NBA

Der personifizierte Widerspruch

Von Philipp Dornhegge
Rasheed Wallace verfügt über mehr Playoff-Erfahrung als jeder andere Spieler der Boston Celtics
© Getty

Wallace ist Vorbild und Badboy, Siegertyp und Stinkstiefel, Diva und Wohltäter in einer Person. Für die Celtics könnte er im Titelkampf das Zünglein an der Waage sein.

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Dreier - drin! Stepback Jumper - swish! Korbleger - sitzt! Was Rasheed Wallace in Spiel fünf der Eastern Conference Finals in Orlando zeigte, war eine Augenweide. Der Big Man präsentierte sich in einer Partie, die aus Bostons Sicht ansonsten zum Vergessen war, als großer Lichtblick. Mit 21 Punkten und nur zwei Fehlwürfen (7 von 9) war er der beste Celtic.

Dass Wallace das Talent hat, ein Spiel zu dominieren, hat er jahrelang tagein, tagaus bewiesen. Als er noch in Portland spielte, richteten ganze Teams ihre Defensivstrategie nach ihm aus. Weil er brandgefährlich aus der Distanz ist, dazu ein ordentlicher Rebounder und ausgestattet mit einem Turnaround-Jumper, den man praktisch nicht blocken kann.

All das findet zwar inzwischen auf gemäßigtem Niveau statt, was bei einem 35-Jährigen aber kein Wunder ist. Für Boston ist er trotzdem Gold wert.

Allerdings: Wenn Wallace dereinst seine Schuhe an den Nagel hängt, wird man sich wohl vor allem an andere Facetten eines der widersprüchlichsten Stars der Liga-Geschichte erinnern.

Basketball-Gene vom Vater

Rasheed Abdul Wallace wuchs mit seinen zwei Brüdern als Sohn einer alleinerziehenden Mutter in Philadelphia auf. Sein Vater, ein Streetballer erster Güte, half zwar gelegentlich mit, die meiste Zeit aber hatte er Besseres zu tun. Eines jedoch hinterließ Sam Tabb seinem Sohn: sein Talent.

Schon früh war klar, dass Rasheed eine große Karriere bevorstand. An der High School entwickelte er sich zu einem der besten Nachwuchsspieler des Landes. Wallace wurde von etlichen Colleges hofiert, entschied sich aber für die legendäre University of North Carolina.

Ihm gefiel die Art von Coach Dean Smith, große Talente erst einmal in die zweite Reihe zu verbannen und sich die Hörner abstoßen zu lassen, bis ihre Zeit gekommen war. Hier lernte er, dass Basketball kein Individualsport ist, sondern ein Mannschaftsspiel, bei dem es nur um eins geht: gewinnen.

Denkt man darüber nach, dass Wallace in seiner gesamten NBA-Karriere, die ihn von Washington über Portland, Atlanta und Detroit nach Boston führte, stets als launische Diva verschrien war, dann ist dies der Aspekt, der einen immer noch am meisten wundert.

Die meisten technischen Fouls

Wallace war nie ein Egozocker, der das Wohl des Teams bewusst aufs Spiel setzte, um sich in ein besseres Licht zu stellen. Ihm ging es immer nur darum, Titel zu gewinnen. Dabei schoss er freilich nicht selten übers Ziel hinaus.

Sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn veranlasst ihn noch heute, jede fragwürdige Schiedsrichterentscheidung auszudiskutieren. Mit dieser Art sammelte er in seiner Karriere über 300 technische Fouls - Wallace ist damit einsamer Rekordhalter in der Ligahistorie.

Wegen ihm stellte die NBA die heute noch gültige Regel auf, nach der ein Spieler in der regulären Saison nach dem 16., in den Playoffs nach dem 7. technischen Foul für jedes weitere ein Spiel gesperrt wird.

Es gibt Geschichten, laut denen Wallace sogar von Fans beruhigt werden musste: "Ist schon gut, 'Sheed, chill' einfach", war in Portlands Rose Garden einst ein oft gehörter Satz. Auch in diesem Jahr führte er die Liga mit 17 Vergehen an, in den Playoffs liegt er aktuell nur hinter Teamkollege Kendrick Perkins.

Anführer der berüchtigten Jail Blazers

Während man Wallace' Verhalten sicher als Ausdruck seiner Leidenschaft verstehen kann, steht außer Frage, dass er seinen Teams damit mehr geschadet als genutzt hat. Auch seinetwegen war Portlands Mannschaft jahrelang als die Jail Blazers verschrien.

