Olympia kompakt: Ham die Leute einfach keine Lust hier oder wat?

Von Stefan Zieglmayer
Florian Wellbrock holt Gold im Freiwasser.
© imago images

Der 14. Wettkampftag der Olympischen Spiele hätte nicht besser starten können: Mit Sido und Kranführer Ronny an seiner Seite holt Flo Wellbrock Gold! Außerdem: Das Ende der Mannschaftssportart-Nation Deutschland, Gipsarm-Action und eine Hommage an LeBron James.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Wer Kranführer Ronny nicht kennt, dem sei dieses Video ans Herz gelegt. Jedenfalls erinnerte Deutschlands neuer Poseidon Flo Wellbrock nach seinem Olympiasieg an Ronny: "Ich bin um die erste Boje rum, habe mich umgeguckt und gedacht: Jungs, wollt ihr heute keinen Wettkampf schwimmen?"

Wellbrock legte los wie ein Motorboot, während die Konkurrenz das Rennen langsam begann. Ronny würde sagen: "Ham die Leute einfach keine Lust hier oder wat? Du musst mal fragen, ob die ... weiß ich nicht. Sollen wir nach Hause fahren oder wat? Ist doch lächerlich, oder?"

Wellbrock wurde anders als Ronny aber nicht "langsam wild hier", sondern schwamm zu seinem Meisterstück. Nach Blech im Pool Gold im Freiwasser. Immerhin eine der vier erwarteten: "Ich bin eigentlich ganz gut darin, den Druck von den Medien auszublenden, wenn sie es so verkaufen: Wellbrock startet dreimal und holt viermal Gold."

Der Triumph mit 25 Sekunden Vorsprung sei sein "persönliches Sommermärchen". Eines, das er in Gedanken sicher auch mit seiner 2006 im Alter von 13 Jahren verstorbenen Schwester Franziska teilt.

Das Tattoo auf seiner Brust ist ihr gewidmet. Es ist eine Zeile aus Sidos Song "Fühl dich frei": "Genieß dein Leben ständig, du bist länger tot als lebendig." Genieß den Olympiasieg, Flo, du Teufelskerl!

Olympia: Das Wichtigste vom Tag

Was sonst noch wichtig war:

Kajak: Auf Wellbrock-Gold folgte am frühen Morgen "Generationenboot"-Silber. 16 Jahre Altersunterschied liegen zwischen Max Hoff (38) und Jacob Schopf (22). Zusammen gewannen sie im Kajak-Zweier die Silbermedaille. Die hatte Hoff noch nicht, sein Medaillensatz ist nun voll.

Es war sein letztes großes Rennen. Schopf rührte seinen Teamkollegen im Interview danach zu Tränen: "Ich durfte ihn auf seinem letzten Ritt begleiten." Was für eine Karriere!

Zehnkampf: Nicht nur, dass er den Olympischen Rekord geknackt hat und als erst vierter Athlet überhaupt im Zehnkampf über die 9000-Punkte-Marke kam: Damian Warner aus Kanada liefert dazu auch noch die perfekte Cinderella-Story: "Als ich in der 6. Klasse war, habe ich in einem Schulprojekt geschrieben, dass ich eines Tages bei den Olympischen Spielen sein werde - aber wer hätte gedacht, dass ich mal Olympiasieger werde."

Vor der letzten Disziplin, dem 1500-Meter-Lauf, waren die 9000 Punkte so gut wie sicher. Warner brauchte eine Zeit von 4:33,8 Minuten. Seine Jahresbestzeit liegt bei 4:24,37. Neun Sekunden Zeit für 9000 Punkte! Doch Warner lässt es gemächlich angehen.

Zu gemächlich? "Ich dachte, wenn ich diese 9000 Punkte schaffen will, muss ich jetzt loslegen. Und ich habe alles gegeben, was ich hatte. Es war nicht schön, aber ich habe den Job erledigt." Job done. Warner im 9000er-Olymp.

Hockey: Man konnte sie in den Interviews nach dem 4:5 gegen Indien im Spiel um Bronze richtig spüren, die Fassungslosigkeit im deutschen Hockey-Team. Ist das gerade wirklich passiert? Keine Medaille? So gar keine?

Für Bundestrainer Kais al Saadi war "eine kleine Welt untergegangen". Für Kapitän Tobias Hauke war es die "härteste Niederlage" seines Lebens. Aus Routinier Martin Häner sprach zudem der Frust: "Wir dürfen dieses Spiel nicht verlieren. Wir waren einfach zu blöd, um uns zu belohnen."

