"Scheiße", Kollaps, Harry Potter

Von SPOX
Tia Hellebaut
© Getty

Die olympischen Spiele in Peking sind zu Ende. Schluss, aus, vorbei - nach 16 Tagen mit 29 Sportarten und 302 Entscheidungen.

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Unvergessen bleiben natürlich die Überflieger Usain Bolt und Michael Phelps, oder auch Britta Steffens Doppel-Gold sowie die herzzerreißende Geschichte um Gewichtheber Matthias Steiner.

Doch was war sonst noch, wen darf man auf keinen Fall vergessen und wer sind die heimlichen Helden der Spiele? SPOX blickt Tag für Tag auf Olympia zurück und erzählt die etwas anderen Geschichten der Frauen und Männer der 16 Olympia-Tage. 

Hier geht's zu Tag 1 bis 6 und zu Tag 7 bis 11.

Tag 12:

Mann des Tages: Usain Bolt. Zugegeben: Diese 9,69 Sekunden und 19,30 Sekunden klingen überirdisch und irreal. Aber auch wenn man erst 22 ist, das 100-Meter-Finale mit offenen Schnürsenkeln zu Ende läuft und hin und wieder aufs Aufwärmen verzichtet: Zu aller erst gilt die Unschuldsvermutung. Und die fordert, diesen jungen Jamaikaner mit den langen Schritten entsprechend zu würdigen. Tun wir. Solange er sauber ist.

Frau des Tages: Natalie du Toit, für ihre Willensstärke. Der Südafrikanerin wurde 2001 der linke Unterschenkel nach einem Unfall mit ihrem Motorroller amputiert. Sie war damals auf dem Weg vom Schwimmtraining nach Hause. Drei Jahre später gewann sie Gold bei den Paralympics, am Mittwoch schwamm sie bei den "echten" Olympischen Spielen über 10 Kilometer auf den 16. Platz. Ihr Fazit: "Ich habe alles gegeben. Ich bin wirklich froh, dass es vorbei ist. Ein Traum ist für mich wahr geworden."

Tag 13:

Mann des Tages: In Hockey-Kreisen hatte seine Nominierung für einigen Wirbel gesorgt. Kurz vor Olympia entschied sich Bundestrainer Markus Weise dafür, seine etatmäßige Nummer drei zur Nummer eins zu machen und auf Weltmeisterkeeper Ulrich Bubolz zu verzichten. Die Maßnahme wäre ihm im Misserfolgsfall um die Ohren geflogen, jetzt ist er aber der King und wird für sein gutes Händchen gefeiert. Doch nicht Weise ist unser Mann des Tages, sondern natürlich der "geilste Siebenmeter-Torhüter der Welt", wie ihn ein Teamkollege nannte: Max Weinhold. Der 26-Jährige hielt gegen die Niederlande drei Siebenmeter und brachte Deutschland damit ins Endspiel.

Frau des Tages: Melanie Seeger ist als Grundschullehrerin und Geherin Kummer gewöhnt und kann einiges ab, nach den 20 Kilometern von Peking war es aber dann auch ihr zuviel. 23. war sie geworden mit über fünf Minuten Rückstand auf die russische Siegerin Olga Kaniskina. Die beschuldigte Seeger dann ganz offen des Dopings, nahm noch gleich Usain Bolt und dessen "Scheiß-100-Meter-Lauf" mit und fragte: "Was soll der Scheiß?" Vielleicht würde sich was tun im Anti-Doping-Geschäft, wenn alle "Verlierer" derart Rabatz machen würden wie Frau Seeger. Doch soweit ist es noch nicht, wie sie resigniert feststellte: "Vielleicht noch nicht in den nächsten zwei Jahren - aber dann."

Tag 14:

Mann des Tages: Die Chinesen schöpfen im Tischtennis aus einem unerschöpflichen Reservoir an Spitzenspielern. Und was bietet der Rest der Welt dagegen auf? Einen ollen Schweden, dessen große Zeit schon lange Geschichte war, als der Weltverband mit seinen Aufzeichnungen begann. Jörgen Persson ist unser Mann des Tages und eine Hommage auf ihn gibt's hier vom SPOX-Blogger. Taschentücher bereithalten.

Frau des Tages: Vom Modernen Fünfkampf wissen die meisten Leute nur, dass er aus fünf Disziplinen besteht und irgendwie modern ist, also auf gar keinen Fall mit dem antiken Fünfkampf (Hauen, Stechen, Völlerei, Wagenrennen, Brandschatzen) verwechselt werden kann. Von Lena Schöneborn wussten die meisten bis heute noch weniger, denn ihr Name lässt im Unterschied zum Modernen Fünfkampf wenig Rückschlüsse zu. Jetzt kennt sie und ihren kruden Sport die ganze Welt, denn Lena Schöneborn ist die beste Pentathletin der Welt.

