Hey, Cheaters!

Von Sebastian Hahn
Fireman Ed (M.) ist bei den Jets-Fans eine Ikone
© getty

Die New York Jets haben binnen weniger Monate den Turnaround geschafft. Coach Todd Bowles gibt der Franchise eine neue Identität, die im Sommer stark aufgepolsterte Secondary lehrt der Liga das Fürchten. Am Sonntag steht für die Gang Green aber die härteste Bewährungsprobe bevor: Die ungeschlagenen New England Patriots warten auf das Team aus dem Big Apple - und lassen Erinnerungen an einen unruhigen Sommer hochkommen.

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Bill Belichik ist definitiv kein Mann, der einfach zu beeindrucken ist. Seit 15 Jahren steht der 63-Jährige mittlerweile an der Seitenlinie bei den New England Patriots, so gut wie immer in Jogginghose und Pats-Hoodie und hat schon mehrere Skandale in Foxborough miterlebt. Ob Spygate im Jahr 2007 oder Deflategate vor wenigen Monaten - nichts konnte ihn wirklich erschüttern.

Kein Wunder also, dass auch ein kleines Flugzeug mit Banner Belichik Ende Juni keine Angst einjagte. "Cheaters look up" stand auf dem großen Tuch, dass der kleine Jet minutenlang über das Trainingsgelände der Pats zog. Fünf große Runden drehte es über Foxborough, Coach Belichik nahm davon zumindest offiziell keine Notiz. Angesprochen auf das Flugzeug erklärte er schlicht: "Welches Flugzeug? Ich weiß nicht, wovon Sie reden." Dabei ist der kleine Flieger nicht nur ein weiterer Aufreger in einer mittlerweile über 50 Jahre andauernden Fehde, sondern auch ein Gruß an Belichicks eigene Vergangenheit.

Freundliche Grüße aus den Meadowlands

Denn das Plakat, dass auf die Deflategate im AFC Championship Game zwischen den Patriots und den Indianapolis Colts anspielen sollte, wurde von der Website "NYJetsFans.com" gesponsert, um dem aktuellen Super-Bowl-Sieger eins auszuwischen. Der neuerliche Skandal gab den Anhängern der New York Jets, die gelinde gesagt nicht gerade gut auf ihre Konkurrenten aus Boston zu sprechen sind, neuen Nährboden für eine der berüchtigten Rivalitäten der NFL. Schön und gut, dass die Pats unter Belichik jetzt vier Ringe gesammelt haben, aber ehrlich waren sie dabei nicht immer, so der allgemeine Tenor.

Zugleich ist die Personalie Belichik für viele Jets-Fans ein rotes Tuch, schließlich entschied sich der 63-Jährige im Jahr 2000 gegen die Nachfolge von Bill Parcells bei dem Teams aus dem Big Apple und schrieb seine Rücktrittserklärung auf ein Taschentuch - nur um wenige Wochen später als neuer Head Coach der New England Patriots vorgestellt zu werden. Als Ausgleich erhielt die Gang Green zwar einen Erstrunden-, einen Viertrunden- und seinen Siebtrunden-Pick, trotzdem hinterlässt dieser spontane Abgang bis heute einen unrühmlichen Beigeschmack in den Meadowlands.

Geno "Probowl"?

Zumal die Jets seit geraumer Zeit kein Land mehr gegen den scheinbar übermächtigen Rivalen aus Massachusetts sehen. Der letzte Sieg im Gilette Stadium liegt mittlerweile vier Jahre zurück, nur drei der letzten elf Duelle sahen einen Sieger in grünen Trikots. Während Tom Brady seit Jahren eine Institution in Foxborough ist, starteten seit 2011 fünf verschiedene Quarterbacks für New York: Tim Tebow, Ryan Fitzpatrick, Mark Sanchez, Mike Vick und eben Geno Smith, der das neue Gesicht der Franchise werden sollte.

