Übermensch ohne Motivation

Sebastian Vettel hat ein enttäuschendes Jahr hinter sich
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Der bedeutendste Grund für die Erfolglosigkeit ist, dass sich die Formel 1 in ihren Grundfesten verändert hat. Sie ist von der Aerodynamik-Formel zur Motoren-Formel geworden. Die Tricks und Kniffe, mit denen Technikdirektor Adrian Newey bei Williams, McLaren und Red Bull insgesamt acht Konstrukteurstitel holte, reichen nicht mehr, um ein Siegerauto zu bauen.

Das Reglement bietet mittlerweile kaum mehr Schlupflöcher, die von den Teams mit teuren Windkanaltests und Computersimulationen in zeitbringende Vorteile verwandelt werden könnten. Selbst die in der Nase versteckte Fernsehkamera verbot die FIA, weil sie dem Geist des Reglements nicht entsprach - oder weil die TV-Bilder einfach nicht zu verwenden waren. Die richtige Powerunit im Heck zu haben, ist für den Kampf um den Sieg ausschlaggebend.

Für Newey, den achtmaligen Konstrukteursweltmeister, der die Entwicklung der Formel 1 fast 25 Jahre lang mitbestimmte, waren die Veränderungen zu viel: "Die aktuellen Regeln sind sehr einschränkend, das ist jammerschade. Es ist schwer, neue Bereiche zu finden, die man erforschen kann, weil sie so eingeschränkt sind."

Der größte Schumi-Widersacher tritt ab

Newey zog daraus seine Konsequenzen: Ende, Aus, Abschied zum Jahresende. Der ehemals größte Konkurrent von Michael Schumacher will sich "neuen Projekten" zuwenden, bei denen seine Fähigkeiten als Aerodynamiker noch einen echten Unterschied ausmachen. Nur als Mentor steht er dem F1-Team noch zur Verfügung.

"Wenn man einen Sport verfolgt - egal was für einen - dann will man am Ende das Gefühl haben, dass die Jungs speziell sind. Wenn man sich die MotoGP anguckt, dann denkt man, die Jungs sind übermenschlich", erklärte Newey seine Motivation: "Mit der aktuellen Art von Formel-1-Autos bekommt man das nicht."

Vettel machte mit seinen mannigfaltigen Rekorden der letzten Jahre den Eindruck, solch ein Übermensch sein zu können. Seinen talentierten Teamkollegen Mark Webber hängte er ab. Er war der optimale Fahrer, um die Newey'schen Abtriebsmonster auf die Pole-Position und anschließend im Parc Ferme auf den mit der Nummer 1 markierten Platz zu stellen.

Acht Autos baute Newey für den österreichischen Konzern, ebenso viele Weltmeistertitel hat die Truppe aus Milton Keynes damit abgeräumt. Ob es diese Entscheidung war, die Vettel seine Ausstiegsklausel im eigentlich bis 2015 gültigen Vertrag ziehen ließ? Es dürfte zumindest ein Argument gewesen sein.

Vettels Erfolgsteam auseinander gerissen

Einer der wichtigsten Väter des Erfolgs verabschiedet sich in den Formel-1-Ruhestand, Renningenieur Guillaume Rocquelin übernimmt einen Teil dessen Aufgaben, die übrigen Teams versuchen teils erfolgreich die anderen Top-Ingenieure abspenstig zu machen, und die eigene Stimmung ist im Keller. Was also tun, wenn sich plötzlich alles verändert hat?

Es gab nur zwei Möglichkeiten: Beim Umbau der eigenen Heimat mithelfen oder sich selbst ein neues Projekt suchen. Vettel entschied sich für das Projekt, bei dem er die besseren Perspektiven sah - auch für seine eigene Psyche.

Vettel sucht die Ferrari-Magie

"Es gibt viele Märchen über Ferrari und wie es sich anfühlt, ein rotes Auto zu fahren. Ich kann diese Geschichten nur bestätigen", sagte der Deutsche nach seinem ersten Test im zwei Jahre alten F2012: "Es ist definitiv etwas Magisches. Ich werde nie vergessen, was heute passiert ist."

Die Motivation ist nach dem Tapetenwechsel zurück. Vettel träumt seit seiner Jugend von der Roten Göttin, als er Michael Schumacher in Fiorano beim Testen beobachtete. Auch heute sind unter seinen drei Lieblingsautos zwei Ferrari, wie er im Interview verriet. Sein Lächeln suggeriert schon jetzt wieder echte Freude, keinen ausweichenden Sarkasmus.

Dass es nicht einfach wird, mit der Traditionsmarke den fünften Weltmeistertitel zu holen, weiß jeder Beteiligte. Selbst Fernando Alonso scheiterte als vermeintlich bester Fahrer der aktuellen Generation an diesem Ziel. Vielleicht hat Vettel aber auch nur seinem Erfolgsgaranten Newey genau zugehört: Wenn es der Beste nicht schafft, dann kann es wohl nur ein Übermensch.

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Endstand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM 2014