Sven Hannawald im Legenden-Interview: "Ich habe zur Ablenkung Heinz-Erhardt-Filme angeschaut"

Sven Hannawald nach dem Grand-Slam-Triumph bei der Tournee.
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Vor der legendären Saison 2001/2002 erlebten Sie auch noch schwierige Phasen. Wie schlimm war der Sommer 2000?

Hannawald: Der Sommer 2000 war richtig schlimm. Ich war zu dem Zeitpunkt getrieben von meinen ersten großen Erfolgen. Ich wollte auf keinen Fall eine Eintagsfliege sein. Ich habe es mir deshalb selbst verboten, Pausen zu machen und mal abzuschalten. Das ging gar nicht. Wenn die anderen faul in der Sonne liegen, ist das doch meine Chance, es anders zu machen und aufzuholen. Durch Pause machen gewinnst du ja die Tournee nicht. So war meine Denke. Das hat sich dann zu einer Art Teufelskreis entwickelt. Ganz entscheidend war dann das Frühjahr 2001 für mich. Da lief es so schlecht, dass ich nicht mal im Skifliegen was auf die Reihe bekommen habe. Wenn nicht mal da was geht, war das immer ein schlechtes Zeichen. Also habe ich die Saison vorzeitig abgebrochen, was im Nachhinein ein Segen war. Ich habe mich nur um meinen Körper gekümmert, ich habe sogar eine Aufbaukur gemacht. Danach habe ich gefühlt, wie ich wieder fest mit den Füßen auf dem Boden stehe. Das Zittern war vorbei. Die lange Pause tat mir so unglaublich gut, dass ich danach wie Herakles in der Sonne dastand. Ich habe die Veränderung richtig gespürt.

Was dazu führte, dass Sie sich in der Saison 2001/2002 Schritt für Schritt nach oben kämpften.

Hannawald: Mein gutes Gefühl ist stetig gewachsen. Zu Beginn der Saison landete ich mal auf Platz 15, dann war ich Zwölfter, dann kam ein Top-10-Resultat - und kurz vor Tournee-Start war ich in Engelberg dann Zweiter. Ich hatte viel Selbstvertrauen und eine angenehme Ruhe in mir, aber ich habe dennoch keine Sekunde an einen Tournee-Sieg gedacht. Ich war nie ein Träumer, der sich ausgerechnet hat, was ich erreichen könnte, wenn ich die Leistung aus dem Training zeige oder Ähnliches. Es gab Springer, die so gedacht haben - die haben nie etwas gewonnen. Und ich war ja auch einfach weit weg davon, Favorit auf den Gesamtsieg zu sein.

Sven Hannawald nach dem Grand-Slam-Triumph bei der Tournee.
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Sven Hannawald nach dem Grand-Slam-Triumph bei der Tournee.

Sven Hannawald und sein legendärer Satz: "Ich mach' mein Zeug"

Es gab ja Adam Malysz.

Hannawald: Richtig. Malysz war der totale Dominator, der hat uns alle in Grund und Boden gesprungen. Deshalb war ich auch so überrascht nach meinem Sieg in Oberstdorf. Von diesem Moment an ging die Reise langsam los. Ich war logischerweise nach dem Sieg der einzige Springer, der die Chance auf den Grand Slam hatte und RTL als neuer Tournee-Sender hat das Thema extrem befeuert, das kannten wir so gar nicht. Aber ich bin immer bei mir geblieben. Selbst nach meinem Sieg in Garmisch weiß ich noch, dass ich meinte: Es ist toll, dass ich als Deutscher die beiden Heim-Wettbewerbe gewinnen konnte, in Österreich dürfen gerne die Österreicher gewinnen. Das war mir egal.

Sie haben während dieser Tournee einen Spruch geprägt, der in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen ist. Wie kam es dazu?

Hannawald: (lacht) Ich mach' mein Zeug. Für mich war dieser Satz wichtig, weil ich mich damit immer wieder zurückholen konnte von der Euphorie, die von außen an mich herangekommen ist. So konnte ich mich wieder auf das Wesentliche besinnen. Ich wollte mich nicht anstecken lassen und Gefahr laufen, selbst mit dem Träumen anzufangen. Sobald du das machst, kannst du gleich zuhause bleiben.

