Bayer: "Schäme mich vor dem TV"

SID
Christoph Harting kassiert für sein extravagantes Auftreten Kritik
© getty

Weitspringer Sebastian Bayer hat Christoph Harting für sein Benehmen nach dem Olympiasieg kritisiert. "Gold im Diskus ist echt super geil! Aber für dieses Verhalten schäme ich mich in Deutschland vor dem TV!", schrieb der Hamburger bei Facebook.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Harting (25) hatte während der Siegerehrung beim Abspielen der Nationalhymne mitgepfiffen und weitere Faxen gemacht. Zudem verweigerte er nach seinem Wettkampf unter anderem dem ZDF ein Interview und zeigte sich auch gegenüber anderen Medien wortkarg.

Bayer, Europameister von 2012, hat dafür kein Verständnis. "Sorry, aber dann würde ich lieber auf diese Medaille verzichten....", schrieb der 30-Jährige in seinem Post und lobte Daniel Jasinski, der Bronze holte: "Daniel, du hast es verdient! Super Typ und tolle Leistung!!"

"Ich bin ein Mensch, der Rhythmus braucht, der Rhythmus liebt, der gute Musik über alles schätzt", sagte Christoph Harting direkt nach dem Wettbewerb und ergänzte: "Es ist schwer, zur Nationalhymne zu tanzen, habe ich festgestellt." Aussagen wie diese und sein Verhalten zuvor aber irritierten selbst Harting nahe stehende Menschen wie seinen Trainer Torsten Lönnfors: "Keine Ahnung, was das sollte, ich verstehe es nicht. Christoph muss aufpassen, dass er jetzt nicht frei dreht", sagte er der Bild-Zeitung.

Kritik von allen Seiten

Der deutsche Chef de Mission Michael Vesper bezeichnete es fünfeinhalb Stunden später als "nicht gut", was Harting bei der Siegerehrung gezeigt habe. "Er ist Teil unserer Mannschaft und Botschafter unseres Landes. Wenn er die Bilder anschaut, wird er das sicher einsehen", sagte er. Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, sagte dem SID auf Anfrage allgemein, man dürfe erwarten, dass sich bei Olympia "die Athletinnen und Athleten auch als Repräsentanten unseres Landes erweisen". Harting ist zudem Bundespolizist.

Erst später sah Harting ein, dass er sich nach seinem Sieg zweifelhaft verhalten hatte: "Ich war noch voller Energie. Ich hätte mit den Dingen vielleicht anders umgehen können", sagte Harting bei einem Gespräch im Deutschen Haus: "Ich wollte es genießen, auf meine Weise. Ich möchte mich bei allen, die sich auf den Schlips getreten fühlen, entschuldigen."

Ehe er zur obligatorische Pressekonferenz eines Olympiasiegers musste, hatte Harting Gesten und Posen sprechen lassen. Nach seinem in der Tat sensationellen Wurf zu Diskus-Gold, mit dem er sich zum Nachfolger seines Bruders Robert kürte, versuchte er zunächst mit aufreizender Lässigkeit und irritierender Überheblichkeit, das Publikum zum Jubeln zu animieren. Er deutete an, sich wie sein Bruder das Trikot zu zerreißen - und beließ es dann doch dabei, sich in die deutsche Fahne zu hüllen.

Emotion als Auslöser

Harting machte für seine Hampelei den emotionalen Wettbewerb verantwortlich. "Ich war noch nicht aus dem Tunnel raus. Es war das erste Mal, dass ein großer Diskus-Wettkampf am Vormittag stattfand und die Siegerehrung zwei Stunden später. Wir hatten keine Zeit, uns darauf einzustellen", sagte Harting: "Es sind meine ersten Olympischen Spiele. Ich stehe das erste Mal ganz oben. Man ist darauf nicht vorbereitet. Viele Sportler weinen, andere sind ganz starr. Ich wäre gerne gedanklich früher aus dem Wettkampf rausgekommen. Es war nicht toll, es ist falsch angekommen."

Seinen großen Triumph hatte er auch Stunden nach dem Wettkampf noch nicht realisiert. "Ich habe es noch nicht begreifen können. Man kann sich nicht vorstellen, wie geil es ist, Olympiasieger zu werden. Ich bin völlig übersteuert, ich habe so viele Gefühle", sagte der jüngere Bruder von London-Olympiasieger Robert Harting.

"Hey kleiner Bruder", schrieb der kurz nach dem Wettbewerb bei Facebook, "der Generationenwechsel ist eingeleitet. Ich freue mich extrem für dich. Du hast einen klaren Harting im letzten Versuch gezeigt." Der "klare Harting" im letzten Wurf war die Weltjahresbestleistung von 68,37 m, damit stellte Christoph Harting das Klassement völlig auf den Kopf. Weltmeister Piotr Malachowski aus Polen (67,55) konnte nicht mehr kontern, ihm blieb Silber.

Leistung von Jasinski geht unter

Dass Daniel Jasinski aus Wattenscheid ebenfalls im letzten Wurf noch mal einen rausgehauen hatte und mit 67,05 m Bronze gewann, wurde durch das Verhalten von Christoph Harting ebenso überschattet wie dessen eigene grandiose Leistung. Dem ZDF verweigerte er hernach ein Interview, "das ist", sagte Sportchef Dieter Gruschwitz dem SID, "ein einmaliger Vorgang und besonders bedauerlich für die vielen Fans vor dem Fernseher".

So riss Harting durch sein Verhalten unvermittelt ein, was er sich zuvor mit den Händen aufgebaut hatte. "Sportlich brauche ich somit nichts mehr beweisen, denn das kannst jetzt du. Nimm es mit und pflege diese Fähigkeiten. Den Diskus schenke ich dir. Respekt!", schrieb sein Bruder. Robert Harting hatte begeistert auf der Tribüne geklatscht, als sich der kleine, in Wahrheit aber sechs Zentimeter größere Bruder unten als der große Sieger inszenierte.

Die sportliche Ehre der Familie war 24 Stunden nach dem Quali-Desaster von Robert Harting wiederhergestellt, den schier unglaublichen deutschen Erfolg am frühen Morgen perfekt machte Jasinski, der sagte: "Ja Wahnsinn, ich freue mich riesig, das war der beste Wettkampf meines Lebens, auf den Punkt." Der Olympiasieger sagte später: "Ich bin kein Medienmensch, ich bin keine Kunstfigur, ich bin Sportler und lasse meine Leistung sprechen."

Seine Selbstinszenierung nach dem Gold passte nicht unbedingt zu dieser Aussage, aber: Die Leistung sprach Bände. Bis zum sechsten Durchgang hatte Weltmeister Malachowski geführt und Martin Kupper (Estland/66,58) auf Rang zwei gelegen. Dann aber schlugen die beiden Deutschen zu. Selbst Robert Harting war verblüfft. "Christoph hat eine Medaillenchance. Aber Gold ist eigentlich nicht drin", hatte er vor Wettkampfbeginn dem ZDF gesagt.

So kann man sich täuschen. Am Ende holte der kleinere Harting seine erste Medaille bei einer großen Meisterschaft, aber sie schien ihm nichts wert. Nach der Siegerehrung nahm er sie sofort vom Hals, wog sie kurz in der Hand und wirbelte sie am Band durch die Luft - dauergrinsend.

Olympia in der Übersicht

Artikel und Videos zum Thema