Griff nach der Weltherrschaft

Angelique Kerber fehlen in Rio noch zwei Siege bis zur Goldmedaille
© getty

Angelique Kerber bekommt es bei den Olympischen Spielen in Rio im Halbfinale mit Madison Keys (20.30 Uhr im LIVETICKER) zu tun. Die Deutsche ist mittlerweile die Topfavoritin auf die Goldmedaille - doch das ist noch längst nicht alles.

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Das glückselige Grinsen wollte gar nicht mehr aus Angelique Kerbers Gesicht verschwinden. Die Deutsche ließ sich auf dem mit rund 3000 Fans nur spärlich gefüllten Olympia-Centre-Court von Rio (Fassungsvermögen 10.000) ausgiebig feiern, schrieb geduldig Autogramme und ließ ganz lässig einen Selfie-Sturm über sich ergehen.

Die Deutsche hatte sich soeben mit 6:1 und 6:2 gegen Johanna Konta aus Großbritannien durchgesetzt. In einer Art und Weise, die beeindruckte. Sie gewährte ihrer Gegnerin nur zwei Spielgewinne bei eigenem Aufschlag, verbuchte 18 Winner, agierte sicher von der Grundlinie und streute immer wieder geschickt Stopps ein.

Gut: Konta hatte ein knallhartes Achtelfinal-Match gegen die Russin Svetlana Kuznetsova in den Knochen stecken. Vielleicht leistete sich die 25-Jährige auch deshalb vermeidbare Fehler wie am Fließband. Doch das soll Kerbers Vorstellung in keiner Weise schmälern, zumal die Partie aufgrund des Regens ohnehin erst einen Tag später als geplant über die Bühne ging.

Sie steht im Halbfinale und ist damit nur noch einen Sieg von einer Olympischen Medaille entfernt. Sollte sie auch gegen Madison Keys aus den USA gewinnen, würde im Finale Laura-Siegemund-Bezwingerin Monica Puig (Puerto Rico) oder Petra Kvitova (Tschechien) warten.

"Es ist noch ein weiter Weg"

Man kann es drehen und wenden, wie man will. Fakt ist: Kerber, die in Rio in ihren vier Einzeln keinen Satz abgegeben hat, ist nun die Topfavoritin auf die Goldmedaille. Zumal mit Serena Williams die Nummer 1 der Welt im Achtelfinale an Elina Svitolina gescheitert ist. Die flog wiederum gegen Kvitova raus.

"Es ist immer schön, gegen Serena zu spielen - aber es geht auch ohne", sagte Kerber und wiegelte gleichzeitig entsprechende Fragen nach ihrer Favoritenrolle auf Gold ab: "Es ist noch ein weiter Weg. Ich will nicht drüber nachdenken, denn ich weiß, was Druck mit mir machen kann."

Dennoch konnte auch die 28-Jährige nicht verhindern, dass unweigerlich Geschichten aus der Vergangenheit herausgekramt wurden.

Kerber auf Grafs Spuren

Es gab bisher nämlich nur eine deutsche Olympiasiegerin, seit Tennis regulär olympisch und keine sogenannte Demonstrationssportart mehr ist. Das war Steffi Graf im Jahr 1988.

Damals gewann die Gräfin im Finale von Seoul gegen Gabriela Sabatini aus Argentinien. Graf war es auch, die 1992 als bisher letzte Deutsche die Runde der letzten Vier im Einzel erreicht hat und letztlich Silber hinter der US-Amerikanerin Jennifer Capriati holte.

Kerber bietet sich am Zuckerhut in den kommenden Tagen also die riesige Chance, deutsche Tennis-Geschichte zu schreiben.

Bald die Nummer 1 der Welt?

Erneut deutsche Tennis-Geschichte zu schreiben, muss man sagen. Schließlich hat Kerber in diesem Jahr bereits die Australian Open gewonnen sowie in Wimbledon das Endspiel erreicht. Der Clou dabei ist: Nach einem möglichen Olympiasieg könnte die als Kind polnischer Einwanderer in Bremen geborene Kerber in der kommenden Woche noch einen draufsetzen.

Sollte sie tatsächlich beim am Montag beginnenden Turnier in Cincinnati antreten und in Ohio noch triumphieren, würde sie vorbei an Williams auf Platz eins der Weltrangliste klettern. Zumindest wenn die US-Amerikanerin vor dem Viertelfinale ausscheiden sollte.

Dass Williams in Cincinnati überhaupt antritt, ist schon Beweis genug, wie sehr sie die Deutsche fürchtet. Ursprünglich wollte Serena nämlich nicht dabei sein, hat nun aber eine Wildcard angenommen.

Als letzte deutsche Spielerin hatte - Überraschung - Graf die Tennis-Weltmacht übernommen. Bis zu ihrem Rücktritt im August 1999 hatte Graf (47), die wie Williams 22 Grand-Slam-Triumphe feierte, insgesamt 377 Wochen auf Platz eins gestanden. Das schaffte bislang niemand länger.

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Kerber bleibt ganz locker

Alles in allem scheint Kerber bereit für den ganz großen Coup. Man merkt es unter anderem daran, wie locker sie damit umgeht, auch bei Olympischen Spielen einer der großen Stars zu sein. "Mittlerweile kommen andere Sportler zu mir und wollen Selfies. Das war vor vier Jahren bei den Sommerspielen in London noch nicht so", ist der DTB-Spielerin aufgefallen.

Dabei steckt sie auch das gelegentliche Chaos, das in Rio vorherrscht, im Stile einer ganz großen Persönlichkeit weg. "Da muss man robust sein. Bei manchen Sachen hat man den Eindruck, die Brasilianer sind nicht rechtzeitig fertig geworden. Es muss improvisiert werden", sagte Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner.

Kerber ist robust. Sie bleibt fokussiert, genießt aber dennoch das Olympia-Flair: "Ich bin natürlich hier, um Tennis zu spielen. Aber abends im Dorf schaue ich mir schon im Fernsehen die anderen Sportarten an."

Sie bringt derzeit nichts aus der Ruhe. Man darf deshalb von folgendem Szenario zumindest einmal träumen: Kerber gewinnt in Melbourne, kommt in Wimbledon ins Finale, holt Olympia-Gold und besteigt den Thron der Tennis-Welt. Wie groß wäre das denn bitte?

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