Angriff der Abgeschriebenen

Von Benedikt Treuer
Deutschland ist nicht chancenlos - im Gegenteil: Schafft der DSV das angepeilte Medaillen-Triple?
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Herren im Check: Marcel, nimm dich vor Felix in Acht!

Marcel Hirscher: Mister Nonplusultra. Hirscher ist der König im Skizirkus der Männer. Der Unantastbare des Gesamt-Weltcups wird aller Voraussicht nach seine vierte Kristallkugel in Folge gewinnen und damit zum alleinigen Rekordhalter aufsteigen.

Daran verschwendet der Vollprofi dieser Tage keine Gedanken. Der Fokus liegt auf Beaver Creek, dem Ort, an dem er noch etwas gutzumachen hat: Beim ersten Riesenslalom der aktuellen Saison belegte der Österreicher dort nämlich "nur" Platz drei - ein Umstand, den er jetzt wieder mit Gold wieder geraderücken will.

Doch für Fans und den gesamten Skisport könnte Hirscher in den USA zusätzlich mit einem Novum überraschen: Startet der Slalom-Spezialist, der sonst aus Prinzip an keinem Abfahrts- und Super-G-Rennen teilnimmt, bald etwa auch in den Speed-Disziplinen? Nach seiner Ankunft am Montag absolvierte er Trainingsfahrten mit Abfahrtskiern, um sich auf einen angestrebten Start in der Kombination vorzubereiten.

"Die Kombi wäre schon ein spannendes Projekt. Warten wir einmal ab, wie wohl ich mich auf der Abfahrt fühle", sagte Hirscher dazu aus. Vor wenigen Wochen hatte er im SPOX-Interview noch ausgesagt, auf Abfahrtslatten ein "Hosenscheißer" zu sein. Der König der Technik will sich wohl endgültig unsterblich machen.

Fazit: In Slalom und Riesenslalom führt kein Weg an Hirscher vorbei. Gold ist hier eingeplant, jedoch wird er sich mit den Deutschen und Ted Ligety starken Gegnern gegenübersehen. Und auch die Form berunruhigt das ganze Land. In Schladming reichte es vor Heimkulisse nur zu Rang 14. Vor dem Weltcup in Zagreb sorgte Hirscher zudem für große Diskussionen als er öffentlich verkündete, dass das ÖSV-Team weit von der Stärke seiner Anfangsjahre entfernt sei. Nervenspiel? Spannend ist auch die Frage, ob er tatsächlich in der Kombination startet und wie er sich in der Abfahrt schlägt. Er ist trotz aller Diskussionen in seiner Heimat der Top-Favorit.

Felix Neureuther: Es könnte die WM des Felix Neureuther werden - und so ziemlich jeder würde ihm das auch gönnen. Nach viel Pech in der Vergangenheit fährt der 30-Jährige eine starke und vor allem konstante Slalom-Saison. Dabei stand er schon zweimal ganz oben.

Das Manko war schon immer, dass der begnadete Neureuther die Disziplinen mit dem noch begnadeteren Hirscher teilt. Dass sein Kumpel aber nicht unschlagbar ist, bewies der Deutsche nicht nur in dieser Saison.

Neureuther tritt in diesem Jahr mit mehr Selbstvertrauen auf. Flüchtigkeitsfehler im Fahrverhalten passierten ihm im gesamten letzten Jahr so gut wie kaum. Sicher profitierte der deutsche Star auch von der Rückkehr Mathias Bertholds auf den Cheftrainer-Posten. Der hatte vor Kurzem im SPOX-Interview angekündigt, Neureuther noch besser machen zu wollen: "Es gibt noch Luft nach oben. Das weiß auch ein Felix Neureuther. Wir geben den Athleten entsprechende Möglichkeiten an die Hand, um Fehler zu beseitigen." Die Arbeit scheint ihre Früchte zu tragen.

Gerade nach der Olympia-Enttäuschung in Sotschi geht Neureuther mit einer Jetzt-erst-recht-Mentalität an den Start: "Natürlich war es Mist, wie es bei Olympia gelaufen ist. Bei der WM geht es nur um die ersten drei Plätze, alles andere zählt nicht. Da musst du alles riskieren. Und das werde ich", so die deutsche Hoffnung gegenüber der "Bild".

Fazit: Neureuther hat im letzten Jahr dazugelernt. Mit Druck und Stress, denen er sich nach eigenen Aussagen in der Vergangenheit oftmals ergab, geht er mittlerweile viel entspannter um und bleibt so fokussiert auf das Wesentliche. Die Hoffnung ist in diesem Jahr berechtigt, dass Neureuther Hirscher die Stirn bietet und sogar mehr als "nur" eine Medaille holt - im Slalom auf jeden Fall, im Riesenslalom mit Außenseiterchancen.

