"Auf den letzten 15 Metern kam das Adrenalin"

Von Interview: Stefan Petri/Florian Schimak
Jason Lezak jubelt nach seinem sensationellen Gold-Endspurt in der Staffel
© getty

Freistilschwimmer Jason Lezak machte sich bei den Olympischen Spielen 2008 unsterblich, als er die USA in der Freistilstaffel zum Gold führte - und damit Michael Phelps' Traum von acht Goldmedaillen am Leben hielt. Im Interview lässt er das Rennen Revue passieren. Außerdem verrät er, warum es Phelps in Rio schwer haben wird - und warum er die High-Tech-Anzüge lieber nicht abgeschafft hätte.

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Es war vielleicht der Moment der Olympischen Spiele 2008 in Peking: Der Traum von acht Goldmedaillen war für Michael Phelps fast schon ausgeträumt, als die Franzosen in der 4x100m-Freistilstaffel kurz vor Schluss schon scheinbar uneinholbar führten. Doch Schlussschwimmer Jason Lezak fing den französischen Weltrekordler Alain Bernard auf den letzten Metern mit einer uneinholbaren Leistung doch noch ab - und schwamm dabei die bis heute schnellste 100-Meter-Zeit der Geschichte.

Der heute 40-Jährige gewann in seiner Karriere insgesamt vier olympische Goldmedaillen. Er engagiert sich auch nach seiner Karriere im Schwimmsport und ist zudem als begehrter Redner und Motivationstrainer unterwegs.

SPOX: Herr Lezak, Sie waren von 2000 bis 2012 bei vier Olympischen Spielen dabei und haben insgesamt acht Medaillen gewonnen. Eine Goldmedaille sticht dabei heraus: Die 4x100m-Freistilstaffel in Peking hat Sie unsterblich gemacht. Dabei waren Sie mit fast 33 der älteste Schwimmer im Team.

Jason Lezak: Ja, aber ich hatte mich im Einzel für die 100 Meter Freistil qualifiziert und hielt damals den amerikanischen Rekord. Deshalb wusste ich, dass ich auch im Finale schwimmen würde.

SPOX: Es waren die Spiele, in denen Michael Phelps acht Goldmedaillen gewinnen sollte - aber in der Staffel waren die USA kein Favorit - im Gegenteil. Frankreich hatte unter anderem Weltrekordler Alain Bernard im Team, und der sagte, dass man die Amerikaner "zertrümmern" würde.

Lezak: Ein paar Jungs im Team haben diesen Trash Talk als Motivation genutzt, aber bei mir war das anders. Ich war schon in Athen Teil der Mannschaft gewesen, als wir als Favoriten an den Start gingen, aber die Staffel nicht gewinnen konnten. Mehr Motivation brauchte ich nicht, deshalb haben mich andere Teams und ihre Aussagen nicht interessiert. Mein einziges Ziel war es, das Gold wieder zurück in die USA zu bringen. Bis zu den Spielen 2000 in Sydney hatten wir diese Disziplin immer dominiert. Diese Staffel war etwas ganz Besonderes für mich, ich bin mit ihr aufgewachsen und habe sie geliebt. Ich wollte unbedingt ein Teil einer siegreichen US-Staffel sein.

SPOX: Anfangs lief auch alles nach Plan, aber nach drei Schwimmern waren die Franzosen vorbeigezogen. Was ging in Ihrem Kopf vor, als Sie auf Ihren Einsatz als letzter Schwimmer warteten? Feuert man die Kollegen an? Konzentriert man sich? Rechnet man die Zeit aus, die man schwimmen muss?

Lezak: Ich habe versucht, nicht an einzelne Zeiten zu denken, die ich schwimmen muss. Das war für mich nicht von Bedeutung - es ging nur um den Sieg. Wer gerade welche Zeit geschwommen ist oder wer gerade wen überholt, war unwichtig. Ich wusste nur, dass ich meine beste Leistung liefern musste, weil ich hinten lag und gegen den Weltrekordler Bernard schwamm. Ich fokussierte mich ganz auf das Rennen und wollte mich auf keinen Fall ablenken lassen. Genau so, wie ich es im Training geübt hatte.

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SPOX: Bernard hatte einen beträchtlichen Vorsprung, als er ins Wasser sprang, und auch nach der Wende. Haben Sie ihn die ganze Zeit beobachtet?

Lezak: Auf der ersten Bahn habe ich ihn überhaupt nicht gesehen, weil er links von mir schwamm und ich nach rechts atme. Ich wusste: Wenn ich meinen Kopf drehe, um zu sehen wo er ist, dann wird mich das nur langsamer machen. Also schwamm ich die erste Bahn so schnell wie möglich, wobei ich gleichzeitig so viel Energie wie möglich sparte, um auf den letzten 50 nach Hause zu kommen.

SPOX: Kann man sich die 100 Meter eigentlich einteilen? Oder bleibt da nur von Beginn an Vollgas?

