Tennisprofi Masur über das Leben als Nummer 256: "Nach jeder Niederlage Hass-Nachrichten im Postfach"

Daniel Masur liegt aktuell auf Rang 262 der Tennis-Weltrangliste.
© Antke Förster
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Sagen Sie sich, dass Sie aber beispielsweise in zwei Jahren wenigstens in den Top 150 stehen wollen, vielleicht sogar müssen?

Masur: Die Turniere auf der Challenge Tour, die ich aktuell spiele, sind Mittel zum Zweck. Es ist nicht das, was ich machen will. Das erlebe ich, wenn ich in München, Hamburg oder St. Petersburg aufschlage. Dann denke ich mir: Mein Gott, ist das geil. Wenn ich das jede Woche haben könnte, wäre das der Jackpot. Ich möchte so schnell wie möglich dorthin, aber wenn ich es in zwei Jahren noch nicht geschafft habe, kann ich mich auf den Kopf stellen, das bringt mich auch nicht weiter. Aber ich bin ehrlich und sage auch, dass ich der Meinung bin, dass ich schon vieles erreicht habe. Ich habe in München und Hamburg auf dem Centre Court gestanden, ich habe im Davis Cup für Deutschland Doppel gespielt, davon träumst du, wenn du als Kind mit dem Tennisspielen anfängst. Darauf bin auch stolz und das nimmt mir keiner mehr. Meine Ansprüche und Ziele sind ohne Zweifel höher, aber trotzdem darf man sich dessen bewusst sein, dass man etwas erreicht hat. Auch wenn das jetzt viele nicht so sehen mögen.

Weil die Erwartungshaltung mit den Erfolgen ja auch steigt.

Masur: Genau. Sascha Zverev steht auf Drei in der Welt, wird aber kritisiert, solange er noch kein Grand Slam gewonnen hat. Selbst bei Roger Federer könnte ich in der Theorie noch etwas finden und sagen, dass er nur einmal in Paris gewonnen hat. Was natürlich Unsinn ist, aber je erfolgreicher du bist, desto höher werden einfach die Erwartungen. Die wirst du nie ganz zufrieden stellen können. Wenn ich am Ende meiner Karriere in den Top 100 war, kann ich sagen, dass es doch Top 50 hätte sein müssen. Schaffe ich die Top 50, hat es nicht für die Top 25 gereicht. Es gibt nach oben keine Grenzen. Ich finde, dass wir alle auch mal stolz sein dürfen, wenn wir etwas erreicht haben. Egal ob das im Profisport, in der Schule oder im normalen Berufsleben ist. Entscheidend ist doch, wie zufrieden du selbst mit dir bist, ob du mit dir im Reinen bist. Ansonsten nützt dir das Erreichte oder irgendeine Ranglistenposition nämlich gar nichts.

Die Rangliste ist also am Ende nicht alles?

Masur: Ich würde Position 150 nicht gegen Position 50 eintauschen, wenn ich am Ende nicht glücklich mit meinem Leben bin. Meine höchste Ranglistenposition bislang war 204. Wenn ich es nie mehr höher schaffe, wird das mein Leben nicht definieren. Ich bin mir auch ganz sicher, dass ein einfacher Straßenarbeiter ein glücklicheres Leben führen kann als ein sogenannter Top-Manager mit Millionen auf dem Konto.

Daniel Masur: "Ich würde das Grölen erlauben"

Sie haben schon erwähnt, dass das Level unglaublich dicht beieinander liegt. Können Sie das näher beschreiben?

Masur: Grundsätzlich ist es ja so, dass mittlerweile alle jeden Tag vier Stunden Bälle schlagen und den Ball treffen. Der Unterschied liegt oft im mentalen Bereich und in der Beantwortung der Frage, wer sein Potenzial ausspielen kann. Wenn es klick macht und du Selbstvertrauen bekommst, ist viel möglich. Ich bin als Nummer 250 an einem bestimmten Tag nicht so weit von der 50 entfernt. Aber es geht in beide Richtungen. Es gibt schon Momente, da denkst du: Scheiße, die können alle Tennis spielen. (lacht) Wenn ich jetzt zum ersten Mal nach eineinhalb Jahren gegen die Nummer 900 spielen würde und 20 Prozent weniger Einsatz und Bereitschaft an den Tag lege, wird es total eng. Wenn ich voll spiele, gewinne ich das Match klar, aber wenn es blöd läuft, kann ich es auch verlieren.

Es gibt aber auch Spieler, die Sie auf den Turnieren treffen und die plötzlich für Furore sorgen.

Masur: Ich sehe auf der Challenge Tour Jungs wie den jungen Serben Miomir Kecmanovic oder den jungen Kanadier Felix Auger-Aliassime. Kecmanovic war jetzt plötzlich als Lucky Loser im Viertelfinale von Indian Wells. Auger-Aliassime hat in Indian Wells Tsitsipas geschlagen, stand in Miami jetzt sogar im Halbfinale und in diesem Jahr auch schon im Finale von Rio. Dabei ist es gar nicht lange her, dass er beim Challenger in Rennes sein erstes Match gleich gegen die Nummer 500 oder so und auch erste Runde Doppel verlor und ich mir noch dachte, dass er genau die gleichen Probleme hat wie wir alle. So schnell kann es eben auch gehen.

Abschließend: Wenn Sie eine Sache im Tennis ändern könnten, was wäre das?

Masur: (lacht) Ich würde das Grölen erlauben.

Wie jetzt? Tennis soll so sein wie Darts?

Masur: In gewisser Weise ja. Beim Darts feiern die Fans eine große Party und die Spieler schaffen es trotzdem, unter Druck auf den Millimeter genau ihre Pfeile zu werfen und die Felder zu treffen. Weil sie daran gewöhnt sind. Auch beim Basketball ist es ja zum Beispiel laut. Warum soll das im Tennis nicht möglich sein? Tennisfans sollten auch grölen dürfen und kommen und gehen, wann sie wollen. Im Moment ist es so, dass es so still ist, dass du eine Stecknadel fallen hörst. Sobald eine Flasche umfällt, denkst du, es ist eine Bombe eingeschlagen. Tennis muss zeitgemäßer werden. Offener, nicht so verklemmt. Ich glaube nicht, dass eine Schulklasse, die zum Tennis geht, so viel Bock hat, zwei Stunden keinen Mucks zu machen. Sobald wir Spieler uns daran gewöhnt haben und die einzelnen Geräusche nicht mehr so wahrnehmen, würde das niemanden stressen. Ich finde auch die Idee gut, kürzere Sätze zu spielen.

Ich finde es furchtbar. Absolut grauenvoll.

Masur: Klar ist es gegen die Tradition des Tennis. Wenn ich mir die Ergebnisse bei den Next Gen Finals anschaue und sehe so was wie 4:3, 1:4, 4:2, 4:3, dann ist das komisch. Aber auf der anderen Seite muss ich mich fragen, wie viele Matches ich mir in diesem Jahr bis jetzt in voller Länge angeschaut habe? Zwei vielleicht. Und ich bin Tennisprofi. Es dauert einfach zu lang. Tradition ist wichtig, aber Tennis darf auch nicht auf seiner Tradition sitzen bleiben und muss mit der Zeit gehen.

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