Chinas Triumph: Festspiele für die Athleten

SID
Olympia, Peking, Abschlussfeier
© dpa

Peking - Die Peking-Spiele haben mit beängstigender Perfektion neue olympische Standards gesetzt: Fehlerlose Organisation, hochmoderne Prachtbauten und ein einzigartiges olympisches Dorf schufen Festspiele für die Athleten, doch die Realität in China blieb ausgesperrt.

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"Das waren wahrlich außergewöhnliche Spiele", lobte IOC-Präsident Jacques Rogge unkritisch die aufpolierte Scheinwelt, "durch Olympia hat die Welt mehr über China gelernt und China mehr über die Welt."

Die Gastgeber schafften die Machtübernahme im olympischen Weltsport und präsentierten sich mit der Freundlichkeit des Freiwilligen-Heeres unerwartet weltoffen.

Mit der Schlussfeier endeten die Spiele so, wie sie sich über 17 Tage der Welt dargestellt hatten: Eine genau geplante Inszenierung, begleitet von kontrollierter Ausgelassenheit.

Mit einem Feuerwerks-Zauber und der auch von Chinas Präsident Hu Jintao mitgesungenen Nationalhymne begann das Abschlussfest, das Starregisseur Zhang Yimou wiederum als ein farbenfrohes Massen-Spektakel inszenierte.

"Wunder wurden geschaffen"

Bei der Rekordbeteiligung von 11.249 Athleten aus 204 Ländern haben 87 verschiedene Nationen Medaillen gewonnen und damit eine nie dagewesene Universalität demonstriert. "Wunder wurden geschaffen und Träume erfüllt", verkündete Chinas Führung. Nur nach dem Scheitern des nationalen Hürden-Helden Liu Xiang weinte China.

Alle Tränen haben eine Geschichte - auch im deutschen Team. Sympathieträger wie Gewichtheber Matthias Steiner und Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen wurden zu den deutschen Gesichtern dieser Spiele.

Bach: "Wir haben unser Ziel erreicht"

Da Gold die olympische Währung bleibt, hat die Mannschaft des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) mit 16 Gold-, 10 Silber- und 15 Bronzemedaillen als Fünfter der Länderwertung den Abwärtstrend gestoppt.

"Wir haben uns gegenüber Athen um einen Platz verbessert und unser Ziel erreicht", analysierte DOSB-Präsident Thomas Bach die erste Bewährungsprobe des neuen Dachverbandes.

Als das olympische Feuer um 21.23 Uhr erlosch, war die Zwiespältigkeit der Spiele allerdings nicht aufgelöst. Die makellose Oberfläche des Planeten Olympia konnte die dunklen politischen Aspekte nicht völlig überstrahlen: Fehlende Meinungsfreiheit, Internet-Zensur, Bombenanschläge im Nordwesten, Festnahmen ausländischer Tibet-Aktivisten und Verfolgung von aufmüpfigen Pekingern.

Sogar zwei fast 80-jährige Omas wurden mit Lagerhaft auf Bewährung bestraft, weil sie die offiziell eingerichteten Protestzonen nutzen wollten. 77 Anträge für Demonstrationen wurden eingereicht. Genehmigt wurde keiner.

China als Land der Widersprüche

China wollte Leidenschaft erzeugen und gleichzeitig verhindern. Die olympische Begeisterung sollte anstecken und doch in Grenzen bleiben. In dieser Einheit der Widersprüche begegneten sich die olympische Idee und die bemerkenswerte Präzision und Kontrollwut der chinesischen Olympia-Macher.

Selbst das Wetter wurde beeinflusst. Das Amt für Wettermodifikation sorgte in Chinas Hauptstadt für die sauberste Luft der vergangenen zehn Jahre. Der Propaganda-Apparat ist stolz. "Wir haben das Vertrauen der Welt erfüllt", kommentierte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. Nur ein totalitäres Regime kann so viele Milliarden Dollar locker machen, obwohl gleichzeitig mehrere Hunderte Millionen seiner Bürger in tiefster Armut leben.

43 Milliarden Dollar hat das Land in die olympische Infrastruktur investiert und den Großauftrag für die Runderneuerung Pekings genutzt. Die Sport-Asse haben im Auftrag Chinas gesiegt und das bevölkerungsreichste Land der Welt mit 51 Mal Gold, 21 Mal Silber und 28 Mal Bronze zur neuen Nummer eins gemacht.

Das US-Team konnte als Zweiter (36/38/36) nur demütig gratulieren. Wenigstens der Superstar der Spiele kommt aus Baltimore. US-Schwimm-Ikone Michael Phelps, nach seinen acht Goldmedaillen von Peking mit 14 Olympiasiegen dekoriert, ist "ein Außerirdischer" (China Daily") - und der erfolgreichste Athlet der Olympia-Geschichte.

43 Weltrekorde - Misstrauen wächst

Auch Jamaikas tanzender Sprint-König Usain Bolt taugt mit seinem Gold-Triple zur Pekinger Sehenswürdigkeit. Das futuristische Nationalstadion Vogelnest (91.000) war die perfekte Kulisse für Bolts laufende Vorführungen und das omnipräsente Misstrauen.

Vom ersten Tag an staunten Experten über teilweise sagenhafte Formsteigerungen, Leistungsexplosionen und insgesamt 43 Weltrekorde. Die befürchtete Doping-Lawine ist ausgeblieben. Zumindest ist sie nicht sichtbar geworden. Nur sechs Athleten wurden bei der Rekordzahl von mehr als 5000 Doping-Kontrollen erwischt.

Der Ohnmacht der Ringe-Organisation im schwierigen Joint Venture mit der beratungsresistenten chinesischen Staatsmacht ist sich Rogge bewusst. Kommentieren wollte er sie nicht mehr. Auch die vielen leeren Plätze in den angeblichen ausverkauften Arenen nicht.

Rogge steht trotz Kritik zur Kandidatur bereit

Auf seiner Abschlusspressekonferenz blieb der Belgier seinem Credo der stillen Diplomatie und offenen Anpassung treu. "Als IOC-Präsident wird man immer kritisiert, das nehme ich nicht persönlich", sagte er und scheint entschlossen, sich 2009 für eine weitere Amtszeit an der IOC-Spitze zur Verfügung zu stellen.

Neben der IOC-Identitätskrise im Frühjahr waren die Enteignung des olympischen Fackellaufs und der PR-Alptraum in der Kontroverse um den freien Internetzugang eine schmerzhafte Erfahrung. Wenigstens ihre ausgeliehenen Spiele haben die Olympier wieder im Besitz.

Quo vadis Olympia? In vier Jahren in London kehrt die globale Leistungsschau nach Europa zurück. "China hat die Latte sehr hoch gelegt, und das wird eine Herausforderung für die nächsten Gastgeber", betonte Rogge, aber jeder Ausrichter habe Besonderheiten.

Nur ein paar Dinge könne London nicht leisten. Zum Beispiel eineinhalb Millionen Freiwillige mobilisieren, die mit unermüdlichem Einsatz alle Olympia-Gäste begeistern. Das kann nur China.