"Heim-Nachteil" für China

SID
Liu Xiang, Olympia
© Getty

Peking - Unter dem Erwartungensdruck von 1,3 Milliarden Menschen wird so mancher chinesischer Sportler in Peking in die Knie gehen. Noch nie waren die Ansprüche an die Teilnehmer eines Olympia-Gastgebers so hoch.

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"Wenn du Wimbledon gewinnst, bist du vielleicht in der ganzen Welt bekannt. In China würden sie jedoch sagen: Ja, okay, aber das sind keine Olympischen Spiele. In China zählt nur Olympia-Gold. Ob du Zweite wirst oder Letzte - das spielt keine Rolle", erklärte Tennisspielerin Li Na.

Deshalb hat bei der Nominierung des 639-köpfigen Teams auch die psychische Belastbarkeit eine Rolle gespielt. "Gewinnt Ruhm für unser Land", hat Staatspräsident Hu Jintao unmissverständlich gefordert.

USA übertrumpfen

Olympiasieger und Schieß-Nationaltrainer Wang Yifu sprach in den "New York Times" sogar von einem "Heim-Nachteil". Das Ziel, die USA als erfolgreichste Nation zu übertrumpfen, ist von Funktionären und Politikern offiziell nicht ausgegeben worden.

Doch vor vier Jahren in Athen lag China mit 32 Mal Gold nur vier Medaillen hinter den Amerikanern. Und dass die Gastgeber mit ihrem Rekordaufgebot vor eigenem Publikum über sich hinaus wachsen, hat längst Tradition: So holten die Spanier 1988 vier Medaillen - vier Jahre später in Barcelona gleich 22.

"Die Vereinigten Staaten sind die stärkste Macht in der Welt des Sports. China hat niemals erwartet, den Medaillenspiegel in Peking anzuführen", sagte Cui Dalin, der Vizeminister für Sport.

"Sport ist eine Droge"

Dennoch haben die Asiaten in den vergangenen Jahren alles getan, um ihre historische Chance zu nutzen und der Welt Macht und Stärke zu demonstrieren.

"Sport ist eine Droge, die uns Chinesen noch mehr in Rausch versetzt als andere Völker. Wir haben diesen Rausch zu lange entbehrt", schrieb Sportreporter Wang Xiaoshan in einem Beitrag für die Wochenzeitschrift "Die Zeit". Am größten ist der Druck für Liu Xiang, der ein Symbol Chinas sei wie der Pandabär.

Der Hürdensprinter ist Olympiasieger von 2004 und Weltmeister von 2007, doch das alles zählt nicht mehr viel. "Nun muss er nur noch im eigenen Land siegen. Tut er das nicht, zerstört er womöglich seine Karriere - und viele andere."

Druck lastet auf Liu Xiang

Während der 25-Jährige seit Wochen von der Bildfläche verschwunden ist und Wettkämpfe meidet, hat ihm ein Kubaner den Weltrekord abgeknöpft: Dayron Robles rannte am 12. Juni in Ostrau/Tschechien die 110 Meter Hürden in 12,87 Sekunden und könnte den Chinesen den größten Tiefschlag dieser Spiele versetzen.

Denn Liu Xiang soll wie Michael Johnson 1996 in Atlanta und Cathy Freeman 2000 in Sydney das Gesicht der Spiele werden.

Liu Xiang kassiert nach Angaben des Tübinger Sportwissenschaftlers und internationalen Leichtathletik-Funktionärs Helmut Digel, der seit Jahren über den Leistungssport in China forscht, jährlich Werbeeinnahmen in Höhe von umgerechnet fünf Millionen Euro. Er wirbt unter anderem für Cadillac, darf aber aus Angst vor Autounfällen nicht selbst fahren. Das hat ihm der Verband verboten.

Wenn der Nationalheld wieder Olympiasieger wird, soll er in einem goldenen Auto zum Staatsfernsehen CCTV gefahren werden - live übertragen von einem Hubschrauber aus. "Es wird einiges an Druck geben bei Olympia in Peking, aber ich werde Heimvorteil haben", sagte Liu Xiang.

Die Psyche muss stimmen

Neben dem Hürdensprinter sind die großen Hoffnungsträger der angeschlagene Basketball-Star Yao Ming, die Turner um Mehrkampfweltmeister Yang Wei, die Kanuten, die der deutsche Trainer Josef Capousek bis zu seiner Entlassung Ende Juni auf Medaillenkurs getrimmt hatte, die Wasserspringer, Badminton- und vor allem Tischtennis-Asse: Seit 1988 gingen 16 der 20 Goldmedaillen an das Reich der Mitte.

Damit die Favoriten nicht mit zittriger Hand oder weichen Knien antreten, haben die Funktionäre zahlreiche Psychologen bemüht.

Die Maßnahmen reichen von Musiktherapie bis Yoga. "Wir haben die Unterstützung unseres Volkes, die fantastisch sein wird. Aber die Erwartungen sind hoch - vielleicht zu hoch für uns", sagte Turn-Trainer Huang Yubin.

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