"Martin Schmitt kommt nicht zurück"

Von Interview: Daniel Börlein
Alexander, Herr, Skispringen
© Getty

München - Bis zu den Olympischen Winterspielen 2006 war Alexander Herr mittendrin. Nach Turin war er dann jedoch außen vor. Aus dem Kader geworfen, nachdem er Bundestrainer Peter Rohwein vor laufenden Kameras als Lachnummer titulierte und ihm Inkompetenz vorwarf.

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Seitdem hat der 29-Jährige kein Springen mehr bestritten. "Natürlich habe ich auch meinen Teil dazu beigetragen", sagt Herr rückblickend. Ganz weggesteckt hat er seine Demission aber noch nicht.

Mittlerweile arbeitet Herr in beratender Funktion in einer Forschungsgruppe und studiert nebenbei Gesundheits-Management. Und er verfolgt natürlich noch immer Skispringen, vor allem sein ehemaliges Team.

Im Interview mit SPOX.com erklärt Herr, warum eine Rückkehr ins deutsche Team scheiterte und von wem er besonders enttäuscht ist. Zudem spricht er über Martin Schmitt und die Gründe für die deutsche Skisprungmisere.

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SPOX: Alexander Herr, wie sehr schmerzt es Sie noch, vor dem Fernseher zu sitzen und beim Skispringen zusehen zu müssen, anstatt selbst zu springen?

Herr: Es ist immer ein weinendes und ein lachendes Auge dabei. Auf der einen Seite ist man natürlich froh, dass es vorbei ist und ich mit einigen Leuten nichts mehr zu tun habe, denn es ist ja eine Menge vorgefallen. Trotz allem war es eine wunderschöne Sache. Das Privileg durch die Luft zu fliegen, haben ja relativ wenige. Das fehlt mir jetzt schon bisschen. Auch der Zuspruch der Zuschauer war richtig schön.

SPOX: Mit Skispringen haben Sie gar nichts mehr zu tun?

Herr: Nein. Und ein Rücktritt vom Rücktritt ist nicht geplant.

SPOX: Zwischenzeitlich gab es mal Kontakt mit dem schwedischen und dem polnischen Verband. Was ist daraus geworden?

Herr: Ich habe dort keine Staatsbürgerschaft bekommen, obwohl es zwischenzeitlich ganz gut aussah. Für meinen Rücktritt war das allerdings letztlich nicht der ausschlaggebende Punkt.

SPOX: Was dann?

Herr: Ich hätte auch in Deutschland noch mal die Möglichkeit gehabt. Zumindest theoretisch. Ich habe mit Thomas Pfüller und Rudi Tusch (DSV-Sportdirektor und Leiter Skisprung, Anm. d. Red.) ein Gespräch geführt, in dem man versucht hat, eine Lösung zu finden. Da hieß es dann auch: Ich kann mich zurückmelden.

SPOX: Woran ist ihre Rückkehr dann letztlich gescheitert?

Herr: Die Chance wäre in der Praxis relativ gering gewesen, da war ich realistisch genug. Ich war einfach immer einer, der nicht gern gesehen war. Und nach Turin erst recht nicht. Wenn ich dann wieder dabei gewesen wäre, hätte man auf anderem Wege beeinflussen können, dass ich die Füße nicht wieder auf den Boden bekomme. Diesem Risiko wollte ich mich nicht mehr aussetzen. Da drehen dann andere Leute an Rädern und ich kann nichts mehr beeinflussen. Da ist mir dann auch die Zeit und das Herzblut, das ich ins Springen setze, zu schade. Und ich werde auf anderen Wegen vernichtet.

SPOX: Mit "andere Leute" meinen Sie Bundestrainer Peter Rohwein?

Herr: Ja, zum Beispiel. Oder dass bei internen Wettkämpfen so vorgegangen worden wäre, dass ich letztlich keine Chancen habe. Wenn da zum Beispiel jemand absichtlich zum falschen Zeitpunkt auf die Ampel drückt und man hat grün, dann hat man auch bei guter Form relativ wenige Chancen. Oder auch im Materialbereich: Wenn jemand etwas Böses will, dann hat man natürlich schlechte Karten.

SPOX: Sie haben mit Pfüller und Tusch gesprochen. Gibt's sonst noch Kontakt zum DSV, zu den Aktiven?

