"Im Kampf ticke ich aus"

Von Interview: Daniel Paczulla
Helena Fromm
© Helena Fromm

München - "Sie ist die beste!" So lautet das Fazit von Trainer Carlos Esteves über Helena Fromm. Helena wer? Helena Fromm, 21 Jahre, deutsche Taekwondoka, Olympiastarterin in der Gewichtsklasse bis 67 Kilogramm und Gold-Hoffnung.

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Fromm ist der neue Shooting-Star im Taekwondo - WM-Dritte 2007, Europameisterin 2008 und Militärweltmeisterin 2008. Allerdings war ihr großer Olympia-Traum lange Zeit fraglich. Im Herbst dachte sie nach einem Kreuzbandriss im rechten Knie sogar ans Karriereende.

Im Interview mit SPOX erklärt Fromm, wie sie es so schnell geschafft hat, zurück in die Weltspitze zu kommen und welches große Risiko sie dafür in Kauf genommen hat. Zudem spricht sie über ihre zwei Gesichter, verrückte Taxi-Fahrten in China und wann sie ausrasten würde. 

SPOX: Wie groß war Ihre Erleichterung, als Sie von der Olympia-Nominierung gehört haben?

Helena Fromm: Die Nervenanspannung war sehr groß. Als es amtlich wurde, war es ein erlösendes Gefühl: Ich habe es geschafft!

SPOX: Im September letzten Jahres haben Sie sich einen Kreuzbandriss im rechten Knie zugezogen. Wie groß war damals die Hoffnung auf das Peking-Ticket?

Fromm: Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so schlimm war. Der Kreuzbandriss war niederschmetternd. Mein erster Gedanke war: Mein Olympia-Traum ist geplatzt. Danach sind einige Tränen geflossen und ich dachte ans Aufhören. Allerdings keimte schnell wieder Hoffnung auf. Mein Trainer Carlos Esteves hat an mich geglaubt und mir Mut gemacht. Nach der OP habe ich früh mit der Reha und nach zwei Monaten dann wieder mit dem Training begonnen.

SPOX: Wie groß war das Risiko so schnell wieder anzufangen?

Fromm: Sehr groß! Es war auch ein Drahtseilakt. Mir blieb aber keine andere Möglichkeit, wenn ich nach Peking wollte. Und es war der richtige Weg.

SPOX: Nach einem halben Jahr waren Sie bereits zurück in der Weltspitze und wurden Europameisterin. Daraufhin wurden Sie im April zur Sportlerin des Monats gewählt. Welchen Stellenwert hatte diese Auszeichnung?

Fromm: Ich habe mich gegen die Eisbären Berlin durchgesetzt, die im Sport eine Hausnummer sind. Zudem bin ich die erste Taekwondoka in der Geschichte, die es geschafft hat. Das macht mich stolz. Vielleicht kann ich die Randsportart Taekwondo ein wenig in den Vordergrund rücken.

SPOX: Werden Sie in der Öffentlichkeit jetzt mehr wahrgenommen?

Fromm: Auf jeden Fall! Ich war plötzlich auf den Titelseiten einiger Zeitungen. Statt im Lokalsport wurde nun im Hauptsport über mich berichtet. Jetzt fehlt nur noch ein Sponsor.

SPOX: Bei Olympia werden Sie noch ein Stück mehr im Rampenlicht stehen. Ist dabei sein für Sie alles?

Fromm: Dabei sein ist nicht alles! Mein Ziel ist, eine Medaille zu holen. Bei Gold würde ich ausrasten. Mittlerweile habe ich mir einen Namen in meiner Gewichtsklasse bis 67 Kilogramm gemacht. Und wenn die anderen meinen Namen auf der Startliste sehen, werden sie nicht gerade erfreut sein.

SPOX: Wer sind Ihre Konkurrentinnen um Gold?

Fromm: Die Französin Gwladys Epangue und die Koreanerin Hwang Kyung-Seong.

SPOX: Worauf freuen Sie sich außer den Wettkämpfen am meisten bei Olympia?

Fromm: Auf das Olympische Dorf und die anderen Sportler. Man kann neue Leute kennenlernen und Ihnen etwas von meinem Sport erzählen. Ich kenne das alles nur vom Hörensagen. Jetzt freue ich mich es selbst zu erleben, es zu genießen und Spaß zu haben.

SPOX: Die WM 2007, bei der Sie Bronze holten, fand in Peking statt. Welchen Eindruck haben Sie von China?

