DTB-Damentennis-Chefin Barbara Rittner im Interview: "Ich bin gottfroh, nicht so aufgewachsen zu sein"

Barbara Rittner spricht im Interview über das Corona-Jahr 2020.
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Wie blicken Sie auf die Deutschen Hallenmeisterschaften, die im Dezember über die Bühne gingen und aus Sicht der Nachwuchsspielerinnen sehr erfolgreich verliefen?

Rittner: Sportlich war es natürlich toll zu sehen, wie die jungen Spielerinnen abgeschnitten haben, auch wenn wir die Kirche im Dorf lassen und erwähnen müssen, dass die besser Platzierten ja alle nicht dabei waren. Nichtsdestotrotz war es eine gute Leistung und ein schöner Erfolg, der sie das Jahr hoffentlich glücklich und motiviert abschließen lässt. Aber der Erfolg hat uns auch nicht überrascht. Wir wissen, wie gut die Spielerinnen sind.

Den Titel holte sich Noma Noha Akugue im Finale gegen Nastasja Schunk. 17 Jahre, Linkshänderin, enorme Power: Wenn man Akugue so spielen sieht, sieht man enormes Potenzial.

Rittner: Noma ist erst kurz vor dem Turnier 17 geworden, das muss man dazu sagen. Sie ist fast Jahrgang 2004. Noma hat ein unglaubliches Talent, die Bälle zu beschleunigen. Sie ist eine tolle Athletin und hat im Corona-Jahr 2020 gelernt, ernsthafter, konzentrierter und fokussierter an sich zu arbeiten. Für sie war das Jahr so gesehen gar nicht so schlecht, wobei ihr auch die Matches sehr gefehlt haben. Noma ist eine Zockerin, die immer um Punkte spielen will. Ich bin sehr gespannt zu sehen, wie ihre weitere Entwicklung verläuft, das gilt aber für einige andere auch.

Alexandra Vecic ist der Name, der Tennisfans mittlerweile schon geläufig ist. Vecic wird im Januar 19 und liegt in der Juniorinnen-Weltrangliste auf Rang acht. Wie ist der Plan für Ihre nächsten Schritte Richtung WTA-Tour?

Rittner: Bei Alex hat uns Corona wirklich einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Plan war, dass sie schon längst Schritte Richtung Damen-Tour macht und da ein kleineres Turnier nach dem anderen spielt, aber das war nicht möglich. Generell war 2020 natürlich dennoch ein Top-Jahr für sie mit dem Juniorinnen-Halbfinale bei den Australian Open, als sie auf dem Weg dorthin mit Elsa Jacquemot die Nummer eins der Welt schlug. In Paris hat sie, ohne gut zu spielen, das Viertelfinale erreicht, das sagt auch einiges. Alex ist einfach eine Sportlerin, wie man sie sich wünscht. So gewissenhaft, so fleißig, mit so viel Feuer, dass man sie eher immer stoppen muss. Sie geht da sehr in Richtung Andrea Petkovic und muss lernen, sich nicht selbst im Weg zu stehen, indem sie noch eine Stunde und noch eine Stunde trainiert. Sie muss sich die nötigen Regenerationsphasen gönnen. Natürlich zahlt sich diese Einstellung auch aus für sie, aber sie hat auch ihren Preis. Sie muss noch die nötige Balance finden, dann wird sie ihren Weg gehen.

Die Polin Iga Swiatek, die sensationell die French Open gewann, ist nur sieben Monate älter als Vecic. Muss man manchmal aufpassen, dass sich die jungen Spielerinnen nicht zu viel Druck machen, auch so früh den großen Durchbruch zu schaffen?

Rittner: Wir haben den großen Vorteil, dass wir mehrere Spielerinnen haben, auf deren Schultern sich der Druck ein wenig verteilen kann. Wenn es nur eine geben würde, wäre der Fokus auf sie extrem. Aber natürlich machen sich die Mädchen alle selbst mehr als genug Druck. Jede will erfolgreich sein. Jede will die Erste sein, die nach vorne durchstartet. Wir können ihnen nur immer wieder signalisieren, dass sie alle Zeit der Welt haben. Du musst nicht mit 18 oder 19 sofort nach oben durchschießen. Manche sind mit 22 soweit, manche mit 25, manche vielleicht sogar erst mit 28. Wichtig ist, dass du jeden Tag konstant und diszipliniert arbeitest, damit du dir auch später keinen Vorwurf machen musst. Wenn ich alles tue, was in meiner Macht steht, dann ist es meistens nur eine Frage der Zeit, bis ich belohnt werde. Und dann kann es mir auch egal sein, was andere von außen vielleicht sagen.

