Vesper: "Man hätte uns informieren müssen"

SID
Ein Schwimmtrainer soll minderjährige Schützlinge missbraucht haben
© Getty

Hätte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) von dem Gerichtsverfahren gegen einen Schwimmtrainer der Olympia-Mannschaft gewusst, hätte er dem 40-Jährigen die Teilnahme in London verweigert. "Wenn uns der Vorfall bekannt gewesen wäre, wäre er nicht mitgenommen worden", sagte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper am Samstag und fügte hinzu: "Der Trainer hätte uns über das Verfahren gegen ihn auf jeden Fall informieren müssen."

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Der Mann, der in London zum Trainerstab der Beckenschwimmer gehörte, muss sich am kommenden Dienstag wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener vor dem Schöffengericht in Kiel verantworten. Er soll sich laut Anklage zwischen August 2004 und März 2006 in 18 Fällen an einer damals minderjährigen Schwimmerin vergangen haben.

Anzeige wurde im August 2009 erstattet, im September 2011 erhob die Staatsanwaltschaft Kiel Anklage. Nach der Affäre um Ruderin Nadja Drygalla sieht sich damit ein weiteres Mitglied der deutschen Olympia-Mannschaft mit schweren Vorwürfen konfrontiert.

Fraglicher Informationsfluss zwischen DOSB und DSV

Vesper befürwortet, dass die Angelegenheit vor Gericht geklärt wird. "Ich finde es gut, denn nach meinem Kenntnisstand steht ja Aussage gegen Aussage", sagte Vesper. Fragen wirft allerdings der Informationsfluss zwischen dem Deutschen Schwimm-Verband (DSV) und dem DOSB auf.

"Ich wollte den DOSB am Freitag darüber informieren, aber die wussten es bereits", sagte DSV-Präsidentin Christa Thiel dapd. Thiel ist zugleich Vize-Präsidentin Leistungssport des DOSB. Sie will nun "Akteneinsicht beim Gericht einfordern, damit wir uns ein eigenes Bild machen können".

Der DSV war am Freitagnachmittag von der "Neuen Osnabrücker Zeitung" über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt worden. Im Falle einer Verurteilung droht dem nicht vorbestraften Trainer maximal eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Der Anwalt des Beschuldigten weist die Vorwürfe der Anklage zurück. Es müsse geklärt werden, ob tatsächlich ein Betreuungsverhältnis bestanden habe.

Die junge Frau soll in dem Prozess als Nebenklägerin auftreten. Bei dem Prozess sind drei Zeugen geladen. Weitere Termine sind nicht angesetzt.

Keine physische Gewalt im Sinne einer Vergewaltigung

Seit dem Jahr 2000 war der Trainer Übungsleiter in Kiel. Zu einem ersten Übergriff kam es laut Anklageschrift im August 2004 bei einem Training auf Kreta. Bis März 2006 soll der Mann das Betreuungsverhältnis ausgenutzt haben, um die Sportlerin mehrfach zum Sex zu zwingen. Zu physischer Gewalt im Sinne einer Vergewaltigung kam es nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht. Hätte das Betreuungsverhältnis nicht bestanden, wären auch die jetzt erhobenen Vorwürfe strafrechtlich nicht relevant gewesen, heißt es bei der Ermittlungsbehörde.

Der Mann arbeitet mittlerweile für einen Sportverein in Nordrhein-Westfalen. Im Mai wurde er im Zuge der Europameisterschaft im ungarischen Debrecen zum ersten Mal in den Trainerstab des DSV für ein internationales Turnier berufen. In London war er einer von sechs Trainern.

Die Verantwortlichen des DSV reagierten geschockt auf die Nachricht. "Es ist - auf Deutsch gesagt - zum Kotzen, dass so etwas gerade dann auch noch an einem Tag aufkommt, an dem Thomas Lurz Silber gewinnt", sagte DSV-Generalsekretär Jürgen Fornoff am Freitag: "Wir sind davon völlig überrascht worden. Sonst hätten wir uns natürlich im Vorfeld der Olympischen Spiele mit dem DOSB abgestimmt, wie man sich hätte verhalten sollen. Er hat ja auch den olympischen Ehrenkodex unterschrieben."

Der DSV will nun die Gerichtsverhandlung am Dienstag abwarten und dann über weitere Schritte entscheiden. "Erst einmal gilt natürlich die Unschuldsvermutung", sagte Fornoff. Der Verband ist durch das Debakel der Beckenschwimmer, die in London erstmals seit 80 Jahren ohne Medaille blieben, ohnehin sportlich gebeutelt.

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