Tennis - Alexander Zverev vor den ATP Finals: Balanceakt in der Weltklasse

Von Jannik Schneider
Alexander Zverev ist Deutschlands Nummer eins im Tennis.
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Alexander Zverev startet am Montag bei den ATP Finals als Titelverteidiger gegen Rafael Nadal (21 Uhr im LIVETICKER). Dass sich die deutsche Nummer eins überhaupt für das Jahresendturnier der besten acht Spieler der Welt qualifiziert hat, ist nach einem Jahr voller Probleme ein Erfolg. Am Ort seines bisher größten Erfolgs wirkt Zverev ausbalancierter.

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Fokussiert, ausdauernd und mit hoher Intensität. Wer Alexander Zverev am Sonntagabend beobachtete, erhielt den Eindruck: Alles in Ordnung, die deutsche Nummer eins scheint gerüstet für den Kampf mit den anderen sieben besten Tennisspielern des Jahres 2019.

Zverevs Trainingspartner, der erst 16-jährige Däne Holger Vitus Nodskov Rune, seines Zeichens bereits jetzt die Nummer eins der Junioren-Weltrangliste, war nach der Einheit mit der deutschen Nummer eins mehr als angetan von der Qualität des Trainings, verglich die Eindrücke mit denen anderer Weltklassespieler in Übungseinheiten. "Zverev spielt intensiver, härter im Training - vor allem mit der Vorhand. Das gefällt mir besonders gut. So kann ich austesten, welches Tempo ich bereits mitgehen kann."

Klar ist: Trainingseinheiten per se - und vor allem die letzte richtige Einheit vor dem ersten Einzel bei den ATP Finals gegen Rafael Nadal - sollten nicht überbewertet werden. Als Fingerzeig auf Form und allgemeine Gefühlslage diente der Sonntagabend auf Trainingsplatz eins neben der o2 Arena im südlichen Londoner Stadtteil Greenwich aber allemal.

Zurückblickend auf die ein oder andere Einheit bei Turnieren im Frühjahr, verstärkt sich der aktuelle eher positive Eindruck nochmals. Als Gegenbeispiel dienen zwei, drei Trainings während des Mastersturniers in Miami Ende März, bei denen Zverev lustlos, teilweise abwesend wirkte und in denen man auf Kommunikation mit seinem Langzeitcoach, Papa Alexander Zverev senior, sowie seinem damals noch in Lohn und Brot stehenden Honorartrainer Ivan Lendl vergeblich wartete.

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Alexander Zverev mit vielen Nebenkriegsschauplätzen

Der Hauptgrund dafür: Zverev hatte 2019 einige Probleme zu lösen - sogenannte Nebenkriegsschauplätze - die mit Tennis auf dem Platz wenig bis gar nichts zu tun hatten. Sie waren teilweise eigenverschuldet. In Miami etwa machte Zverev - von außen betrachtet - relativ ohne Not einen anstehenden Rechtsstreit gegen seinen langjährigen Manager Patricio Apey öffentlich. Doch Zverev hatte offenbar nicht mit der öffentlichen Gegenwehr des gewieften Managers gerechnet, der ihm einst mehrere lukrative Sponsorendeals aushandelte. Zwischenzeitlich mündete das Ganze in eine mediale Schlammschlacht, die Zverev viele Monate belastete und bis zuletzt beschäftigte.

Nach Miami war der Rechtsstreit lange Zeit das bestimmende Thema. Zverev agierte auf den Plätzen dieser Welt mitunter kopflos und in der Organisation führungslos. Der 22-Jährige merkte in der dritten Saison seit seinem Durchbruch in die Weltklasse, dass es ohne Management nicht geht. Mittlerweile steht Zverev bei Team8 unter Vertrag, der Agentur von Roger Federer und dessen Manager Tony Godsick.

