NBA

Noch stärker als mit Harden?

Von Jan-Hendrik Böhmer
Kevin Durant und die Oklahoma City Thunder gehören erneut zur Creme de la Creme der NBA
© Getty

Nach dem Trade von James Harden zu den Houston Rockets hatten Experten die Saison von Oklahoma City bereits abgeschrieben. Jetzt zählen die Thunder erneut zu den besten Teams der NBA. SPOX erklärt, warum die Mannschaft auch ohne Harden funktioniert.

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Was wurde nach dem Trade von James Harden zu den Houston Rockets nicht alles geredet. "Die Thunder haben ihren Charme verloren - und ihre Chance auf den Titel", sagte "ESPN"-Experte J.A. Adande. "Man hat schnellen Erfolg gegen gute Aussichten in der Zukunft eingetauscht."

Sein Fazit damals: Es wird ein schweres Jahr für OKC.

Es gab aber auch andere Stimmen. Und die sagten: Passt schon. So wie Rob Mahoney von der "Sports Illustrated".

Der bilanzierte damals nämlich: "Nachvollziehbare Entscheidung. Das Team wird zwar kurzfristig ein wenig leiden, aber insgesamt stimmt die Balance und die Thunder haben weiterhin gute Chancen, um den Titel mitzuspielen."

Collison gesteht anfängliche Probleme ein

Nach knapp einem Viertel der regulären Saison drängt sich die Frage auf: Wer hatte denn nun recht? Fehlt Harden dem Team - oder war der Trade genau der richtige Move?

Wie so oft liegt die Wahrheit vermutlich irgendwo in der Mitte. Zu behaupten, man hätte den Abgang des amtierenden "Sixth Man of the Year" überhaupt nicht bemerkt, wäre sicherlich falsch.

Der Saisonstart wurde nach Niederlagen gegen San Antonio und Atlanta bereits als "rumpelig" beschrieben - und selbst Forward Nick Collison räumte gegenüber SPOX ein: "Natürlich hat der Trade hier einiges Durcheinander gebracht."

Durcheinander - aber kein Chaos

Doch Durcheinander muss im Fall der Thunder noch lange nicht Chaos bedeuten. Ganz im Gegenteil. "Wir werden die Gelegenheit nutzen, um ein wenig zu experimentieren, uns zu finden und Spieler zu evaluieren", sagte Coach Scott Brooks zu SPOX.

Und bei allen Experimenten hatte er zwei Fragen im Kopf. Erstens: Wie garantieren wir kurzfristig den Erfolg? Und zweitens: Wie sieht das Thunder-Team der Zukunft aus?

Das Problem: Der Trade - da waren sich alle Parteien einig - war in erster Linie eine Investition in die Zukunft. Mit Jeremy Lamb und den zusätzlichen Draft-Picks, die im Tausch für Harden nach OKC kamen, stehen die Thunder für die kommende Jahre extrem gut da.

Die Gefahr, die viele Experten in der aus Front-Office-Sicht durchaus nachvollziehbaren Entscheidung sahen, ist die, dass man die verbleibenen Spieler und besonders die Fans bitter enttäuschen würde. Einige Experten argumentierten sogar, dass man dem Team und den Besuchern einen weiteren Title-Shot schulden würde. Und dass, wenn man sie nun dieser Chance berauben würde, eine Revolte drohe.

Ibaka hat den größten Sprung gemacht

Zwischenbilanz der Unternehmung: Nix da mit Revolte. Zwar hat sich das Team in der bisherigen Saison nicht immer mit Ruhm bekleckert, doch die Thunder gewannen neun der letzten zehn Spiele, erzielten die meisten Punkte und zählen auch defensiv zu den effizientesten Teams der Liga.

Es gibt nicht wenige, die Oklahoma City sogar für das beste Team der NBA halten. Oder wenigstens eines der besten. Vielleicht sogar noch besser als mit Harden im Vorjahr.

SPOX-Power-Ranking: Thunder erklimmen Platz eins

Und das hat mehrere Gründe. Zum einen haben mehrere Spieler seit dem Trade einen großen Schritt nach vorne gemacht. Ein Name der sich hier besonders aufdrängt, ist Serge Ibaka.

Der hat im Vergleich zum Vorjahr noch einmal ordentlich zugelegt. Mehr Punkte, bessere Arbeit am defensiven Brett und zudem ganz starke Blocks - insgesamt zieht er ein deutlich effizienteres Spiel auf als noch vor dem Abgang von Harden.

