Sven Hannawald im Legenden-Interview: "Ich habe zur Ablenkung Heinz-Erhardt-Filme angeschaut"

Sven Hannawald nach dem Grand-Slam-Triumph bei der Tournee.
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Nach der Supersaison haben Sie noch viele weitere Erfolge gefeiert, bis die Saison 2003/04 die letzte werden sollte. Diagnose: Burnout. Wann haben Sie gespürt, dass etwas nicht stimmt?

Hannawald: Es ist schwer, einen genauen Zeitpunkt festzumachen, weil es ein schleichender Prozess war. Jeder verspürt mal eine große Müdigkeit. Aber als ich in den Urlaub geflogen bin und mich auf dem Rückflug genauso müde gefühlt habe wie auf dem Hinflug, habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass das nicht normal sein kann. Aber irgendwann ging es dann wieder. Einmal hat mich eine Verletzung drei Monate aufs Sofa verbannt, natürlich bist du danach wieder heiß aufs Skispringen. Aber es hat nie lange angehalten. Dazu kam, dass die heile Welt innerhalb des Teams zerbrach. Der Zusammenhalt im Team hatte uns immer ausgezeichnet. Klar, wir haben uns auch mal gezofft, aber insgesamt waren wir ein Herz und eine Seele. Als das durch den Streit um das Bundestrainer-Amt alles auseinandergebrochen ist, war es zu viel für mich. Ich hatte ja schon genügend Probleme mit mir selbst. Da war ich dann Freiwild.

Wie hat sich das gezeigt?

Hannawald: Ich hatte so eine komische Unruhe in mir. Ich kannte es, platt auf dem Zimmer zu liegen. Aber ich kannte es nicht, dass ich eigentlich platt bin, auf dem Zimmer liege, aber trotzdem einen Bewegungsdrang verspüre und mich gar nicht ausruhen kann. Als ich beim Weltcup in Park City als 47. den zweiten Durchgang verpasste, bin ich zu Wolfgang Steiert gegangen und habe ihm gesagt: "Wolfi, lass mich bitte nach Hause fliegen, ich hab' die Schnauze voll, ich dreh hier völlig durch!" Im Anschluss bin ich mit meiner damaligen Freundin in den Urlaub geflogen und dort zusammengebrochen. Ich habe von 300 auf null runtergeschaltet und die Quittung dafür bekommen. Ich hatte richtige Heulattacken.

Wie ging es weiter?

Hannawald: Es lag spätestens zu diesem Zeitpunkt auf der Hand, dass es etwas Psychisches sein musste. Also bin ich zum letzten Arzt, bei dem ich vorher noch nicht gewesen war - ich bin zu einem Facharzt für Psychosomatik gefahren. Er hat direkt die Burnout-Diagnose gestellt und mir gesagt, dass ich sofort in eine Klinik muss.

Sven Hannawald und der Blick auf den Friedhof am Bergisel.
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Sven Hannawald und der Blick auf den Friedhof am Bergisel.

Sven Hannawald: "Da hatte ich Angst"

War das ein Schock?

Hannawald: Niemand will gerne wochenlang in eine Klinik, aber für mich war es dennoch mehr eine Erleichterung. Ich hatte eineinhalb Jahre lang verschiedenste Ärzte konsultiert, um zu erfahren, was mit mir los ist. Wenigstens war es jetzt klar. Es hat mich befreit. Und ich wusste ja nicht, dass es das Ende meiner Karriere bedeuten würde. Ich wollte danach wieder Skispringer sein. Als ich dann feststellen musste, dass der Körper das nicht will und mir wieder eindeutige Signale sendete, war es leider vorbei. Es war hart für mich, es einzusehen und zu akzeptieren. Das hat länger gedauert. Ich habe mir auch viele Gedanken gemacht, ob ich etwas anders hätte machen können. Aber die Antwort lautet nein. Ich musste meinen Körper so schinden, ich musste meinen Körper ruinieren, um so erfolgreich zu werden. Sonst hätte ich die Tournee nie gewonnen. Es gab keine Alternative zu diesem Weg. Es war mein Weg. Deshalb bin ich auch froh darüber und glücklich, dass ich ganz am Ende meinem Körper gerecht geworden bin und die Konsequenz gezogen habe.

Inzwischen arbeiten Sie als TV-Experte bei Eurosport an der Seite von Matthias Bielek und halten Vorträge zur Stress- und Burnout-Prävention. Was machen Sie mit den Leuten?

Hannawald: Wenn es machbar ist, gehe ich gerne mal die Schanze mit ihnen rauf, weil sie dadurch auch eine Art Karriereleiter sehen. Generell geht es mir darum, das Bewusstsein dafür zu fördern, dass sie sich mehr zurücknehmen müssen, um ihren Akku aufzuladen. Wenn Mitarbeiter in einer Firma den ganzen Tag hart gearbeitet haben, müssen sie ruhigen Gewissens nach Hause gehen dürfen, ohne dass sie sich am Abend schlecht fühlen, wenn sie nicht die Mails checken. Diese Befreiung ist zwingend notwendig, damit die Leute am nächsten Tag wieder frisch zur Arbeit kommen. Das zu verändern, geht aber nicht von heute auf morgen.

Gerade wenn man zum Beispiel die Schanze in Innsbruck hochläuft und beim Runterschauen den Friedhof im Hintergrund sieht, wird einem mulmig. Hatten Sie in Ihrer Karriere mal Angst auf der Schanze?

Hannawald: Ja, ein paar Mal. An eine Situation erinnere ich mich auch noch. Das war in Kuopio in Finnland, da war es extrem böig - da hatte ich Angst. Wenn du das Gefühl hast, dass dein System nicht gut funktioniert und dann auch noch die Bedingungen schlecht sind, wird es gefährlich. Respekt hast du immer und wenn es zum Skifliegen geht, dann kriegst du auch jedes Mal ein bisschen das Flattern. Weil wir es nicht so oft haben. Da schläfst du die Nacht vorher auch mal nicht so gut. Aber sobald es wirklich zur Angst wird, ist es Zeit, von der Schanze zu gehen. Das habe ich dann auch gemacht, auch wenn es kein einfacher Schritt ist. Geht einer runter, bin ich einen Platz weiter vorne. So wird im Feld natürlich auch gedacht. Aber wenn die Angst wirklich da ist und du zum Passagier wirst, musst du reagieren. Ich vergleiche das immer mit einem Flugzeug. Es ist nicht schlimm, dass es mal wackelt, solange ich das Steuer im Griff habe. Aber wenn ich hinten drinsitze und das Flugzeug fliegt selbst, ist der Spaß vorbei.

Sven Hannawald: Seine größten Erfolge

Grand Slam Vierschanzentournee 2001/02
Olympiasieger 2002 (Team)
2 x Skiflug-Weltmeister
2 x Skisprung-Weltmeister (Team)
18 Weltcup-Siege
Deutschlands Sportler des Jahres 2002
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