Todd knows…

Von Sebastian Hahn
Todd Gurley wurde im NFL Draft 2015 an zehnter Stelle von den St. Louis Rams ausgewählt
© getty

Draft-Bust, nicht NFL-tauglich, zu verletzungsanfällig - Todd Gurley von den St. Louis Rams brauchte keine vier Spiele, um alle Vorurteile über ihn aus der Welt zu schaffen. Der 21-jährige Running Back erobert die NFL in einem Tempo, das kaum jemand für möglich gehalten hätte - und der Zeitpunkt zum Bremsen ist noch lange nicht gekommen.

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Das Stadium Lille-Metropole hat seine besten Zeiten längst hinter sich. Die Arena in Villeneuve-D'Ascq wird seit dem Umzug von Ligue-1-Klub OSC Lille seit 2012 nur noch sporadisch genutzt. Eines der letzten großen Highlights im in Nordfrankreich nahe der belgischen Grenze gelegenen Stadion war da wohl noch die Jugend-Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2011 - und selbst die zog mehr Scouts und Trainer an, als wirkliche Zuschauer.

So fand auch das Rennen über 110 Meter Hürden der Junioren kaum Beachtung. Dabei versteckte sich unter den Teilnehmern doch ein zukünftiger Star. Todd Gurley von der Tarboro High School aus North Carolina ging als eines der vielversprechendsten Talente der USA an den Start und fegte im Vorlauf mit einer neuen persönlichen Bestzeit von 13,66 Sekunden über die Tartanbahn.

Eine Zeit, die der damals 15-Jährige zwar im Halbfinale nicht bestätigen konnte und als Vorletzter den Finaleinzug verpasste, im Medaillenrennen hätte seine persönliche Bestleistung aber immerhin für den fünften Rang gereicht. Selbst die größten Leichtathletik-Freaks dürften trotzdem angesichts Gurleys Leistung nicht mal mit der Braue zucken, aber das dürfte dem heute 21-Jährigen herzlich egal sein. Denn Gurley ist längst kein aufstrebender Hürdenläufer mehr - sondern Footballspieler.

Purzelnde Rekorde

Am Sonntag absolvierte der Running Back der St. Louis Rams gegen die Minnesota Vikings bereits sein sechstes NFL-Spiel - und sorgt wöchentlich für eine kollektiv herunterhängende Kinnlade bei so ziemlich jedem Experten. Mit 566 erlaufenen Yards in seinen ersten vier Starts hat der 21-Jährige einen neuen Rookie-Rekord aufgestellt. Er ist zudem neben Vikings-RB Adrian Peterson der einzige Running Back der Liga-Historie, der in vier seiner ersten fünf Spiele über 100 Yards aufs Turf brachte - und in seinem Debüt gegen die Pittsburgh Steelers hatte er bei nur sechs Carries kaum Gelegenheit zu überzeugen.

Der Rams-RB massakrierte nacheinander die D-Lines der Cardinals (146 Yds), Packers (159 Yds), Browns (128 Yds) und 49ers (133 Yds) mit seinem Running Game in einem derartigen Ausmaß, dass sich die Defense der Minnesota Vikings am Sonntag nahezu komplett der Verteidigung von Gurley verschrieben hatte. Das Team aus Minneapolis hielt Gurley bei "nur" 89 Yards in 24 Carries, trotzdem fightete sich der Youngster kurz vor Ende des ersten Viertels gegen drei Linemen der Vikings in die Endzone und verkürzte für die bis dato punktlosen Rams auf 6:10. Das Spiel blieb bis zu den Schlusssekunden offen, Kicker Greg Zuerlein rettete St.Louis mit einem 53-Yard-Field-Goal in die Overtime.

Ausgerechnet dort schwächelte der sonst so starke Gurley dann aber. Vikings-Coach Mike Zimmer überließ den Rams überraschenderweise den Football, der erste Overtime-Run von Gurley geriet allerdings zum Desaster: Die Vikings-D stoppte den jungen Runningback sechs Yards hinter der Line of Scrimmage, zwei Pass-Plays später waren die Gäste gezwungen zu punten - und ausgerechnet Gurleys Vorbild drehte auf.

Dank Gurley auf Playoff-Kurs?

Adrian Peterson, der bereits im Vorfeld der Draft 2015 immer wieder als NFL-Vergleich für Gurley herangezogen wurde, erlief 21 der 29 Yards der Gastgeber in der Verlängerung und bereitete so das spielentscheidende Field Goal von Blair Walsh vor, der die Viks zur 6-2-Bilanz zur Saisonhalbzeit kickte. Die Rams dagegen verpassten in einer engen NFC West die Chance, an den Seattle Seahawks vorbeizuziehen. Beide Teams liegen mit einer Bilanz von 4-4 hinter den Arizona Cardinals (6-2) gleichauf, der Kampf um die Playoffs bleibt aber weiterhin offen - auch dank Gurley.

Vor der Niederlage gegen die Vikings lagen die Rams mit Gurley als Starter bei einer Bilanz von 3-1, der Rookie gab der teilweise lahmen Offensive um Nick Foles neuen Schwung. Und dass, obwohl er im April noch als potentieller Draft-Bust gehandelt wurde.

Viel zu hoch gepickt?

Denn Gurley, der nach seiner Senior Season für die Tarboro Vikings trotz 2600 Yards und 38 Touchdowns von ESPNauf Rang 222 eingestuft wurde, wurde von vielen Experten der Sprung zu den Profis nicht zugetraut. Kein Wunder, denn nach Adrian Peterson 2007 wurden lediglich drei weitere RBs unter den ersten Zehn der Draft ausgewählt, in den letzten beiden Jahren verzichteten die 32 Franchises in Runde eins jeweils auf einen Runner.

Die Gründe dafür sind vielschichtig: Zum einen befand sich unter den Top-13-Rushern der abgelaufenen Saison mit Marshawn Lynch nur ein First-Round-Pick, die Top 10 wurden im Schnitt an 95.Stelle gedraftet. Warum also einen Erstrunden-Pick vergeuden, wenn ich auch nach sieben Draft-Runden noch einen starken Running Back finden kann (Nachfragen hierzu bitte an Arian Foster), so die Denkweise vieler GM's.

Erschwerend hinzu kam, dass sich Gurley, der nach Saisons mit über 1000 Yards und insgesamt 33 Touchdowns für die Georgia Bulldogs als Heisman-Trophy-Anwärter in seine Junior-Season gestartet war, im November 2014 gegen Auburn das Kreuzband riss. Eigentlich sollte das Spiel Gurleys große Comeback-Party werden, nachdem er zwei Spiele wegen Verletzung der NCAA-Regularien aussetzen musste. Der damals 20-Jährige hatte für das Unterschreiben von Fanartikeln 400 Dollar erhalten. Doch so war nicht nur Gurleys Karriere in Gefahr, sondern auch ein scheinbar sicherer Platz in der ersten Runde des Drafts 2015.

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