Grantler, Vordenker, Zauberer

Von Dietmar Lüer
Ernst Happel gewann mit dem Hamburger SV das Double
© getty

Ernst Happel war ein Großer, ein ganz Großer der Trainerzunft. Behangen mit etlichen Titeln, mit maximalem Erfolg bei fast all seinen Stationen. Ganz unumstritten war er dennoch nie. Zu ungewöhnlich waren seine Methoden und zu gewöhnungsbedürftig sein Ego. Vielleicht ist er aber auch gerade deshalb so vielen im Gedächtnis geblieben.

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Geboren wurde die spätere Trainer-Legende 1925 als Ernst Franz Hermann Happel in Wien und begann seine fußballerische Karriere 1942 bei Rapid Wien. Schnell avancierte er dort zum Publikumsliebling, zumal er den "Stopper" schon sehr viel moderner spielte, als es zu der Zeit üblich war. Seine spielerischen Qualitäten waren überragend, was ihm früh den Beinamen "Zauberer" einbrachte.

1947 streifte er das erste Mal das Trikot des österreichischen Nationalteams über und sollte es auch so schnell nicht mehr abgeben, da er schon in seinem ersten Spiel - einem 4:3 Sieg gegen Erzrivalen Ungarn - einer der besten Spieler auf dem Feld war. Auch hier zeigte er seine technisch und spielerisch herausragenden Fähigkeiten, die ihm später als Trainer mehr als nützlich werden sollten.

Bei Rapid genießt er noch heute Kultstatus, was man nicht nur am Stadion-Namen erkennt. Dies lag nicht nur an seinen Erfolgen, sondern vor allem seiner charismatischen Art, die man dort heute noch mit dem Namen Ernst Happel verbindet.

Verrückter Typ auf dem Platz

1954 fuhr Happel mit der Nationalmannschaft zur WM in der Schweiz. Auf dem Weg dorthin gab es einen Stopp in Innsbruck, wo die Mannschaft ein Trainingsspiel gegen eine Vorarlberg-Auswahl absolvierte. Beim Stand von 14:0 wurde es dem Verteidiger Happel etwas zu langweilig. Er schnappte sich den Ball, drehte sich um und schoss seinem Spezi Walter Zeman ein Eigentor aus zwanzig Metern. Die beiden hatten auf dem Platz ständig Auseinandersetzungen, blieben allerdings zeitlebens enge Freunde.

Auch bei der WM blieben die verrückten Geschichten nicht aus. In der "Hitzeschlacht von Lausanne" erlitt Österreichs Torwart Kurt Schmied bereits zu Beginn des Spieles einen Sonnenstich, durfte jedoch nicht ausgewechselt werden. So lagen die Schweizer im heimischen Stadion recht schnell mit 3:0 vorne. Der Torhüter kühlte sich mit nassen Schwämmen, die im Masseur Pepi Ulrich, der sich hinter dem Tor positioniert hatte, zuwarf. Ulrich reichte nicht nur das wichtige kühle Nass, er begann auch, den sich wie in Trance befindlichen Schmied bei jedem Angriff zu dirigieren. Das österreichische Team suchte sein Heil in der Flucht nach vorne, wohlwissend um das Leid ihres Keepers.

Innerhalb von knapp 15 Minuten lagen sie mit 5:3 in Führung. Das Spiel gewann das Team von Ernst Happel schließlich mit 7:5 und erreichte zum zweiten Mal in der Geschichte das Halbfinale einer Weltmeisterschaft. Ernst Happel verlor allerdings auch in diesem Match seinen Spielwitz nicht. Beim Stand von 6:5 für Österreich stoppte er einen Ball mit seinem Hintern und gab ihn so weiter, was fast zum 6:6-Ausgleich für die Schweiz geführt hätte...

Sturkopf auf der Trainerbank

Nach weiteren denkwürdigen Aktionen als Spieler beendete er in der Saison nach der WM 1958 seine aktive Karriere. Doch, genau wie als Spieler, blieb er auch als Trainer seinem Motto treu: "Ich will von niemandem abhängig sein, ich will mein eigener Herr sein, mein eigener Mensch, das ist für mich ein Grundprinzip. Wenn ich abhängig wär', hab ich kein Leben mehr." Happel hasste Fehler und das übertrug sich auch auf seine Spieler, die bemüht waren, jeden Fehler zu vermeiden. Nicht zuletzt, um den schweigenden Kettenraucher auf der Bank nicht zu enttäuschen.

