Pechstein stellt Selbstanzeige

SID
Claudia Pechsteins Doping-Werte sind ein halbes Jahr nach Ablauf ihre Sperre wieder erhöht
© Getty

Wegen eines möglichen Doping-Vergehens wird sich Claudia Pechstein selbst anzeigen. Mit diesem Manöver will die Berlinerin erwirken, dass ihr Dopingfall neu aufgerollt wird.

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Claudia Pechstein schlägt im Kampf um ihren guten Ruf ein weiteres Kapitel auf und stößt in neue Dimensionen vor.

Ein halbes Jahr nach Ablauf ihrer Dopingsperre stellt die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin als erste Athletin überhaupt Selbstanzeige wegen eines möglichen eigenen Doping-Vergehens.

Das Ziel des taktischen Manövers der 39 Jahre alten Berlinerin ist klar: Die Adressaten der Selbstanzeige, die Anti-Doping-Weltagentur WADA, deren deutscher Ableger NADA, der Eislauf-Weltverband ISU und die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG), sollen ihren Dopingfall neu aufrollen - und ihre Unschuld feststellen.

"Werte nach wie vor erhöht"

Pechstein hat mittlerweile von der ISU, die sie im Februar 2009 wegen erhöhter Blutwerte für zwei Jahre gesperrt hatte, die Ergebnisse ihrer jüngsten Bluttests erhalten. "Meine neuen offiziellen Werte liegen mir vor, und sie sind nach wie vor erhöht. Von daher werde ich nun Selbstanzeige einreichen", sagte Pechstein.

Nach Ablauf ihrer Sperre war Pechstein wieder bei Weltcups gelaufen und auch getestet worden. Ebenso bei der Einzelstrecken-WM im März in Inzell, wo sie ihr Comeback mit dritten Plätzen über 5000 Meter und in der Team-Verfolgung gekrönt hatte.

ISU-Grenzwert überschritten

In Inzell ergaben nach Pechsteins Angaben drei von vier Tests überhöhte Retikulozyten-Werte, die in einem Fall sogar deutlich über dem zulässigen ISU-Grenzwert von 2,4 Prozent lagen.

Seit ihrem Comeback haben die Tests laut Pechstein einen Mittelwert von knapp dieser Größe erreicht. Eine Reaktion der ISU gab es daraufhin nicht. Weitere Details will Pechstein am Donnerstag auf ihrer Website bekannt geben.

Nun erhöht die erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin den Druck auf die an ihrem Dopingfall beteiligten Parteien, auch um ein weiteres wichtiges Fernziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Pechstein hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass am Ende ihres langen Kampfes eine Schadenersatzklage gegen die ISU ("Sie hat mein Leben zerstört") stehen soll. Die Erfolgschancen einer solchen Klage sind mit einem Freispruch im zweiten Anlauf um ein Vielfaches höher.

Vererbte Anomalie als Ursache

Pechstein glaubt, mittlerweile bewiesen zu haben, dass die erhöhten Werte ihrer frischen roten Blutkörperchen (Retikulozyten) das Ergebnis einer vererbten Anomalie sind.

Derselben Ansicht sind zahlreiche international renommierte Hämatologen, darunter der italienische ISU-Gutachter Alberto Zanella. Die ISU, die Pechstein nur anhand des indirekten Dopingnachweises sperrte, hatte in ihrem Urteil eine andere Ursache als Doping ausgeschlossen.

Dem neuen Vorstoß Pechsteins kommentiert der Weltverband zurückhaltend. "Die neuen Werte haben keinen Einfluss auf in der Vergangenheit gefällte Entscheidungen", sagte ISU-Sprecherin Selina Vanier der "Sport Bild".

Wahrscheinlich wird sich die ISU in ihrer Reaktion auf die Selbstanzeige Pechsteins auf die neuen Verfahrensrichtlinien der WADA zum Umgang mit indirekten Doping-Nachweisen berufen.

Faktenlage aktuell nicht mehr ausreichend

Die "WADA-Guidelines" traten erst kurz nach dem Urteil gegen die Berlinerin in Kraft und erachten eine Faktenlage wie die im Fall Pechstein als nicht mehr ausreichend für eine Anklage.

"Es ist ihr gutes Recht, diesen Weg zu beschreiten", sagte WADA-Vizepräsident Arne Ljungqvist beim internationalen Doping-Symposium in Freiburg zur Selbstanzeige. Über Pechsteins Erfolgsaussichten wollte der 80 Jahre alte Schwede nicht spekulieren.

Die Gefahr, dass durch die weitere Vorgehensweise Pechsteins das noch junge indirekte Doping-Nachweisverfahren der WADA Schaden nehmen könnte, sieht der Vorsitzende der Medizinischen Kommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nicht und argumentiert in dieselbe Richtung, wie es wohl auch die ISU tun wird.

Neue Richtlinien installiert

"Dieser Fall stellt für den indirekten Nachweis keine Bedrohung dar. Wir haben mittlerweile die Richtlinien zur Führung des indirekten Nachweises installiert, die im Fall Pechstein noch keine Gültigkeit besaßen", sagte Ljungqvist.

NADA-Vorstandsmitglied Lars Mortsiefer sagte, dass die NADA der Selbstanzeige "natürlich genauestens auf den Grund" gehen werde.

Pechstein bereitet sich derzeit auf die neue Saison vor, in der sie das volle Programm bestreiten will. Die Olympiasiegerin von Lillehammer, Nagano, Salt Lake City und Turin, die im Sommer wenig erfolgreich bei den deutschen Bahnrad-Meisterschaften gestartet war, ist fest entschlossen, bei den Winterspielen 2014 in Sotschi auf dem Eis zu stehen.

Die sogenannte Osaka-Regel des IOC verbietet es ihr als einer offiziell des Doping überführten Athletin bislang noch, an den Spielen teilzunehmen. Ihrer Meinung nach verdient sie eine Ausnahmegenehmigung.

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