Nach Fußball, Basketball und Handball ist also auch das heißeste Eisen im Feuer abgekühlt: Erstmals seit 1996 in Atlanta holt Team D in keiner Mannschaftssportart eine Medaille. Autsch.

Tobias Hauke hat seine Nationalmannschaftskarriere beendet.
© getty
Tobias Hauke hat seine Nationalmannschaftskarriere beendet.

Fünfkampf: Dann doch lieber wieder zu den erfreulicheren Themen aus deutscher Sicht - zu Annika Schleu. Die grüßt nach der ersten Disziplin im Modernen Fünfkampf von der Spitze. Hallöchen!

Sie gewann im Fechten 29 von 35 Duellen. Das ist besonders schön, weil die dritte Disziplin im Fünfkampf wieder Fechten heißt. Mit 30 Punkten Vorsprung vor der Südkoreanerin Kim Sehee kann sie in der Bonusrunde am Freitag gar nicht mehr von Platz eins verdrängt werden. Pah, Ansage!

Die Entscheidung um die Medaillen fällt dann im Springreiten, Schwimmen und Laser-Run (das Biathlon des Sommers). Im Laufen und Schießen ist Schleu ja ganz gut, wie sie in Rio gezeigt hat. Das könnte was werden mit Edelmetall!

Basketball: Was waren das bitte für kranke Halbfinals? Erst das Monster-Comeback von Team USA, das dank Kevin Durant einen 15-Punkte-Rückstand nicht nur aufholte, sondern umkehrte. Dann Doncic vs. Frankreich. Der Star des Basketball-Turniers gegen den Gold-Mitfavoriten um Evan Fournier und Rudy Gobert. WAS FÜR EIN SPIEL!

Die Entscheidung fiel zwei Sekunden vor Schluss. Beim Stand von 89:90 aus Sicht der Slowenen setzte nicht etwa Doncic, sondern Klemen Prepelic zum letzten Drive an. Als der Spalding ... äh ... der Molten schon seine Fingerkuppen verließ, kam von hinten Nicolas Batum angerauscht. Der Small Forward der Clippers räumte Prepelics vermeintlichen Gamewinner im letzten Moment ab - der Block zum Sieg! Auf Twitter waren später sogar Späßchen wie "Batum Block > Giannis Block" zu lesen. Das ist dann aber doch ein wenig übertrieben.

Rücktritt des Tages: Tobias Hauke

"Für mich war es das jetzt." Dieser Satz leitete eine Zäsur in Hockey-Deutschland ein. Tobias Hauke, Rekordnationalspieler mit unfassbaren 369 Länderspielen, Welthockeyspieler von 2013, doppelter Olympiasieger: Er hört tatsächlich auf. Womöglich spielt er in der Halle noch ein bisschen für die Nationalmannschaft, aber auf der großen Bühne war es das für ihn. Eine Niederlage im Spiel um Platz drei wird seinem Abgang aber sowas von nicht gerecht. Das schmerzt. 16 Jahre - danke!

Biss des Tages: Takashi Kawamura

Japan ist Olympiasieger im Softball. So weit, so gut. Da darf man sich als Nagoyas Bürgermeister schon mal mit der Olympiasiegerin und Kind der Stadt, Miu Goto, freuen. Die war offenbar ganz entzückt von der Begeisterung des Bürgermeisters Takashi Kawamura und hing ihm die Medaille sogar kurz um den Hals. "Das ist schwer", sagte der richtigerweise, bevor er zum Echtheitstest ansetzte.

Der Biss in die Goldmedaille sorgte für einen veritablen Shitstorm! "Respektlosigkeit" und Corona-Ignoranz werden Kawamura vorgeworfen. Selbst Olympia-Hauptsponsor Toyota gab ein Statement ab: "Wir hoffen wirklich, dass der Bürgermeister sich wieder einem Anführer angemessen benehmen wird." So viel Wirbel um einen Biss gab es zuletzt um Luis Suarez!

Tor des Tages: Megan Rapinoe

Beim 4:3-Sieg gegen Australien überzeugte vor allem (und eigentlich ausschließlich) die Offensive von Gold-Favorit USA. Allen voran Superstar Megan Rapinoe glänzte, weshalb ihr neben der Bronzemedaille auch der SPOX-Titel für das Tor des Tages zusteht. Welches ihrer beiden Tore dafür herhalten muss, könnt Ihr selbst entscheiden. Das 1:0 war eine direkt verwandelte Ecke, das 2:0 ein Volleyschuss in den Winkel. Was will man mehr? Zeit, sich die Haare Bronze färben zu lassen, Megan!