Es war sicher auch seine Schuld, dass eins der talentiertesten Teams dieses Jahrtausends nie mehr als die goldene Ananas gewann. Ein Marihuana-Vergehen tat dazu sein Übriges und zeigt außerdem, dass Wallace auch abseits des Platzes ein schwieriger Charakter ist.

Nach einer anfänglichen 08/15-NBA-Karriere hörte er von einem auf den anderen Tag einfach auf, Autogramme zu schreiben. Er ignorierte Fans, stritt sich mit Mitspielern und verweigerte Interviews - eine Todsünde in der NBA, wo Gespräche mit Journalisten und Veranstaltungen für karitative Zwecke verpflichtend sind.

Wahrscheinlich weiß nicht einmal Wallace selbst, wie viele Dollars er schon an Strafgeldern hat bezahlen müssen. Und wahrscheinlich kann nicht einmal er selbst erklären, woher diese Aussetzer kamen. Lag es am Druck, an einem generell nicht funktionierenden Team oder an privaten Problemen? Die Frage ist bis heute ungeklärt.

Moslem, liebender Vater und Museumsfan

Genauso ungeklärt bleibt, wie sich Wallace' fragwürdiges Verhalten mit seinem ansonsten sehr ruhigen Wesen verträgt, das in den letzten Jahren verstärkt zum Ausdruck kam. Denn er ist kein Partyhengst und keiner mit einem wilden Lebensstil.

Vielmehr ist Wallace ein gläubiger Moslem und liebender Vater von vier Kindern. Seine Freizeit verbringt er lieber mit Videospielen oder Museumsbesuchen als in irgendwelchen Clubs.

Seit 1997 hat er eine eigene Stiftung, mit der er Menschen aus Philadelphia, Portland und Durham, North Carolina, zu besserer Lebensqualität verhelfen sowie Jugendlichen größere Möglichkeiten in punkto Freizeitgestaltung und Bildung geben möchte.

2005 startete er das Rasheed Wallace Reading and Learning Center an einer High School in Detroit. Wallace sagt zu dieser Diskrepanz nur eins: "Nicht jeder kann dich mögen. 50 Prozent der Menschen hassen dich, die anderen lieben dich. Dagegen kann man nichts tun. Das Wichtigste ist, authentisch zu bleiben."

Flyers-Kappe regt Bostonians auf

An sich eine lobenswerte Einstellung, aber wenn man Rasheed Wallace heißt, werden von der Gesellschaft oftmals andere Maßstäbe angesetzt. Auch in diesem Jahr hat er wieder etliche Fans gegen sich aufgebracht.

Unlängst wurde er mit einer Kappe seines Lieblings-NHL-Klubs Philadelphia Flyers gesehen und von den Bostonians wüst beschimpft, weil er über die Erfolge der Flyers jubelte. Leider hatten die Flyers nämlich in der zweiten Playoff-Runde die Boston Bruins eliminiert.

Auch sportlich machte Wallace den Celtics-Fans nur selten Freude. In der regulären Saison spielte er lethargisch und lustlos, was "ESPN"-Kolumnist und Die-Hard-Fan Bill Simmons dazu verleitete, Wallace zu seinem "least favourite Celtic ever" zu küren. Wallace sagte dazu nur, dass er schließlich für seine Playoff-Leistungen bezahlt werde.

Erfahrung aus 169 Playoff-Spielen

Doch als er auch in der ersten Playoff-Runde gegen Miami weit unter seinen Möglichkeiten blieb, platzte selbst Coach Doc Rivers der Kragen. Ungewöhnlich harsch nahm er sich seinen Spieler zur Brust und forderte ihn auf, endlich mehr zu zeigen.

Denn auch Rivers ist klar: Nur mit Wallace hat Boston Chancen auf den zweiten Titel innerhalb von drei Jahren. Umso mehr, nachdem sich Glen Davis eine Gehirnerschütterung zuzog und womöglich mehrere Spiele verpasst. Kendrick Perkins wird nach seinem siebten technischen Foul wahrscheinlich für ein Spiel gesperrt.

Er ist die erste Option von der Bank, der die gegnerische Zone mit seinem Distanzwurf aufreißen kann, dessen Defense Dwight Howard in den Wahnsinn treibt und dessen Erfahrung aus 169 Playoff-Spielen selbst Ray Allen, Paul Pierce und Kevin Garnett wie Schuljungen aussehen lässt. Und dass er Meisterschaften gewinnen kann, hat er 2004 mit den Pistons bewiesen.

Spielt Wallace auch in Boston wie in Spiel fünf, dann rücken die Finals in greifbare Nähe. Er muss nur wollen.

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