Schon im März verdichteten sich die Anzeichen, dass Team8 auch der Grund war, warum sich Zverev und Apey zerstritten hatten. Von einem Vorvertrag war damals die Rede. Andere Manager beschwerten sich hinter vorgehaltener Hand, dass Federer seinen großen Einfluss im Welttennis nutze, um Spieler für seine Agentur zu gewinnen. Bei einigen scheiterte das. Taylor Fritz, Frances Tiafoe und Nick Kyrgios - dessen Mutter Federer einst höchstpersönlich zum Frühstück traf - wären hier zu nennen. Beim Zverev-Clan hatte der Maestro mehr Erfolg.

Allerdings hatten sich die Zverevs die Trennung von Langzeitmanager Apey (2014) wohl einfacher vorgestellt. Zumindest gingen die Meinungen beider Parteien über die bestehende Vertragslaufzeit weit auseinander. Apey pocht noch heute auf eine Bindung bis mindestens 2023. Von einer Einigung, so ist zu hören, ist man noch weit entfernt. Zverev selbst wirkte mit der Situation überfordert, gab Apey mehrmals öffentlich die Schuld für die verzwickte Situation.

Alexander Zverev: "Ich dachte, wir sind Freunde"

Dramatischer Höhepunkt war die Pressekonferenz Zverevs nach seiner für viele überraschenden Erstrundenniederlage gegen Jiri Vesely in Wimbledon im Sommer. Über Apey sagte er, die Hände vors Gesicht haltend, kryptisch: "Die letzten beiden Tage waren sehr hart. Es geht um mein Leben. Ich bin sehr wütend. Er (Apey Anm. d. Red.) ist einfach ein Mensch, der mit meinem Leben sehr viel zu tun hatte in den vergangenen Jahren. Jetzt versucht er mein Leben so schwer wie möglich zu machen - extra vor solchen Turnieren wie hier. Das ist abartig. Ich dachte, wir sind Freunde. Ich dachte, wir sind eng."

Wie genau sich die beiden Parteien in diese Lage manövriert haben und wer letztlich die Schuld trägt, wird wohl frühestens im Herbst 2020 vor einem britischen Gericht geklärt. Vorher soll es keinen dem angestrebten Verfahren entsprechend angemessenen freien Zeitraum gegeben haben. Team8, so heißt es, soll zwischenzeitlich sogar über einen Rückzieher nachgedacht haben. Zverev selbst durfte lange Zeit aufgrund der Rechtslage keinen offiziellen Nachfolger bestimmen. Erst seit den US Open ist Zverev offiziell Team8-Mitglied.

Zu diesem überbordenden Thema gesellten sich zwischenzeitlich private Probleme, der Vater wurde krank. Als es dem wieder besser ging, wurde peu a peu deutlich, dass es zwischen dem Vater und Ivan Lendl zwischenmenschlich nicht passt. Überliefert ist, dass Alexander Zverev selbst noch zu Apey-Zeiten darauf bestand, Lendl zu verpflichten. Der Vater soll - vorsichtig formuliert - mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis alles andere als zufrieden gewesen sein.

Trotzdem hatte das Team zunächst großen Erfolg. Exakt vor einem Jahr feierte Zverev mit Lendl und dem Vater bei den ATP Finals den größten Karrieretitel, besiegte Federer und Djokovic. 2019 sollte der Durchbruch bei den Grand Slams gelingen. Stattdessen häuften sich beschriebene Probleme. Lendl ist seit Anfang August Geschichte, nachdem Zverev ihn öffentlich angezählt hatte, ihm fehlenden Fokus vorwarf.

Das war es dann aber auch mit den Nebenkriegsschauplätzen.