Gipsarm des Tages: Taylor Edtmayer

Am Ende war Dabeisein eben doch alles. Edtmayers Olympia-Teilnahme hing am seidenen Faden. Der Skateboarder hatte sich im Training die linke Speiche gebrochen. Es war der Start einer Odyssee - immerhin mit Happy End. Zunächst wurde Edtmayer nämlich zum falschen Krankenhaus gefahren: "Die hatten keine Ahnung von Olympia und auch keine Vereinbarung mit den Organisatoren." Erst nach "vier oder fünf Stunden" wurde er schließlich behandelt. Mit Gipsarm und Tape trat er dann bei den Spielen an - Platz 15 sprang dabei heraus. Jetzt geht's zurück nach Deutschland, als Erstes in einen OP-Saal. Der Gipsarm bleibt "auf jeden Fall ein Andenken".

Botschaft des Tages: Ryan Crouser

"Grandpa, wir haben es geschafft. Olympiasieger 2020!" Das ist sie, die Botschaft des Tages. Kugelstoßer Crouser widmete seine Goldmedaille seinem Opa, der einen Tag vor Crousers Abflug nach Tokio starb. "Ich saß vor einigen Tagen auf meinem Bett, hatte ein gutes Training gehabt, fühlte mich aber leer und gestresst. Und ich habe meinen Großvater vermisst", erzählte Crouser, "da wusste ich: Du musst etwas tun. Ich wollte Grandpa noch etwas sagen, und da habe ich das aufgeschrieben. Und als ich es geschrieben hatte, war es unglaublich befreiend." Herzzerreißend! Wirklich!

Ryan Crouser mit einer Botschaft an seinen verstorbenen Großvater.
© getty
Ryan Crouser mit einer Botschaft an seinen verstorbenen Großvater.

Sprüche des Tages

"Die Sonne hat von oben runtergeballert, da war ich sehr froh, dass ich ein kaltes nasses Handtuch bekommen habe." (Florian Wellbrock nach seinem Olympiasieg im Freiwasser)

"Cleveland, this is for you!" (Die in Cleveland geborene Katie Nageotte nach dem Gewinn der Goldmedaille im Stabhochsprung - in Anlehnung an LeBron James' bekannten Ausruf)

"Das Ziel der Olympia-Medaille muss ich mir dann wohl noch für Paris aufsparen." (Zehnkämpfer Niklas Kaul über sein verletzungsbedingtes Aus)

"Ich bin auch nur ein Mensch." (Bahnrad-Star Emma Hinze nach dem verpassten Keirin-Finale)

"Silber ist nicht Verlieren. Alle, die enttäuscht sind, sollen das erst mal nachmachen." (Max Hoff nach dem zweiten Platz im Kajak-Zweier)

Zahlen des Tages

6: Eddie Alvarez (USA) ist der sechste Sportler mit Winter- und Sommermedaille. Nach Silber im Shorttrack 2014 in Sotschi hat er nun mit der Baseball-Mannschaft der USA schon mindestens Silber sicher. Das Finale gegen Japan findet am Samstag um 12 Uhr statt.

Eddie Alvarez gewann 2014 Silber im Shorttrack.
© getty
Eddie Alvarez gewann 2014 Silber im Shorttrack.

7: Auf diesem Rang liegt Deutschland im Medaillenspiegel nach 13 Tagen.

10,0: So viele Rebounds holte sich Luka Doncic im Schnitt bei diesen Olympischen Spielen (zweitbester Wert aller Spieler).

12,5: So viele Assists legte Doncic im Schnitt bei den Olympischen Spielen auf (Bestwert).

24,2: So viele Punkte pro Spiel erzielte Doncic. Aufgepasst? Richtig, der Superstar der Dallas Mavericks beendet das Olympische Turnier im Schnitt mit einem Triple-Double.

33: So viele Jahre hatte Deutschland bei den Männern auf eine Goldmedaille im Schwimmen gewartet. Flo, du Teufelskerl!

125: Um so viele Punkte überbot Warner den einstigen Olympischen Rekord von Roman Sebrle (Tschechien) und Ashton Eaton (USA).

5042: So viele positive Corona-Fälle wurden am Donnerstag in Tokio gemeldet. Rekordwert seit Ausbruch der Pandemie.