Alle sind zufrieden mit Martin

Gleiches gilt für Thabo Sefoloscha. Der Schweizer Guard bekommt in dieser Saison mehr Spielzeit und dankt es dem Team mit deutlich verbesserten Werten. In der Defense ist Sefolosha sowieso über jeden Zweifel erhaben.

Weiterer Erfolgsgarant: Kevin Martin. Trotz einiger Auf und Abs fügt er sich ordentlich ins Team ein. Klar, er holt weder so viele Rebounds wie Harden noch steuert er so viele Assists bei.

Dennoch ist man in Oklahoma City zufrieden mit ihm. Trotz seiner Defensiv-Schwächen. Denn derer war man sich im Vorfeld bereits bewusst - und hat sich darauf eingestellt, indem man die Last durch andere Spieler abfängt. "Kevin ist hier reingekommen und macht seither einen guten Job", resümiert Kevin Durant.

Durant: "Jeder ist extra motiviert"

Doch noch viel wichtiger als das Auftreten einzelner Spieler ist das, was nach dem Harden-Trade mit der Team-Mentalität passierte. Anstatt nach dem schweren Start die Köpfe hängen zu lassen und sich von den Experten-Prognosen in eine Negativ-Spirale reden zu lassen, ging ein Ruck durch die Mannschaft.

"Nicht nur Russell (Westbrook) hat seine Spiel noch einmal auf eine andere Stufe gehoben", sagt Durant. "Jeder ist extra motiviert. Jeder will die Lücke ausfüllen, die James hinterlassen hat."

Und diese neue Wir-Gefühl ist auf dem Platz deutlich zu erkennen. Rangierte man bei den Assists im Vorjahr noch auf dem letzten Platz der Rangliste, so lassen die Thunder den Ball deutlich besser durch die eigenen Reihen laufen.

Kurzum: Es ist längst nicht alles perfekt in Oklahoma City (Turnover sind noch immer ein großes Problem), doch das Team scheint auf einem sehr guten Weg zu sein.

Thabeet besser als Perkins?

Für diese Saison scheint der Kader also zu stehen, doch was bedeutet das für die Zukunft? Zweites erklärtes Ziel von Coach Brooks war es schließlich, Spieler wie Hasheem Thabeet und Jeremy Lamb genauer unter die Lupe zu nehmen.

Und Thabeet liefert dabei eine durchaus beachtliche Leistung ab. Zwar bekommt der bereits als Trade-Bust verschriene ehemalige Erstrunden-Pick derzeit noch relativ wenig Spielzeit (12,6 Minuten), lässt aber immer wieder sein Talent aufblitzen.

Insgesamt ist er sogar deutlich effizienter als Staring-Center Kendrick Perkins. Der steht weiter in der Kritik und man muss sich wohl die Frage stellen, wie es mit ihm weitergeht, sollte Thabeet auch weiterhin anständig spielen und weiter an Selbstbewusstsein gewinnen.

Coach Crooks stellte allerdings klar, dass er bei der Bewertung seiner Spieler keine voreiligen Schlüsse ziehen will. "Wir werden nach ein paar Spielminuten ganz sicher nicht über die Karriere eines Spielers entscheiden", so Brooks zu SPOX. Das würde nicht nur für Thabeet, sondern auch für den bisher wenig eingesetzten Lamb gelten.

Jackson macht Druck auf Maynor

Selbst der eher enttäuschende Eric Maynor, von dem man sich nach ausgestandener Knieverletzung Entlastung für Russell Westbrook erwartet hatte, hat vorerst noch Schonfrist.

Wie gesagt: vorerst. Denn mit Reggie Jackson rückt erneut ein junger Spieler nach, der bereits jetzt in seinen wenigen Minuten erfolgreicher arbeitet als Maynor.

Was lässt sich zusammenfassend über die Franchise sagen? Haben die Thunder ihren Charme und die Titelchancen verloren? Oder haben sie trotz des Trades ihre Aussichten auf unmittelbaren Erfolg gewahrt und zudem noch in die Zukunft investiert?

Nach knapp einem Viertel der Saison sieht es fast so aus, als liefe alles glatt. Bisher jedenfalls. Denn was das Team leisten kann, wenn es wirklich darauf ankommt, muss sich erst zeigen.

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