Fromm: China ist sehr lebhaft. Allein die Taxi-Fahrten sind ein Erlebnis. Da gibt es anscheinend keine Verkehrsregeln. Da wird rechts und links überholt oder einfach mal der Rückwärtsgang eingelegt und weiter geht’s. Das macht zwar Spaß, aber der Schreck saß uns in den Gliedern. Dazu gefällt mir die Mentalität der Leute, die sehr freundlich sind. Mir gefällt das Land sehr gut.

SPOX: Sie machen seit zwölf Jahren Taekwondo. Wie kommt ein damals 9-jähriges Mädchen zu diesem Sport? Waren Sie Fan von Bruce Lee oder Jackie Chan?

Fromm: Überhaupt nicht. Mein Kindergarten-Freund Thomas hat Taekwondo gemacht. Mir hat es gefallen - die schnellen Tritte und Bewegungen. Ich habe es dann versucht und bin dabei geblieben.

SPOX: Wie war die Reaktion Ihrer Eltern?

Fromm: Die haben mich immer unterstützt. Sie meinten, wenn ich es will, sollte ich es machen. Sie sind auch bei jedem großen Turnier dabei und fiebern mit. Einzig bei meinem Kreuzbandriss im letzten Jahr wurde es meinem Vater zu viel. Als er seine Tochter am Boden liegen sah, war er geschockt. Er wusste was passierte, bekam wacklige Knie und musste sich hinlegen.

SPOX: Beim Taekwondo geht es hart zur Sache. Was haben Sie sich schon alles gebrochen?

Fromm: Den Finger und den Zeh. Aber nach zwei Kreuzbandrissen zähle ich es gar nicht mehr zu richtigen Verletzungen.

SPOX: Taekwondo ist in Deutschland nicht so bekannt. Worauf kommt es bei dem Sport an?

Fromm: Taekwondo ist sehr vielseitig. Es ist wichtig die Schnelligkeit und das richtige Timing zu haben. Man muss das Gefühl haben, wann greift der Gegner an, wann kontert er oder wann geht er zurück, um dann selbst anzugreifen. Dazu kommt Kraft, die man für die Härte der Tritte und Schläge braucht.

SPOX: Hört sich fast an wie Schach...

Fromm: Es ist sehr, sehr viel Kopfarbeit. Viele denken bei Kampfsportarten gleich an draufhauen. Das ist aber nicht so. Die Taktik spielt eine sehr große Rolle. Es geht darum, den Gegner zu vielen Fehlern zu zwingen und selbst wenige zu machen.

SPOX: Ihr großes Plus ist laut Ihrem Trainer Carlos Esteves die mentale Stärke und Disziplin. Wie kommt’s?

Fromm: In gewisser Weise ist es gegeben. Ich habe mir nie einen Kopf um andere Dinge gemacht. Aber es hat sich auch in den Jahren entwickelt. Durch die Erfolge wird man selbstbewusster und das strahlt dann nach außen.

SPOX: Wie schwer fällt es auf einige Dinge zu verzichten, wenn zum Beispiel die Freundinnen am Wochenende weggehen?

Fromm: Früher ist es mir schwer gefallen. Ich habe das ein oder andere Mal geflucht, wenn ich eine tolle Party verpasste, weil ich im Trainingslager war. Mittlerweile sehe ich das aber locker. Ich habe noch genug Zeit zum Feiern. Zum Beispiel wenn ich eine Medaille aus Peking mitbringe (lacht).

SPOX: Taekwondo zählt zu den Vollkontakt-Wettkampfsportarten. Gehen Sie privat auch auf Konfrontationskurs?

Fromm: Im Kampf bin ich ein anderer Mensch als im privaten Leben. Da komme ich als die liebe, nette Helena rüber. Viele können sich gar nicht vorstellen, dass ich im Kampf richtig austicken und hart gegen den Kopf treten kann.

SPOX: Die zwei Gesichter der Helena Fromm. Wie schalten Sie vom Sport ab?

Fromm: Ich versuche viel Zeit mit meinen Freundinnen zu verbringen. Bei ihnen kann ich richtig abschalten. Für sie bin ich nicht die Kämpferin, sondern Helena. Leider gibt es auch Phasen, wo ich sie länger nicht sehe. Aber dann ist die Freude umso größer, wenn man sich wieder trifft. Sie stärken mir den Rücken. Und wie Frauen es so machen, tratschen wir dann viel.

SPOX: Sie sind 21 Jahre und haben bereits zwei schwere Knieverletzungen hinter sich. Spielen Sie mit dem Gedanken, mit der Goldmedaille Ihre Karriere zu beenden?

Fromm: Nein! Ich weiß, dass ich in 30 Jahren Probleme mit meinen Knien bekomme. Aber daran denke ich momentan nicht. Mein nächstes Ziel ist London 2012.

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