Lezak: Es gibt etwas, das wir "Easy Speed" nennen: Das heißt, dass man die ersten 50 Meter so schnell wie möglich angeht, dabei aber so wenig Energie wie möglich verbraucht. Man ist also fast am Anschlag, behält dabei aber die richtige Frequenz und die bestmögliche Technik bei. Wenn man sich die ersten 50 Meter von Bernard anschaut, dann wollte er ein bisschen zu viel und hatte vielleicht eine zu hohe Frequenz. Ich hatte ebenfalls einen schnellen Zug, aber meiner war länger und relaxter.

SPOX: Was dachten Sie, als Sie ihn nach der Wende sahen?

Lezak: Als er sich für die letzten 50 Meter abstieß? "Keine Chance, den hole ich unmöglich ein." Aber diese Gedanken musste ich über Bord werfen. Ich versuchte, mich auf die positiven Dinge zu konzentrieren. Zum Beispiel darauf, wie gut ich mich selbst fühlte. Auf den zweiten 50 Metern sah ich ihn dann bei jedem Zug und wusste genau, wo er war. Das war schon sehr motivierend, als ich aufholte und dann ungefähr auf Höhe seiner Hüfte war.

SPOX: Wobei der Rückstand immer noch enorm war. Und viel Zeit blieb nicht mehr.

Lezak: Richtig, dessen war mir natürlich auch bewusst. Aber jedes Mal, wenn diese negativen Gedanken in mir hochstiegen, versuchte ich sie durch etwas Positives zu verdrängen.

SPOX: Nimmt man im Wasser eigentlich die Zuschauer wahr? Oder auf den letzten Metern die Teamkollegen am Beckenrand?

Lezak: Nein, ich konnte überhaupt nichts hören. Ich konzentrierte mich einfach darauf, Bernard einzuholen. Was draußen abging, merkte ich erst nach dem Rennen. Und auf den letzten Metern behielt ich den Kopf sowieso unten. Der einzige Lärm war der in meinem Kopf.

SPOX: Auf den zweiten 50 Metern schwammen Sie das Rennen Ihres Lebens. War das purer Instinkt?

Lezak: Wie gesagt, zuerst dachte ich, dass ich diesen Typen nie im Leben einholen kann. Aber ich fühlte mich gut, und am Ende des Rennens, auf den letzten 15 Metern vielleicht, passierte etwas richtig Cooles: Es war ein Extraschub Adrenalin, wie ich ihn sonst nur am Anfang jeder Staffel spüre, wenn es laut ist und man alle Zuschauer hört - ein unglaubliches Gefühl. Als ich merkte, dass ich aufhole und ganz nah dran bin, kam die Aufregung und noch einmal dieses Adrenalin. Und das gab mir den Schub, um meine Geschwindigkeit bis zur Wand zu halten.

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SPOX: Wenn man sich das Rennen noch einmal anschaut, fühlt es sich an, als würde Bernard einbrechen. Aber das stimmt eigentlich nicht, er schwamm eine starke 46.73. Sie dagegen schwammen eine 46.06, die mit Abstand (!) schnellsten 100 Meter Freistil aller Zeiten. Haben Sie gespürt, dass Sie förmlich durchs Wasser flogen?

Lezak: (lacht) Naja, ich wusste dass ich schnell unterwegs war, weil ich schließlich den Weltrekordler eingeholt hatte, aber ich habe mir natürlich keine Gedanken über meine Zeit gemacht. Ich wollte einfach gewinnen. Als ich dann meine Zeit hörte, war ich geschockt und dachte: "Wow, das ist unglaublich." Aber das war es dann auch, weil das eben nicht wichtig war. Es ging mir einzig und allein darum, auf das Podium zu kommen, unsere Nationalhymne zu hören und die Goldmedaille zu bekommen. Das geht wahrscheinlich fast allen Athleten so: Lieber langsam schwimmen und Gold gewinnen, als schnell zu schwimmen und nur Silber gewinnen. Da spielt die Zeit keine Rolle.

SPOX: Im 100-Meter-Einzelfinale hätten Sie mit dieser Leistung locker Gold geholt (Bernard gewann mit 47.21), auch wenn der fliegende Start natürlich verzerrt. Ist es in gewisser Weise enttäuschend, dass Sie im Einzel "nur" Bronze gewonnen haben?

Lezak: Nein, ich war damit sogar mehr als zufrieden. Nach der Staffel war ich mit meinen fast 33 ziemlich kaputt. Es fiel mir schwer, mich zu erholen und dann noch dreimal sehr schnell zu schwimmen. Am Finaltag ging es mir überhaupt nicht gut, aber trotzdem gelang es mir, eine Einzelmedaille zu gewinnen. Das war überragend für mich, weil ich in so vielen internationalen Wettbewerben immer nur Vierter oder Fünfter geworden war. Und vier Jahre zuvor reiste ich als Nummer eins der Welt an, nahm die Vorläufe aber nicht ernst genug und landete auf Platz 21. Es war ein langer Weg für mich bis zur Einzelmedaille. Natürlich hätte ich auch gerne Gold gewonnen, aber ich war auch ziemlich stolz auf mich, dass ich trotz all dieser Hürden eine Medaille geholt habe.

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