Herr: Gar nicht.

SPOX: Und warum?

Herr: Im letzten Sommer hat mich Michael Uhrmann mal angerufen. Da haben wir kurz nochmal über alles geredet. Das war ganz okay. Dann habe ich aber im letzten Jahr im November nochmal ein paar Sachen auf den Tisch gelegt. Seither ist es, naja sagen wir, relativ ruhig. Die Beteiligten haben sich damals recht negativ über mich geäußert, obwohl ich keine Namen, sondern nur Fakten genannt habe. Als ich dann mit dem DSV über die Rückkehr gesprochen habe, haben sich die Athleten gegen mich ausgesprochen.

SPOX: Waren Sie enttäuscht darüber? Schließlich sind Sie jahrelang Ihre Kollegen, vielleicht auch Freunde gewesen.

Herr: Enttäuscht weniger. Ich habe mit keiner anderen Reaktion gerechnet. Gerade Leute wie Martin Schmitt, den ich wirklich schon lange kenne, und der an der ganzen Geschichte ja auch maßgeblich beteiligt war, als es bei Olympia soweit kam, hat sich auch gegen mich ausgesprochen. Natürlich habe ich auch meinen Teil beigetragen, das will ich gar nicht abstreiten. Aber wenn mir so etwas passiert wäre, dass die Karriere eines Teamkollegen so beendet wird, dann hätte ich schon ein schlechtes Gewissen. Ich habe allerdings genügend Freunde, vor allem ehrliche Freunde, und deshalb ist es kein Problem.

SPOX: Aktuell läuft es nicht besonders gut für das deutsche Team.

Herr: Wenn man das jetzt sieht, denkt man schon: Hoppla! Man hofft, dass nun einige Leute vielleicht aufwachen, oder dass erkannt wird, dass meine Kritik nicht so unberechtigt war.

SPOX: Wer müsste denn aufwachen?

Herr: Sehr viele.

SPOX: In der Verbandsspitze?

Herr: Den Präsidenten oder die Funktionärsebene kann man nicht kritisieren, weil die ja am Tagesgeschäft nicht beteiligt sind. Allerdings wurden dort die Positionen besetzt. Einzelne Personen herauszuziehen, ist aber sehr schwierig. Das ganze System passt nicht.

SPOX: Was meinen Sie genau?

Herr: Das deutsche Sportsystem ist ja auf einem sehr hohen Level.

SPOX: Aber?

Herr: Ich habe ja schon häufiger gesagt, dass im Skisprung sehr unprofessionell gearbeitet wird. Das habe ich früher auch intern einige Male kritisiert.

SPOX: Was meinen sie mit unprofessionell?

Herr: Dass man sich in bestimmten Bereichen einfach keine kompetenten Leute mit dazuholt. Dass man lieber auf vermeintliche Experten vertraut, die allerdings keine sind.

SPOX: Wenn es nicht läuft, gerät im Normalfall der Trainer schnell in die Kritik. Beim DSV scheint Peter Rohwein allerdings die volle Rückendeckung zu genießen.

Herr: Er ist eigentlich der einzige, der Rückendeckung erhält. Die Athleten fallen schneller hinten runter. Okay, die Springer bringen die Leistung, aber letztlich muss man sich fragen, warum die beiden Verletzten, Michael Uhrmann und Michael Neumayer, jetzt schon wieder die Besten sind. Die haben ja am wenigsten mit dem Team trainiert. Da kann doch etwas nicht passen.

SPOX: Martin Schmitt müht sich seit Jahren um eine Rückkehr in die Weltspitze. Schafft er es nochmal?

Herr: Ich traue es ihm nicht mehr zu. Ich habe erst gedacht, dass er sich nochmal entwickelt. Aber ich glaube nicht, dass er zurückkommt.

SPOX: Aus dem Nachwuchs kommt überhaupt nichts nach. Woran liegt das?

Herr: Da liegt vieles auch am mentalen Bereich. Die eigene Leistung wird nicht realistisch eingeschätzt. Im letzten Jahr waren drei Athleten bei der WM - ohne sportliche Qualifikation. Die denken dann, sie sind schon die Heroes. Da klaffen eigene Wahrnehmung und Realität weit auseinander.