In seinen ersten beiden Spielzeiten im MetLife Stadium überzeugte der junge QB dann aber so gar nicht. Nach einer 8-8-Saison 2013 spielten die Jets mit ihm under Center eine der schlechtesten Saisons ihrer Geschichte und gewannen nur vier Spiele, zwischenzeitlich wurde Smith sogar durch Vick ersetzt. Mit unter 3.000 Passing Yards belegten die Jets den letzten Platz in dieser Statistik. Smith' negatives Highlight war ein Pick-6 im ersten Play nach dem Kickoff gegen die Minnesota Vikings.

Trotzdem bekam der 25-Jährige, der bei sich selbst im letzten Jahr "Pro-Bowl-Qualitäten" erkannte, noch eine letzte Chance unter dem neuen Headcoach Todd Bowles, der Rex Ryan nach vier Jahren ohne Post Season an der Seitenlinie ablöste. Doch die Nummer 7 wurde im wahrsten Sinne des Wortes erneut ausgeknockt.

Nach einer Trainingseinheit Anfang August kurz vor Beginn der Preseason kam es in der Jets-Kabine zu einem Streit zwischen Smith und Linebacker IK Enemkpali. 600 Dollar war der Jets-QB seinem Mitspieler angeblich noch schuldig. Als der Streit eskalierte, feuerte Enemkpali eine Faust in Smiths Gesicht. Kieferbruch - sechs bis zehn Wochen Pause.

Grün, Bärtig, Gut!

Gut dass im März mit Ryan Fitzpatrick ein fähiger Backup via Trade von den Houston Texans gekommen war. Der Mann mit dem markanten Bart bekam bei seinem sechsten NFL-Team in zehn Jahren direkt viel Vertrauen von Coach Todd Bowles, viele Experten trauten ihm aber nicht zu, dass er die Gang Green aus dem Sumpf ziehen könnte - zwei Monate später sieht das komplett anders aus.

Lediglich ein einziges Spiel verloren die Jets in dieser Saison, die Mannen von Bowles sind plötzlich zu einem ernsthaften Konkurrenten der ungeschlagenen Patriots in der AFC East geworden. Fitzpatrick hat in dem im Sommer gekommenen Brandon Marshall ein Lieblingsziel für seine Pässe gefunden, 511 Receiving Yards (insgesamt kommen die Jets auf knapp 1.200) verzeichnet der Ex-Chicago-Bear bisher und fing das Ei schon vier Mal in der Endzone - beides Top-10-Werte in der Liga! Natürlich war sein Passversuch nach einem Catch gegen die Philadelphia Eagles nicht gerade intelligent, dafür klaute er sich den Football gegen die Cleveland Browns nach einer Fitzpatrick-Interception wieder zurück.

Neben Marshall ist auch der wiedererstarkte Eric Decker ein Grund für den starken Receiving Corps der Gang Green, der mit neun Touchdowns bereits mehr als halb so viele auf dem Konto hat als noch in der letzten Saison (insgesamt 16). Der Ex-Bronco fand genau wie Marshall schon vier Mal die Endzone - benötigte dafür aber nur halb so viele Receptions. Kein Wunder also, dass Bowles Fitzpatrick auch nach der Rückkehr von Smith als Starting-QB bestätigte, führte er die Jets doch nach fünf Spielen bereits zu genauso vielen Siegen wie New York 2014 insgesamt hatte.

Wer braucht schon CJ2K?

Neben den starken Wideouts der Jets ist aber auch das Running Game mittlerweile ein echter Trumpf für die Big-Apple-Franchise. Chris Ivory ist nach dem Abgang von Chris Johnson der klare Starting-RB der Jets - und lässt CJ2K aktuell komplett im Schatten stehen. 460 Rushing Yards verzeichnet Ivory bisher - NFL-Rang drei! Auf dem gleichen Platz steht er auch bei der Anzahl der Touchdowns, genau wie Decker und Marshall hat er vier auf dem Konto.

Generell ist das Rushing Game der Jets eines der besten der Liga und dürfte so auch die Patriots am Sonntag vor Probleme stellen. Ivory wird von Fitzpatrick zwar auch gerne als Receiver eingesetzt, die Secondary der Pats wird aber vor allem gegen Marshall und Decker einen arbeitsreichen Sonntag haben.