Kjetil Jansrud: Der Profiteur in der Königsdiziplin. Da die Top-Fahrer Hirscher, Neureuther und Ligety keine Speed-Experten sind, konnte sich der Norweger die Abfahrt zu seinem Eigen machen. In dieser Saison rast Kjetil Jansrud fast nach Belieben auf die ersten Plätze der schnellsten Ski-Disziplin und ist deshalb auch in Beaver Creek der favorisierte Anwärter auf Gold.

Zudem liegt Jansrud die "Birds-of-Prey"-Strecke in Beaver Creek: Schon zu Saisonbeginn demontierte er die Konkurrenz mit einem Vorsprung von fast sechs Zehnteln in der Abfahrt. Hinzu kommt, dass der amtierende Super-G-Olympiasieger auch in diesem Wettbewerb seine Sache 2014/15 sehr ordentlich macht und dort ebenfalls Führender im Weltcup ist.

Fazit: Jansrud ist der Mann für die schnellen Wettbewerbe. Hält er seine starke Form der letzten Wochen, wird er in der Abfahrt kaum zu schlagen sein. Verliert der Norweger jedoch etwas von seiner Konstanz, könnten ihm der Italiener Dominik Paris oder die Österreicher Reichelt und Mayer gefährlich werden. Reichelt hatte schon zu Saisonbeginn im Super-G in Beaver Creek vor Jansrud gesiegt. Der Norweger dürfte also gewarnt sein.

Fritz Dopfer: Deutschlands Co-Pilot neben Neureuther, wenn man so will. Zwar hat Dopfer noch keinen Weltcup gewinnen können, jedoch fehlten ihm in Adelboden Anfang Januar dazu gerade einmal zwei Hundertstel.

Drei zweite Plätze im Slalom, zwei im Riesenslalom - der Oberbayer ist berechtigerweise einer derjenigen Verfolger, denen viel zuzutrauen ist. Bei Olympia war er als Vierter nur denkbar knapp an einer Medaille vorbeigerast.

"Drei Podestplatzierungen", betonte Wolfgang Maier in den letzten Tagen immer wieder, seien das Ziel des deutschen Ski-Teams. Damit das in Erfüllung geht, ist wohl auch Dopfers Erfolg gefragt. "Die Ansprüche steigen", stellte Dopfer letzte Woche beim Nachtslalom in Schladming fest. Dass ihn das aber arg beschäftigt, ist nicht zu erwarten - Dopfer verfügt über die nötige Nervenstärke.

Fazit: Dopfers Vorteil: Trotz seiner starken Saison sprechen in der Öffentlichkeit wenige über ihn, Hirscher und Neureuther sind die Stars der Szene. Der 27-Jährige kann also wie immer nach vorne preschen. In beiden Slalom-Disziplinen ist unsere Nummer zwei gut aufgestellt und bringt alles für Edelmetall mit. Dass die Fernsehmoderatoren am Ende "Dopfeeeeeer" schreien - warum nicht?

Der spannende Rest: Hinter den Top-Fahrern tummeln sich gleich mehrere Namen, die bei dieser WM Podiums-Kandidaten sind und sogar für die eine oder andere ganz große Überraschung sorgen könnten.

Neben Alexis Pinturault, der in den technischen sowie in der kombinierten Disziplin zu den starken Verfolgern gehört, sollte man in den Speed-Wettbewerben vor allem die Österreicher um Matthias Mayer und Hannes Reichelt sowie die zuletzt stark aufstrebenden Dominik Paris und Guillermo Fayed auf der Rechnung haben. Auch den Lokalmatadoren sind Leistungssprünge zuzutrauen, wobei Steven Nyman in den schnellen Läufen und Altstar Ted Ligety im Riesenslalom wohl die besten Aussichten auf Edelmetall haben.

Für den DSV starten neben den Medaillenhoffnungen Neureuther und Dopfer noch Klaus Brandner, Josef Ferstl, Stefan Luitz, Andreas Sander, Philipp Schmid und Linus Strasser. Luitz wäre im Riesenslalom sogar ein Mann fürs Podest, hätte er sich in Are im Dezember nicht am Oberschenkel verletzt. Durch die Zwangspause wird das WM-Rennen sein erstes nach mehreren Wochen - eine Wundertüte mit Überraschungspotenzial. Strasser (starker 5. in Schladming) und Ferstl könnten im Idealfall auch unter die Top 10 fahren.

Mannschaftswettbewerb: Neben den Einzeldisziplinen gibt es auch noch den Mannschaftswettbewerb. Dort ist Deutschland bei den Männern gut aufgestellt. Im Team der Damen ist Veronique Hronek die zweite Starterin neben Rebensburg. Bei den Männern ist neben Dopfer und Neureuther auch Luitz nominiert.

Fazit: Angesichts der Tatsache, dass Hronek in dieser Saison noch kein Top-Ergebnis gelang und Luitz zuletzt verletzt fehlte, hält sich Deutschlands Medailleneuphorie hier aber in Grenzen.

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