22 Jahre alt ist sie und sie sieht ein bisschen aus wie Hilary Swank und manchmal, wenn sie wie beim Schießen Schnute zieht, auch ein wenig wie Julia Roberts und manchmal, wenn sie richtig pumpen muss wie beim Laufen oder Schwimmen, auch ein ganz kleines bisschen wie Kerstin Garefrekes. Aber wirklich nur ein ganz kleines bisschen. Wie sie beim Fechten aussieht, weiß übrigens kein Mensch. Da trägt sie eine Maske. Inzwischen weiß die Welt auch, dass Lena auf Babynahrung steht, und ihr Papa ein Gläschen nach Peking geschmuggelt hat. Lena ist jetzt Olympiasiegerin, und man sollte nicht den Fehler machen, sie und den Fünfkampf gleich wieder zu vergessen.

Tag 15:

Mann des Tages: Wer Thomasz Wylenzek nach dem Finale im Zweier-Canadier über die 1000 Meter gesehen hat, wer gesehen hat, wie er aus dem Boot fiel und eine bemitleidenswerte Figur machte, der hätte nie im Leben geglaubt, dass er einen Tag später über 500 Meter mit Partner Christian Gille eine Medaille gewinnen würde. Dass er nach seinem Kreislaufkollaps überhaupt an den Start gehen würde. Wylenzek kämpfte sich gemeinsam mit Gille zu Bronze. Woher diese Taffheit kommt? Nun ja, vielleicht genügt das als Erklärung: Wylenzek griff überhaupt erst zum Paddel, weil der gebürtige Pole in seiner Heimat keine Prügel mehr beziehen wollte. Er wollte stärker werden und muskelbepackter, weil es dort, wo er aufwuchs, viele Schläger gab und man ständig eine rein bekam. Da schaute er sich an, wie gut gebaut die Jungs aus dem Kanu-Club waren und entschied sich auch mal mit dem Sport anzufangen.

Frau des Tages: Tia Hellebaut würde auf den ersten Blick besser in einen Fielmann-Werbespot passen als auf die Tartanbahn. Doch wozu Kassengestelle befähigen, wissen wir nicht zuletzt seit dem Hürden-Olympiasieger Dayron Robles. Vielleicht lag es genau an ihrem Harry-Potter-Nasenfahrrad, dass die Belgierin im Hochsprung-Finale ihre - wenn überhaupt existente - klitzekleine Siegchance sah. Trotz schwacher Vorleistungen in der Saison und trotz einer schier übermächtigen Topfavoritin Blanka Vlasic, die sage und schreibe 34 Wettkämpfe in Folge für sich entscheiden konnte, flog die Europameisterin von 2006 zu Gold.

Tag 16:

Mann des Tages: Für Hugh McCutcheon war der Olympiasieg seiner Volleyballer ein ganz besonderer Moment. Am Tag nach der Eröffnungsfeier wurden die Schwiegereltern des US-Cheftrainers während einer Besuchertour in Peking von einem offenbar geistig verwirrten Chinesen mit einem Messer angegriffen. Schwiegervater Todd Bachman starb an den Stichwunden, seine Frau Barbara, die ihm zu Hilfe eilte, wurde schwer verletzt. Sekunden nach dem entscheidenden Punkt im Finale von Peking zeigte der gebürtige Neuseeländer, der die ersten drei Partien des Turniers noch verpasst hatte, mit dem Finger gen Himmel, herzte die Teambetreuer und verschwand dann minutenlang in einem Nebenraum. "Ich musste raus und erstmal durchatmen", erklärte der 38-Jährige seine Flucht, die er auch für ein kurzes Telefonat mit seiner heimgereisten Frau Elisabeth nutzte. Sie war es, die ihren Mann trotz der schockierenden Erlebnisse überzeugt hatte, zu seinem Team zurückzukehren. "Ich habe ihr gesagt, dass wir Gold gewonnen haben, und sie war außer sich vor Freude", erzählte McCutcheon mit zitternder Stimme.

Frau des Tages: Nicht dass Jewgenija Kanajewa keine außerordentliche Leistung vollbracht hätte, mit zwei Goldmedaillen in der rhythmischen Sportgymnastik hat sie durchaus Respekt verdient, aber ob sie es damit an einem anderen der 16 olympischen Wettkampftage zur Frau des Tages gebracht hätte, darf bezweifelt werden. Doch da das IOC für den letzten Tag der Spiele keine sonstigen Veranstaltungen mit weiblicher Beteiligung zu dulden scheint, sei Jewgenija Kanajewa an dieser Stelle noch mal ganz herzlich zu ihren zwei Goldmedaillen in der rhythmischen Sportgymnastik gratuliert.

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