Barbara Rittner mit Angie Kerber.
© imago images / Pressefoto Baumann krber
Barbara Rittner mit Angie Kerber.

Rittner über Kerber und die aufstrebenden Stars auf der Tour

Es gibt unglaublich viele extrem talentierte junge Damen, die schon in den Top 100 stehen. Neben Swiatek sind das vor allem Bianca Andreescu, Dayana Yastremska, Amanda Anisimova, Leyla Fernandez und natürlich die erst 16-jährige Coco Gauff. Ziehen Sie diese Spielerinnen auch mal als Vorbild heran?

Rittner: Ja und nein. Auf der einen Seite darf man unsere Mädels nicht mit den genannten vergleichen, weil diese viel früher voll auf die Karte Tennis gesetzt und viel intensiver Tennis gespielt haben. Unser Weg in Deutschland beinhaltet nach wie vor eine gute Schulausbildung, das halte ich nach wie vor auch für richtig und wichtig. Man weiß ja nie, was passieren kann und dann hast du nichts in der Hinterhand. Deshalb müssen unsere Talente aber auch nicht mit 18 oder 19 so weit oben stehen wie die anderen, das müssen wir einkalkulieren. Dennoch kann man sich von diesen Spielerinnen etwas abschauen. Ich erinnere mich, wie ich 2019 einmal Anisimova in Mallorca beim Training beobachtet habe. Wie fokussiert und diszipliniert sie jeden Morgen ihr Programm durchgezogen hat, war sehr beeindruckend. Genauso wie eine Gauff mit 16 schon so konzentriert zur Sache geht. Das sind alles sehr gute Beispiele für harte Arbeit.

Bei den letzten 14 Grand Slams seit dem letzten Major-Titel für Serena Williams 2017 in Melbourne gab es bei den Damen zwölf unterschiedliche Siegerinnen. Naomi Osaka gewann dreimal, ansonsten gab es immer eine andere Siegerin. Wird dieser Trend anhalten?

Rittner: Ich glaube schon, dass es erstmal so bleibt. Natürlich hat Osaka das Zeug dazu, dauerhaft an der Spitze zu stehen und eine gewisse Dominanz auszuüben, das Gleiche gilt für Andreescu, aber trotzdem halte ich es nicht für sehr wahrscheinlich. Das hat auch entscheidend damit zu tun, dass die Spielerinnen von heute sich um so viele Dinge abseits des Courts kümmern. Sie kümmern sich um Mode, sie sind teilweise schon Werbeikonen - es prasselt extrem viel auf sie ein. Das Resultat ist, dass die Konstanz auf der Strecke bleibt. Das ist der Unterschied zu früheren Zeiten, in denen Graf, Navratilova, Seles oder Henin länger die Eins waren, weil sie nicht so abgelenkt und konzentrierter aufs Tennis waren. Das ist eine Generationenfrage, die bei den Herren genauso gilt. Thiem, Zverev, Sinner, Auger Aliassime haben alle mehr Ablenkung neben ihrem Tennisspiel, als Federer, Nadal und Djokovic jemals hatten.

Nur die Williams-Schwestern und die zurückgekehrte Kim Clijsters haben von den aktiven Spielerinnen mehr Grand Slams auf ihrem Konto als Angelique Kerber. Glauben Sie, dass Kerber noch einen vierten Triumph in sich hat?

Rittner: Das ist sehr schwer zu sagen. Ich kann mir vorstellen, dass Angie noch einmal sehr erfolgreich zurückkommt, es könnte aber auch schnell zu Ende gehen. Die Olympischen Spiele bedeuten ihr sehr viel, 2021 wird ein sehr spannendes Jahr für sie und ich glaube auch, dass sie körperlich auf einem guten Weg ist. Aber der Weg bis zu einem Grand-Slam-Titel ist nochmal viel schwieriger geworden. Es gibt so viele junge Spielerinnen, die von unten drücken und nach oben wollen. Dass Angie noch brennt, zeigt sich alleine schon daran, dass sie nicht zurückgetreten ist. Die Frage ist, wie lange sie sich Woche für Woche aufs Neue gegen diese ganzen Jungen behaupten will? Ich traue ihr absolut zu, dass sie noch große Erfolge feiern wird, aber wir müssen abwarten, wie es sich 2021 entwickelt.

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