ATP Finals: Alexander Zverev zum dritten Mal in Folge dabei

Tennis gespielt hat der gebürtige Hamburger 2019 übrigens auch noch. Angesichts der Umstände ist es als großer Erfolg zu werten, dass sich Zverev zum dritten Mal in Serie für das Turnier der besten acht Spieler qualifiziert hat. Zur Einordnung: Tommy Haas ist das nicht ein einziges Mal gelungen, dreimal schaffte auch Michael Stich nicht. Nur Boris Becker ist mit elf Teilnahmen und drei Titeln noch weit vor Zverev. Der beste deutsche Spieler aller Zeiten ist als "Freund und Unterstützer" in diesen Tagen, auch am Sonntag, bei den Trainings dabei gewesen. Und unterstütze Zverev punktuell von der Bank aus, ohne die Führung des Vaters zu untergraben.

Eine Unterstützung, die er dankend annimmt. Spielerisch klappte für Zverevs Ansprüche 2019 nicht viel. Dennoch kämpfte er sich in Paris erneut ins Viertelfinale und in New York immerhin erstmals ins Achtelfinale. Das alles trotz einer zwischenzeitlich groteske Formen annehmenden Schwäche beim Aufschlag, insbesondere beim zweiten. Mehr als 70 Spieler hatten 2019 bessere Quoten vorzuweisen.

Als sein Umfeld im Herbst wieder geordneter erschien, steigerte er sich spielerisch und mental enorm. Mit einem Finaleinzug und einem Halbfinale in Asien festigte er Platz sieben im Jahresranking, schaffte mit einem Sieg gegen Roger Federer endlich auch seinen ersten Top-10-Sieg im Kalenderjahr 2019.

Das gab, das ist in London zu spüren, Selbstvertrauen. Eigentlich ist Zverev längst fester Bestandteil dieses elitären Kreises, als Titelverteidiger auch eines der Werbegesichter der ATP. Doch nach dem schwierigsten Jahr seiner noch immer jungen Karriere wertschätzt es auch Zverev selbst, in London dabei sein zu dürfen. Er gab gar zu, auch über Alternativen nachgedacht zu haben. "Ich habe zu meinem Team nach den US Open gesagt: Wenn es in Asien nicht läuft, beende ich die Saison vorzeitig."

Alexander Zverev geht als Außenseiter in die ATP Finals

Das war - aus deutscher Sicht zum Glück - nicht notwendig. Stattdessen spricht der Gejagte von der "größtmöglichen Herausforderung nach einem schwierigen Jahr." In der Gruppe, die nach Andre Agassi benannt ist, trifft Zverev auf die beiden Shootingstars Stefanos Tsitsipas und Daniil Medvedev, die Zverev in der öffentlichen Wahrnehmung etwas den Rang abgelaufen haben. Zunächst wartet aber die Nummer eins der Weltrangliste, Rafael Nadal, der zumindest offiziell noch an den Folgen einer Muskelverletzung laboriert. Nadal hat dieses Turnier noch nie gewonnen, aber schon sechsmal trotz Qualifikation absagen müssen. Für ihn könnte Roberto Bautista Agut nachrücken.

So oder so: Zverev ist dieses Jahr nur Außenseiter. Lediglich gegen Medvedev hat er eine positive Bilanz. Das letzte Spiel ging aber verloren. Ein Einzug ins Halbfinale wäre in der Gesamtbetrachtung eine Überraschung. Aber mit der zurückgewonnenen Balance scheint es längst nicht mehr unmöglich.

Schließlich war Zverevs Traningsleistung am Sonntag ansprechend. Vor allem die Vorhand trainierte der Deutsche zur Freude seines Sparringspartners fast 20 Minuten mit der maximalen Schlaghärte. Vorhandspielen soll Nadal auch ganz akzeptabel können. Dessen Trainingsqualität am Sonntag konnte sich laut eines spanischen Kollegen ebenfalls sehen lassen. Auch beim Spanier gibt es also zumindest einen kleinen Fingerzeig.

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Alexander Zverev im Steckbrief

Geburtstag20. April 1997
GeburtsortHamburg
SpielhandRechts
Weltranglistenplatz6
Preisgeld17,6 Millionen US-Dollar
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