-off-Spiel gegen die Philadelphia 76ers schwer. Bis heute ist er nach seinem Kreuzbandriss nicht zurückgekehrt. Wie sehr vermissen Sie ihn?

Luol Deng: Wir müssen uns nichts vormachen. Derrick ist einer der besten Basketballer des Planeten. Kaum ein anderer Spieler ist so schnell wie er. Kaum ein anderer kann so gut scoren wie er. Sobald Derrick auf dem Feld steht, macht er seine Mitspieler sofort besser. Während sich die Gegenspieler auf ihn konzentrieren, entsteht für mich und die anderen Jungs mehr Freiraum. Deshalb war es ein harter Schlag, als wir ihn im Vorjahr verloren haben. Seine Verletzung kam so unerwartet, weshalb wir regelrecht geschockt waren. Daher sind wir direkt gegen die 76ers rausgeflogen.

SPOX: Diese Saison liegen die Bulls erneut voll auf Playoff-Kurs. Ist es für Sie überraschend, dass es auch ohne Rose so gut läuft?

Deng: Wir mussten lernen, mit Derricks Verletzung umzugehen. Nach dem anfänglichen Schockzustand ist uns das Schritt für Schritt immer besser gelungen. Jeder von uns hat noch mal zehn Prozent mehr in die Waagschale geworfen. So haben wir es geschafft, zwar ohne Derrick, dafür aber mit einem großartigen Teamspirit viele Spiele zu gewinnen. Ein großes Lob gebührt unserem Headcoach Tim Thibodeau.

SPOX: Vor der Saison glaubten viele, dass die Bulls ohne Rose keine Chance auf die Playoffs haben...

Deng: Das stimmt. Deshalb ist der bisherige Saisonverlauf eine Art Genugtuung für uns. Zahlreiche Außenstehende hatten uns schon abgeschrieben. Doch nun beginnen die Leute uns wieder zu mögen. Sie sehen, wie hart wir dafür arbeiten, um als Team erfolgreich zu sein. Klar ist allerdings auch: Wir warten alle sehnsüchtig, dass Derrick endlich zurückkommt. Er ist ein umgänglicher Junge. Daher wird es kein Problem sein, ihn schnell im Team zu integrieren.

SPOX: Wann erwarten Sie ihn zurück auf dem Feld? Noch in dieser Saison?

Deng: Ich habe keine Ahnung.

SPOX: Sind die Bulls auch ohne Rose ein ernsthafter Kandidat auf die Meisterschaft?

Deng: Davon bin ich überzeugt. Wir sind als Gruppe gewachsen und haben das Zeug dazu, jeden Gegner zu schlagen.

SPOX: Rose' Vertreter auf der Point-Guard-Position ist der 1,75 Meter kleine Nate Robinson. Was halten Sie von ihm?

Deng: Nate ist ein großartiger Kerl. Er hat viel Humor und sorgt für gute Stimmung in der Kabine. Auf dem Spielfeld hat er es geschafft, D-Rose gut zu vertreten. Dafür zolle ich ihm sehr viel Respekt.

SPOX: Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Entwicklung von Center Joakim Noah. Nicht nur defensiv, sondern auch offensiv wird er immer wertvoller...

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Deng: Das kann ich nur unterstreichen. Joakim ist zwar nicht der talentierteste Spieler des Planeten. Doch kaum jemand trainiert und arbeitet so hart wie er. Obwohl er schon Ende 20 ist, wird er von Tag zu Tag besser. Ich habe mich sehr für ihn gefreut, dass er erstmals ins All-Star-Team berufen wurde.

SPOX: Wie hat sich Ihre persönliche Rolle nach der Verletzung von Derrick Rose verändert?

Deng: Natürlich stehe ich noch mehr in der Verantwortung als früher. Doch ich bin bereits Kapitän dieser Mannschaft gewesen, bevor Derrick zu den Bulls gekommen ist. Meine Leaderposition konnte ich von Jahr zu Jahr weiterentwickeln. So ist es für mich kein Problem, jetzt noch mehr Verantwortung zu tragen als zuvor.

SPOX: Das zweite Jahr in Folge wurden Sie ins All-Star-Team berufen. Trotzdem stehen Sie nur selten im Rampenlicht. Werden Sie manchmal unterschätzt?

Deng: Möglicherweise. Doch für mich ist das kein Problem. Ich bin froh, wenn sich die Medien auf andere Spieler stürzen und ich mich komplett auf den Basketball konzentrieren kann.

SPOX: Woran liegt es, dass Sie manchmal übersehen werden?

Deng: Ich bin nicht so schnell wie D-Rose. Ich kann nicht so dunken wie Blake Griffin. Und ich habe nicht so viele Muskeln wie LeBron James. Damit will ich sagen, dass es bei mir keine ganz herausragende Eigenschaft gibt. Dafür bin ich ein sehr flexibler Spieler. Ich kann rebounden, scoren und verschiedene Positionen verteidigen. In den Highlight-Videos komme ich damit aber nicht ganz so oft vor. Daher nehmen mich Leute, die sich nur oberflächlich mit der NBA beschäftigen, nicht so schnell wahr.

SPOX: Im vergangenen Sommer nahmen Sie mit der britischen Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen in London teil. Wie haben Sie dieses "Heimspiel" erlebt?

Deng: Das war ein großartiges Erlebnis. Ich bin selbst in London aufgewachsen und kenne die Stadt in- und auswendig. Ebenso kenne ich meine Teamkollegen seit meiner Kindheit. Mit den meisten habe ich bereits in den Jugend-Nationalteams zusammen gespielt. Es war überragend, dass ich diese besonderen Momente in London mit ihnen teilen durfte.

SPOX: Mit nur einem Sieg aus fünf Spielen verpassten Sie jedoch das Viertelfinale...

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Deng: Wir haben in Großbritannien das Problem, dass es zu wenige talentierte junge Basketballer gibt. Auf der Insel dreht sich leider alles nur um den Fußball. Wer ein klein bisschen sportliches Talent besitzt, wird sofort zum Fußball geschickt. Das ist so ähnlich wie in Deutschland. Wobei ich sagen würde, dass die Situation in Großbritannien noch krasser ist.

SPOX: Nachdem die Olympischen Spiele in Ihrer Heimatstadt vorüber sind, könnten Sie Ihre Karriere im Nationalteam doch fast schon beenden?

Deng: Nein, das ist nicht mein Plan. Sofern es machbar ist, möchte ich die britische Nationalmannschaft weiter unterstützen. Es ist doch immer dasselbe: Wenn ein NBA-Spieler im Kader steht, ist das öffentliche Interesse sofort höher.

SPOX: Geboren sind Sie allerdings nicht in Großbritannien, sondern im Sudan, einem der ärmsten Länder der Welt.

Deng: Ich hatte riesengroßes Glück. Als ich auf die Welt kam, herrschte im Sudan Bürgerkrieg. Weil mein Vater dem Parlament angehörte, konnten wir nach Ägypten ausreisen. Wenig später ging es für uns weiter nach London. Ich bin von Glück gesegnet, dass sich mein Leben so entwickelt hat, nun in der NBA spielen zu dürfen.

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