Doch das war nicht das einzige, was ihn so besonders machte. Es gab wohl keinen Trainer, der sich so wenig mit dem gegnerischen Team beschäftigte. Happel vertraute bedingungslos seiner ureigenen Idee vom Fußball. Happel interessierte es nicht, wie gegnerische Spieler hießen. Wie am Pokertisch blickte er auch beim Fußball nur ins eigene Blatt und entwickelte eine Vorstellung, wie er das Spiel für sich entscheiden konnte.

Hatte er sich auf einen Weg festgelegt, ging er diesen mit aller Konsequenz zu Ende. Dabei nahm er auch keine Rücksicht auf große Namen. So sortierte er zum Beispiel Wolfram Wuttke in seiner Zeit beim HSV einfach aus, obwohl dieser zu der Zeit, einer der begehrtesten Stürmer war. Alles nur weil Happel der Meinung war, dass der Spieler charakterlich nicht passte. Aber er sollte Recht behalten...

Überragender Beginn in den Niederlanden

Als Trainerneuling beim niederländischen Erstligisten ADO Den Haag zeigte sich zuvor schon am ersten Tag, aus welchem Holz Happel geschnitzt war. Um ihrem neuen Trainer eine Lektion zu erteilen, weigerten sich die Spieler, bei starkem Regen zu trainieren. Happel trieb sie jedoch auf den Trainingsplatz, stellte eine Getränkedose auf die Latte und schoss diese beim ersten Versuch aus knapp 20 Metern herunter. Er stellte jedem Spieler, der das nachmachte, in Aussicht, sofort duschen gehen zu können. Das Training fand vollzählig statt.

Happel formte Den Haag von einer Fahrstuhlmannschaft zu einem echten Spitzenteam und gewann auch den nationalen Cup. Im Folgejahr wechselte er zu Feyenoord Rotterdam, wo er in fünf Jahren zweimal holländischer Meister wurde, sowie einmal Cupsieger UND den Pokal der Landesmeister inklusive des Weltpokals nach Rotterdam holte. Noch heute gilt er dort als Legende.

Seine Begründung, warum er Rotterdam dennoch wieder verließ war typisch für den Mann ohne viele Worte: "Wir haben soviel erlebt, ich muss aufhören. Mit zu viel Siegen geht die Disziplin zurück. Wir werden zu sehr Freunde. Man leidet und weint, man lacht und gewinnt zusammen. Und das darf nicht zu lang dauern."

Der neue Mann an der Alster

Sein Weg führte ihn anschließend nach Belgien, wo er mit Brügge zweimal Meister wurde und sie auch zweimal hintereinander in ein internationales Finale führte. Egal welche Mannschaft er trainierte, Happel hatte immer zeitnah Erfolg. Sein Erfolgsrezept als Coach hieß Pressing und totale Offensive. Seine stets lauffreudigen und konditionsstarken Spieler zogen Happels Spielstil gnadenlos durch, sie gingen über 90 Minuten an ihre Grenzen. Seine Fähigkeit, als Trainer in jeder Situation schnell zu reagieren und das Spiel im Ganzen lesen zu können, versuchte er stets seinen Spielern zu vermitteln.

1981 konnte ihn Günter Netzer überreden, nach Hamburg zu wechseln, wo Branco Zebec den HSV mit teils ausuferndem Konditionstraining auf Vordermann gebracht hatte. Das Team wunderte sich über die kurzen, intensiven Einheiten, die Happel anordnete. Bei jeder Übung war plötzlich der Ball mit im Spiel und nach nur einer Stunde schickte der Österreicher das Team unter die Duschen.

Zebec, der auch heute noch großes Ansehen beim HSV genießt, musste auf Grund seiner Alkoholkrankheit gehen. Da Alexander Ristic nur eine Übergangslösung war, begab es sich, dass der große Schweiger nun die Hansekogge steuerte und damit die mit Abstand erfolgreichste Zeit des Bundesliga-Dinos maßgeblich prägte. Er passte mit seiner wortkargen Art perfekt in die Hansestadt an der Alster.

Zweimaliger Deutscher Meister, Pokalsieger, Europapokal der Landesmeister und mehrere internationale Endspiele standen nach sechs Jahren auf der Haben-Seite. Namen wie Horst Hrubesch, Manni Kaltz, Felix Magath, Bernd Wehmeyer, Jimmy Hartwig kann jeder HSV-Fan auch nach über 30 Jahren noch herunterbeten. Sie sind untrennbar mit der Happel-Ära beim HSV verbunden. Bezeichnenderweise verabschiedeten sich die Hamburger nach und nach ins Mittelmaß, als er den Verein verließ.

