"Es zählt nur der Platz ganz oben"

Von Interview: Christoph Köckeis
Alexander Pointner dirigiert seit neun Jahren erfolgreich die österreichischen Skispringer
© Getty

Er formte das übermächtigste Skisprung-Team aller Zeiten. Unter seiner Regie fliegen Österreichs Adler von Olympia-Gold zu WM-Titel. Von Gesamtweltcup zu Tournee-Erfolg. Und das seit 2004. Exklusiv bei SPOX spricht Alexander Pointner über weihnachtliche Erholung, die neue deutsche Welle, den ÖSV-Feldzug und Feinde im eigenen Bett

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SPOX: Herr Pointner, Sie verbrachten die besinnliche Zeit im Kreise ihrer Liebsten. Inwiefern konnten Sie Weihnachten in Anbetracht der Herausforderungen überhaupt genießen?

Alexander Pointner: Ich muss gestehen, früher fiel es mir schwer. Als neuer Trainer im Geschäft kann man vor solchen Höhepunkten wie der Tournee nicht abschalten. Mittlerweile bin ich neun Jahre als Cheftrainer dabei. Es ist sehr wichtig, sowohl für Athleten als auch uns Betreuer, die freie Zeit effektiv zu nützen, sich Ruhe zu verordnen. Bei Großereignissen sollte man hellwach sein, da gilt es richtige Entscheidungen zu treffen. Regeneration kann man lernen, genauso strukturiert zu arbeiten. Deshalb tankten wir in diesen Tagen nochmals richtig Energie. Sodass sie zur Verfügung steht, wenn es darauf ankommt.

"Goldis" Favoritencheck: "Mein Gefühl sagt Freund"

SPOX: Dennoch liefen bestimmt Videos im Wohnzimmer der Familie Pointner?

Pointner: Wir hatten am 21. Dezember ein Training auf dem Bergisel, danach gab es kurze Analysen. Mehr nicht. Jetzt noch große Korrekturen vornehmen zu müssen, wäre schwierig. Gott sei Dank ist dies nicht nötig. Jeder befindet sich in sehr guter Verfassung, besitzt das Rüstzeug für die Tournee. Es geht vielmehr darum, frisch und frei auf Bewegungsmuster, die man sich über den Sommer aneignet, zugreifen zu können.

Gregor Schlierenzauer gewinnt die Qualifikation

SPOX: Mit Wolfgang Loitzl, Andreas Kofler, Thomas Morgenstern sowie Gregor Schlierenzauer stellt Österreich die letzten vier Tourneesieger. Provokant gefragt: Welcher ihrer Schützlinge schafft das Double?

Pointner: Jeder der Vier hat das Können. Sie befinden sich in guter Form, ich traue es ihnen absolut zu. Sie sind allesamt bestens vorbereitet, jeder hofft darauf. Nur keiner erwartet es. Daher können sie gelassener in den ersten Wettkampf starten. Es herrscht ein Gefühl der Vorfreude. Wir haben alles gewonnen, müssen dem Erfolg nicht nachlaufen.

SPOX: Deutschland sehnt indes den ersten Tournee-Erfolg seit Sven Hannawalds Grand Slam 2002 herbei. Die Saison lässt Hoffen. Wie unerwartet kam die Hochkonjunktur des DSV?

Pointner: Mich überraschte mehr, dass es derart lange dauerte, bis sie wieder in dieser Position sind. Nach knapp zehn Jahren spielen sie wieder im Konzert der Großen mit. Für den Skisprungsport ist es ungemein wichtig, dass die Deutschen konkurrenzfähig sind. Der gesamte Zirkus kann sich ob dieser durchgewürfelten Mannschaft glücklich schätzen. Severin Freund zählt zu den Topfavoriten. Er ist lange genug dabei, absolut belastbar. Außerdem hat Richard Freitag bewiesen, dass er ganz oben stehen kann. Dazu kommen frisch Gefangene: Andreas Wellinger, Karl Geiger oder Danny Queck. Und Routiniers wie Michael Neumayer. Er weiß, wie es sich anfühlt, in der Tournee-Gesamtwertung auf dem Podest (Anm.: Dritter 2007/08) zu stehen. Wenn das in diesen mageren Jahren gelingt, erwartet sich die Öffentlichkeit bei so einer Mannschaft wesentlich mehr.

