Warum denn so ernst, Djoker?

Novak Djokovic ist plötzlich nicht mehr unbesiegbar - die Konkurrenz wittert Morgenluft
© getty

Quiet, please! Die US Open bilden den Grand-Slam-Abschluss des Jahres (erlebe die Stars der ATP-Tour auf DAZN) - und wo man vor ein paar Monaten bereits den Namen Novak Djokovic (Di., 1 Uhr im LIVETICKER) in die Trophäe eingravieren wollte, wittert die Konkurrenz jetzt Morgenluft. Allen voran ein gewisser Olympiasieger namens Andy Murray. Der Turm von Tandil ragt wieder hoch empor, für Sascha Zverev und Co. wird es schwer. Und dann treibt uns eine Abschiedsszene auch noch die Tränen in die Augen.

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Der Topfavorit:

Die erste Saisonhälfte gehörte ohne Zweifel dem Djoker: Australian Open, French Open, Nole Slam, Grand Slam, Golden Slam, GOAT - kein Superlativ hing zu hoch. Doch in den letzten zwei Monaten gab plötzlich Andy Murray den Ton an. Souverän marschierte er in Wimbledon zum Titel und sicherte sich anschließend auch noch sein zweites Olympia-Gold im Einzel. Das war zuvor noch keinem gelungen.

Nach Rio reiste Murray direkt nach Cincinnati (Final-Niederlage gegen Marin Cilic nach 22 Siegen in Serie) und spielte sich dort schon einmal auf DecoTurf ein, dem gleichen Untergrund wie in Flushing Meadows. Sollte Murray auch im Big Apple siegen, hätte er plötzlich drei der wichtigsten fünf Titel des Jahres gesammelt - und von einer Djokovic-Dominanz spräche niemand mehr.

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Dennoch kann man darüber streiten, ob der Mann mit der besten Form auf der Tour auch Titelanwärter Nummer eins ist. "Meine Meinung hat sich nicht wirklich geändert: Novak ist der Favorit, trotz der zwei schweren Niederlagen zuletzt", sagt etwa niemand Geringeres als Roger Federer. Nole habe schließlich eine hervorragende Bilanz gegen Murray. Und: "Das Dach wird ihm auch helfen, es wird ähnlich sein wie in Australien."

Es scheint derzeit fast ausgeschlossen, dass Murray nicht mindestens ins Finale kommt - damit wäre er erst der vierte Spieler der Open Era, der in einem Kalenderjahr alle Grand-Slam-Endspiele erreicht. Vielleicht kann man es anhand der Turniere zuletzt so zusammenfassen: In einem Finale Djokovic-Murray muss man auf den Djoker setzen (Head-to-head: 24-10). Aber der scheint auf seinem Weg dahin vielleicht doch eher zu stolpern als sein schottischer Konkurrent.

Der Titelverteidiger:

Mickrige fünf Niederlagen hat Novak in diesem Jahr erst einstecken müssen. Zugegen, die Pleite in Wimbledon gegen Sam Querrey war eine monumentale Überraschung, aber die machte er mit seinem Turniersieg in Toronto wett. Und gegen einen feuerspeienden Juan Martin del Potro kann man in Rio schon auch mal zwei Tiebreaks verlieren.

Aber was eher Sorgen machte, war die Art und Weise, wie er die wohl beste Chance seine Karriere auf Olympia-Gold vergab. Er spielte in den entscheidenden Phasen einfach schlechtes Tennis - für die serbische Maschine völlig untypisch. Schon in Wimbledon hatte er zugegeben, nicht bei 100 Prozent zu sein, und nach der Niederlage bei Olympia sagte er Cincinnati verletzt ab: Sein linkes Handgelenk bereitet ihm offenbar schon länger Probleme.

Die gute Nachricht: Drei Wochen Pause sollten Nole, der unbedingt auf seinen feingetunten Körper angewiesen ist, gut getan haben. Und: Drei Sätze gegen die Nummer eins der Welt zu gewinnen, ist um ein vielfaches schwerer als deren zwei. Hat er erst einmal seinen Rhythmus zurück, wird auch die Aura wieder da sein. Aber diese Melancholie zuletzt, die passt eigentlich nicht zum sonst so lockeren Djoker: "Manchmal muss man an die Wand knallen, um etwas zu lernen", oder "Manchmal müssen wir uns alle mit privaten Dingen auseinandersetzen und sie überstehen, um uns menschlich weiterzuentwickeln." Das klingt eher nach Selbsthilfe-Schmöker als nach "Platz da, ihr Pfeifen! Wo ich bin, ist vorn!"

Dark Horse:

Es ist eine fast schon unfaire Bürde, die wir Juan Martin del Potro hier aufbürden - aber wie soll man ihn nach seinem sensationellen Auftritt in Rio nicht auf der Rechnung haben? Diese Vorhand, die so glatt durch den Ball schwingt wie ein rotglühendes Messer durch lauwarme Butter: Sie war endlich wieder zu sehen beim Turm von Tandil. Man darf nicht vergessen: Sie hatte ihm schon 2009 mit gerade einmal 20 Jahren den US-Open-Titel beschert, bevor ihm seine Gesundheit gleich mehrere Striche durch die Rechnung machte.

Nicht auszuschließen, dass ihn sein Körper auch diesmal irgendwann wieder im Stich lässt. Aber bis dahin? Djokovic geschlagen, Rafa Nadal geschlagen, Murray gefordert - Rio könnte nur der Vorgeschmack gewesen sein. "Wenn er fit bleibt, gibt es keinen Grund, warum er nicht ganz oben mitspielen kann", wusste auch Murray. Dem mit einer Wild Card ausgestatteten Argentinier sollte man lieber aus dem Weg gehen.

Zwischen diesen Lobeshymnen auf del Potro ging eine Sache fast unter: Rafa Nadal is back, baby! Der Cincinnati-Turnaround nach Olympia kam vielleicht ein bisschen zu schnell, deswegen messen wir der Pleite gegen Borna Coric keine allzu große Bedeutung bei: "Ich wollte nicht zurück nach Hause. Da war ich lange genug. Ich musste trainieren und Matches bestreiten, und deswegen gehe ich vor den US Open auch nicht zurück nach Spanien."

So klingt jemand, der geil auf seinen Sport ist. Obacht: Seit März (!) haben nur Nole, Murray, DelPo und Kei Nishikori Matchbälle gegen ihn verwandelt. Nadal spielt wieder regelmäßig um Titel mit. Vielleicht auch um den in New York City.

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