Gesundheitliche Probleme

1968 war Schluss im Ausland, da schon zu dem Zeitpunkt klar war, dass es um seine Gesundheit nicht zum Besten stand. Entsprechende Warnungen seiner Ärzte winkte er mit seiner unnachahmlichen Art einfach ab. Doch für ihn war klar, dass er langsam zurück zu seinen Wurzeln wollte. "Jedesmal, wenn ich Heim komme, lebt der nicht mehr und der nicht mehr. Und du selbst bist auch in den Jahren, wo du jedes Wehwehchen spürst. Da wird es langsam enger. Ich will im Ausland nicht totgehen."

Von seiner Krankheit schon gezeichnet, kehrte Happel nach 25 Jahren Ausland also nach Österreich zurück und trainierte den FC Swarovski Tirol, wo er mehrfach am Tag Kondition- und Krafttraining machen ließ, was sich auch auszahlte. Tirol holte in drei Jahren zweimal die Meisterschaft.

"Ich bin der Nächste"

1992 wurde Happel zum Teamchef der österreichischen Nationalmannschaft, da wusste er jedoch längst, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Als kurz darauf Walter Zeman, ein alter Weggefährte Happels, stirbt, sagt er zu Freunden: "Ich bin der Nächste." Wie immer sollte er Recht haben. Elf Monate später starb er an Lungenkrebs, eine Krankheit, die er lange als Virus abgetan hatte. Im Länderspiel gegen Deutschland lag seine Kappe vier Tage später 90 Minuten lang an "seinem" Platz auf der Bank. Einer der größten Trainer aller Zeiten hatte das Spielfeld verlassen.

Bernd Wehmeyer, einer der Stützen der glorreichen Tage des HSV, sagte in einem Interview, dass ich mit ihm führen durfte: "Was Happel sagte, das glaubte man ihm. Jeder Spieler wusste dies und vertraute ihm, denn es war klar, dass wenn er das machte, was Happel sagt, er auch Erfolg haben werde." Von seinen Spielern nicht im klassischen Sinne geliebt, aber verehrt. Happel, der am 29. November 2015 80 Jahre alt geworden wäre, hielt nichts von Kuschel- oder Streicheleinheiten. "Dafür müsst ihr zur Mama", hat er gerne gesagt. Und dennoch glaubt Manni Kaltz, dass die Spieler für ihn "durchs Feuer gegangen" wären. Fußballer wollen den Erfolg, sei es nur der persönliche, und sie haben ein feines Gespür dafür, ob ihnen ein Trainer dabei helfen kann, ihr Ziel zu erreichen.

Taktisch seiner Zeit voraus

Experten sind sich einig, dass Happel das Forechecking zum Pressing ausbaute. Fußballtaktisch war er einer der ersten, der die Raumdeckung praktizierte. Seine Art, zu spielen, verlangte ein hohes Maß an Kreativität und Spielintelligenz. Dazu bedurfte es einer absoluten Fitness und das, was er als schlampiges Spielergenie nie hatte: Disziplin.

Happel wollte konditionsstarke Athleten, die 90 Minuten in der Lage waren, dem Gegner über die gesamte Spielzeit seinen Stil aufzuzwingen, egal wer der Gegner war. Wenn heute davon die Rede ist, dass eine Mannschaft "hoch steht", dass "offensiv verteidigt" wird und Roger Schmidt, Trainer von Bayer Leverkusen, fordert, seine Elf solle "jagen", ist dies das Vermächtnis von Ernst Happel.

Seine Spieler hatten Respekt vor ihm, vor allem weil er bis ins hohe Alter noch Dinge mit dem Ball konnte, die manch Junger nicht hinbekam. Er war kein Teamplayer, es musste nach seiner Nase laufen, sein Weg war der einzige, den er akzeptierte. Seine Formel war ganz einfach: Wo ich bin, ist der Erfolg.

Riesiges Vermächtnis

Legendär auch sein Slang, der sich aus zwanzig Jahren im Ausland gebildet hatte. Eine Mischung aus wienerischen, niederländischen, flämischen und englischen Elementen. Wenn Happel von "Kondizi" sprach, davon, dass man "auf Hin und Her" spielen wolle und Magath für den "Cornerball" zuständig sei, musste sich jeder HSV-Spieler seinen eigenen Reim darauf machen. Alles immer unterlegt mit etwas Wiener Schmäh.

Wer ihm begegnete, der vergaß diese Begegnung nicht. Letztendlich ging er, wie er war: Leise und geräuschlos. Doch sein Vermächtnis ist riesengroß.

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