Aber spätestens nach dem dritten Sieg in Innsbruck war es vorbei mit der inneren Ruhe, oder?

Hannawald: Absolut. In Innsbruck bin ich Schanzenrekord gesprungen und hatte am Ende mehr als 20 Punkte Vorsprung. Da konnte ich mir auch selbst nicht mehr ausreden, wie die Lage war. Ich hätte selbst bei einem Sturz noch die Tournee gewonnen. Der Gesamtsieg war gar nicht mehr das große Thema, es ging nur noch um den Grand Slam. Die Tage zwischen Innsbruck und Bischofshofen waren grausam. Ich konnte die ganzen Gedanken, die auf mich zukamen, nicht mehr ignorieren. Ich war froh um jede Minute, die irgendwie verplant war und die ich nicht auf dem Zimmer verbringen musste. Da war immer Theater angesagt in meinem Kopf. Die zwei Tage haben mich echt ruiniert. Ich habe zur Ablenkung Heinz-Erhardt-Filme angeschaut, um in eine andere Welt abzutauchen. (lacht)

Die deutschen Sportfans liebten ihren König Hanni.
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Die deutschen Sportfans liebten ihren König Hanni.

Sven Hannawald: "Ich habe mich gefühlt wie ein Gladiator im alten Rom"

Und wie war es am Wettkampftag selbst?

Hannawald: Ich war natürlich um 3 Uhr schon wach und am Morgen völlig gerädert. Ich hatte zwar auch eine große Vorfreude in mir, weil ich ja wusste, dass es mit dem Tournee-Sieg klappen sollte, aber gleichzeitig hatte ich diesen schweren Rucksack des Grand Slams auf den Schultern. Ich sehe mich noch vom Parkplatz durch die Fans zum Lift laufen. Als die Bilder auf der Video-Leinwand gezeigt wurden, ging ein Raunen durch die Zuschauer und Jubel brandete auf. Ich habe mich gefühlt wie ein Gladiator im alten Rom. Das war ein unglaublicher Moment, den ich nie vergessen werde. Das hat mich auch nochmal richtig angepeitscht. Irgendwie hat es am Ende knapp gereicht. Ich bin extrem dankbar, dass ich als Erster den Grand Slam holen durfte. Es war die 50. Tournee, ich gewinne den Grand Slam - dieses Drehbuch hätte ich mir nicht vorstellen können.

Welches Gefühl hat überwogen, als die Eins zum vierten Mal aufleuchtete?

Hannawald: Stolz. Ich habe direkt danach sofort an den kleinen Sven denken müssen, der den Kindheitstraum von einem Tournee-Sieg hatte und der ihn sich nach vielen Jahren jetzt tatsächlich erfüllt hat. Irgendwie hat sich in diesem Moment alles gelöst. Das war sehr bewegend für mich. Ich war aber auch tot. Ich hatte um 20 Uhr eine Schalte in die Tagesschau, da habe ich mich gefühlt, als ob ich über 100 Kilo wiegen würde. Da ging gar nichts mehr. Aber gleichzeitig habe ich auch so ein Lächeln der Freude in mir gespürt.

Der Hype, der um Ihre Person entstanden ist, war phasenweise verrückt. RTL hat Ihnen sogar einen Wäschekorb mit Post von Frauen präsentiert, die Sie gerne kennenlernen wollten. Wie sind Sie damit klargekommen?

Hannawald: Der Wäschekorb war witzig. Ich habe das aber ganz gelassen verfolgt. Ich fand es interessant, was sich RTL alles ausdenkt für mich. Für mich war es sehr gut, dass ich nicht direkt am Anfang meiner Karriere nach oben geschossen bin. Ich war in meiner Entwicklung weit genug, dass nie die Gefahr bestand, dass ich abhebe. Ich konnte das alles gut einordnen. Ich bin immer ich geblieben - diese Bodenständigkeit war mir auch wichtig.

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