SPOX: Auf der jungen Garde lastet ein gigantischer Druck. Sind sie dem gewachsen?

Pointner: Die deutsche Mannschaft ist jetzt in der gleichen Situation wie wir. Es zählt nur der Platz ganz oben. Ob sie mit der Situation zurecht kommt, wird interessant zu beobachten. Öffentlichkeit, Partner und Sponsoren erhoffen sich natürlich Großtaten von ihren Sportlern. Einen großen Profiteur haben wir jedenfalls: Die Fans. Wir dürfen uns auf volle Stadien freuen.

SPOX: Deutschland scheint nach Jahren der Demütigung die ÖSV-Phalanx wieder zu gefährden. Eine Rivalität, die Spannung garantiert.

Pointner: Auf jeden Fall! Wir dürfen aber nicht überheblich sein, die anderen Nationen außer Acht lassen. Die Norweger präsentieren sich angeführt von Anders Jacobsen und Anders Bardal glänzend. Es gibt Routiniers, die großartige Erfolge feierten. Wie Simon Ammann. Selbst wenn es beim Heim-Weltcup in Engelberg weniger erfreulich lief, kann er in Oberstdorf durchaus Fuß fassen. Das Potenzial dazu hat ebenso Kamil Stoch. Das gesamte polnische Aufgebot tat sich anfangs sehr schwer, legte daraufhin eine Pause ein. Zuletzt traten sie wiedererstarkt auf.

SPOX: Ihr einstiger Zimmerkollege zu aktiven Zeiten könnte nun zum größten Widersacher werden. Welchen Anteil hat Werner Schuster an der deutschen Auferstehung?

Pointner: Richtig (lacht). Werner Schuster, Alexander Stöckl, der Cheftrainer in Norwegen ist, und ich durften die gleiche Ausbildung genießen. In Österreich steckt im Skisprung viel Kultur, es hat einen sehr hohen Stellenwert. Persönlichkeiten geben ihre Erfahrung weiter, stellen sich nach ihrer Karriere dem Sport zur Verfügung. Sie können begeistern. Werner konnte das auf Deutschland transferieren.

SPOX: Wie viel Rot-weiß-rot steckt im DSV-System?

Pointner: Im strukturellen Bereich arbeitet er ähnlich wie in Österreich. Er konnte viele Ressourcen mitnehmen. Daran wurde höchst professionell und mit zahlungskräftigen Sponsoren gefeilt. So ist die deutsche Mannschaft mit vielen österreichischen Spezialisten so aufgestellt, dass sie langfristig vorne mitspringen kann. Wir mussten reagieren, die Abgewanderten ersetzen. Es war eine Chance, die wir wahrgenommen haben. Wir bildeten unsere Trainer in einzelnen Bereichen selbst aus. Etwa in der Trainingssteuerung und Diagnostik. So bleibt das Know-How in unseren Reihen.

SPOX: Was zeichnet Schuster charakterlich aus?

Pointner: Er hat ähnliche Eigenschaften wie ich, verfügt über ein sehr breit gefächertes Wissen. Er kennt den Skisprungsport nicht nur theoretisch, er lebt ihn auch zu hundert Prozent und setzt sich für seine Athleten ein. Jetzt sieht er sich mit einer großen Erwartungshaltung konfrontiert. Rhetorische Meisterleistungen, um tiefzustapeln, genügen da nicht. Jetzt zählt es. Er und sein Team müssen sich dem Druck stellen, ihre Qualitäten ausspielen. Das ist die Würze bei dieser Tournee.

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