Und die vierte Waffe in der Jets-Offense ist noch gar nicht gestoppt. Denn der bärtige Quarterback setzt auch gerne mal selbst zum Rush an, wie er am vergangenen Wochenende gegen die Redskins mit seinem ersten Rush-TD der Saison eindrucksvoll unter Beweis stellte. Mit 89 Rushing Yards liegt er aktuell in den Top 10 der Liga bei den Quarterbacks.

Defensive Elite

Doch die wahre Stärke der Jets liegt nicht zwingend im offensiven Quartett um Fitzpatrick, Ivory, Marshall und Decker. Vielmehr gehört die Defense der Gang Green zu einer der furchteinflössendsten der gesamten NFL. Mit lediglich 4,3 zugelassenen Yards pro Offense-Play des Gegners rangieren die Jets mit den Broncos auf Platz 1 der Liga, die Pass- und Rush-Defense liegen ebenfalls unter den Top 3.

Zudem provozierten die New Yorker die drittmeisten Turnover (8 INT, 7 FUM REC), mehr als jeder fünfte Drive endet in einem offensiven Turnover. Die Chance, dass der gegnerische QB sein Team in die Endzone führt, liegt dabei sogar bei unter 20 Prozent.

Der verlorene Sohn kehrt zurück

Das liegt zum einen an der Handschrift von Head Coach Bowles, der in zwei Jahren eine starke Defense bei den Arizona Cardinals installierte, zum anderen aber an den Verpflichtungen in der Offseason. Erstrunden-Pick Leonard Williams verstärkt die D-Line an der Line of Scrimmage, per Free Agency kamen Marcus Gilchrist, Buster Skrine, Antonio Cromartie und Darrelle Revis in die Meadowlands.

Besonders die Verpflichtung von Revis ist pikant, wechselte der Star-Cornerback und langjährige Jet doch erst vergangenes Jahr von den Buccaneers zu den Patriots, mit denen er den Superbowl gewann. Auch Cromartie kehrte nach einem Jahr Abstinenz gemeinsam mit Bowles von den Cardinals in den Big Apple zurück.

Acht Interceptions produzierte die Secondary der Gang Green bisher, alleine drei davon gelangen in Week 2 gegen die eigentlich favorisierten Indianapolis Colts. Brady wird am Sonntag also genau aufpassen müssen, wie er Rob Gronkowski, Julian Edelman und Co. einsetzt - ansonsten landet das Ei ganz schnell auf Revis Island.

Rivalry is back!

Die Partie am Sonntag wird somit sicher kein weiterer Blowout der Pats, wie es in den letzten Jahren oft der Fall gewesen ist. Die Jets haben wieder eine Identität und kommen mit viel Selbstvertrauen ins Gillette Stadium. Mit einem Sieg würden die Gäste New England nicht nur die erste Niederlage der Saison beibringen, sondern auch ein neues Kapitel in der Rivalität beider Franchises schreiben, der es seit der Spygate 2007 und dem Buttfumble von Mark Sanchez in den letzten Jahren doch arg an Highlights mangelt. Die legendären Auseinandersetzungen Ende des Jahrtausends mit Bill Parcells und Bill Belichik in den Hauptrollen gehören definitiv der Vergangenheit an.

Das letzte Postseason-Meeting im Januar 2011 ist jetzt schon mehr als vier Jahre her. Damals gewannen die Jets übrigens mit 28:21 und zogen ins AFC Champhionship Game ein, das sie allerdings gegen Pittsburgh verloren. Es war zugleich der letzte Sieg im Gillette Stadium. Seitdem warten die Fans auf einen Auftritt in der Postseason, die in diesem Jahr so wahrscheinlich ist, wie lange nicht mehr. Ein Sieg in New England würde einen bockstarken Saisonstart der Gang Green abrunden - und Fitzpatrick und Co. hätten die Franchise endlich aus den Sümpfen in den Meadowlands gezogen.

Die New York Jets im Überblick