Kommentar zu den Olympischen Spielen in Tokio: Nicht mal das IOC kann die olympische Idee zerstören

Am Sonntag gingen die Olympischen Spiele in Tokio feierlich zu Ende.
© getty

Die ersten Pandemiespiele der Geschichte hinterlassen ein zwiespältiges Bild. Auf der einen Seite die Faszination Olympias mit großartigen Sportlern, die viel häufiger diese große Bühne verdient hätten. Auf der anderen Seite der Egoismus der Funktionäre, die nur an sich und den maximalen Profit denken. Ein Kommentar.

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Es ist ein Trauerspiel: Am Ende dieser Sommerspiele feiern sich diejenigen am meisten, die am wenigsten zu ihrem Erfolg beigetragen haben: Die IOC-Bonzen, wie selbst seriöseste Medien die Funktionärsclique um Präsident Thomas Bach mittlerweile bezeichnen.

Ansonsten könnte man die Wettkämpfe von Tokio tatsächlich als Erfolg bezeichnen, trotz aller Widrigkeiten und Probleme. Denn es war im Grundsatz richtig, den Sportlern nach fünf Jahren härtester Vorbereitung die Chance auf der größtmöglichen Bühne zu geben.

Olympische Fazination war auch in Tokio spürbar

Und die Faszination der olympischen Idee war trotz der teilweise trostlos leeren Kulissen auch in Japan spürbar, bei dramatischen Wettkämpfen, emotionalen persönlichen Schicksalen und großartigen Gesten.

Olympia hat die übergroße Mehrheit der Sportfans auch 2021 in seinen Bann gezogen, obwohl es zahlreiche Gründe gegeben hätte, den Spielen die kalte Schulter zu zeigen.

Die Athleten haben es auch verdient, zumindest alle vier (bzw. diesmal fünf) Jahre im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu stehen. Denn die meisten Sportarten generieren in unserer immer schnelllebigeren Zeit eben nur noch bei Olympia das allgemeine Interesse, ob im Segeln, Turnen, Kanu, Reiten oder Schießen.

Eigentlich müsste Olympia alle zwei Jahre stattfinden

Deshalb würden es diesen Sportlern eigentlich gerechter werden, wenn alle zwei Jahre olympische Sommer- und Winterspiele stattfinden würden. Doch ernsthaft kann man einen solchen Vorschlag nicht machen, weil davon am meisten eben die oben angesprochenen IOC-Bonzen profitieren würden.

Tokio hat gezeigt, dass diese Kaste der selbstherrlichen Funktionäre, meist ältere Männer, nicht mal ansatzweise ihrer Aufgabe als Hüter der olympischen Idee gewachsen ist. Die Liste der Pannen und Peinlichkeiten ist so lang, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen und wo aufhören soll.

Angefangen mit dem rücksichtlosen Durchdrücken der Spiele im Corona-geschädigten Japan anstatt zumindest über eine Verlegung an weniger gefährdete Orte dieser Welt nachzudenken. Fortgesetzt mit dem Radikalverbot jeglicher Zuschauer, einem Schlag ins Gesicht der sportinteressierten Gastgeber - obwohl doch medizinisch überhaupt keine Argumente gegen einen Zutritt von Geimpften und Genesenen gesprochen hätte.

Sportler in Quarantäne-Isolation - IOC-Bonzen im Nobelhotel

Stattdessen wurden die Journalisten und vor allem die Sportler mit allen möglichen und unmöglichen Maßnahmen schikaniert. Negativbeispiel war die Quasi-Isolationshaft für positiv getestete Athleten wie den deutschen Radfahrer Simon Geschke, der trotz nicht mal eindeutig erwiesener Infektion acht Tage ohne vernünftiges Essen und Frischluftzufuhr in einem minderwertigen Quarantäne-Hotel eingesperrt war.

Auch sonst scherte sich das IOC, dessen Vertreter natürlich im nobelsten Hotel der Stadt logierten, eher selten um die Sportler. Das zeigte sich einmal mehr bei den unmöglichen Startzeiten der meisten Wettbewerbe, die sich wie selbstverständlich seit Jahren nach der Prime Time in den USA richten, deren Sender das meiste Geld bezahlen.

Daher mussten unter anderem Schwimmer vormittags ran, wenn der Köper nicht optimal leistungsfähig ist, und das Endspiel im Basketball fand zur Mittagszeit und vor (!) dem Spiel um Platz drei statt.

Toxische Mischung aus Profitgier, Gedankenlosigkeit und Ignoranz

Die toxische Mischung aus Profitgier, Gedankenlosigkeit und Ignoranz wurde auch beim versuchten Kidnapping der weißrussischen Sprinterin Kristina Timanowskaja ersichtlich, die gegen ihren Willen zurück in die Heimat gebracht werden sollte. Erst die japanische Flughafenpolizei verhinderte die erzwungene Ausreise, während das IOC zunächst tatenlos zusah.

Kurz darauf fasste Thomas Bach sein deprimierendes Credo in einen bezeichnenden Satz: "Das IOC ist nicht in der Position, politische Systeme in einem Land ändern zu können."

Dabei hätte der Sport nach Nelson Mandela die Macht, die Welt zu verändern - aber mit Leuten wie Bach und Co. an der Spitze geschieht eher das Gegenteil: Die Despoten sitzen noch sicherer im Sattel und werden für ihre Schandtaten sogar belohnt.

Winterspiele in Peking exemplarisch für moralischen Niedergang

Exemplarisch für den moralischen Niedergang des IOC stehen die nächsten Spiele, im Februar 2022 in Peking. In einem Land, dem im Sport massives Staatsdoping vorgeworfen wird, dass die Menschen- und Presserechte mit Füßen tritt, die Demokratiebewegung in Hongkong brutal niederschlägt und dessen Vorgehen gegen die Uiguren von Fachleuten als Völkermord bezeichnet wird.

Doch die Herren der Ringe werden Chinas Autokraten in wenigen Monaten hofieren und diese werden die Spiele wie zahlreiche Diktaturen vorher zur PR in eigener Sache zu nutzen wissen.

Und auch hier ist für die Sportler wieder nur eine Nebenrolle vorgesehen inklusive noch schärferer Quarantäne- und Social-Distancing-Maßnahmen im bestens geölten Überwachungsstaat.

Gian Franco Kaspers düstere Prophezeiung könnte wahr werden

So könnte die Prophezeiung von Gian Franco Kasper wahr werden.

"Es geht um den Sport, wo er stattfindet, ist in gewisser Weise sekundär", hatte das kürzlich verstorbene Oberhaupt des Ski-Weltverbands und IOC-Ehrenmitglied schon 2019 in der Basler Zeitung entwaffnend ehrlich erklärt: "Es ist nun einmal so, dass es für uns in Diktaturen einfacher ist. Vom Geschäftlichen her sage ich: Ich will nur noch in Diktaturen gehen, ich will mich nicht mit Umweltschützern herumstreiten. (...) Diktaturen können solche Veranstaltungen mit links durchführen, die müssen nicht das Volk befragen."

Es dürfte also klar sein, dass nichts besser werden wird in der schönen neuen Welt des Thomas Bach. Einzig die Tatsache, dass es selbst die IOC-Bonzen bis jetzt nicht geschafft haben, die olympische Idee zu zerstören, macht ein wenig Hoffnung. Das zumindest haben die Spiele von Tokio bewiesen - den Sportlern sei Dank.

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